Antisemitismus in Franken

Eine Synagoge für Schnäppchenjäger

Ob noch Juden im fränkischen Walsdorf leben, weiß selbst der Bürgermeister nicht. Aber über einen antisemitischen Anschlag ist man in der Gemeinde sicherheitshalber »tief betroffen«.

Für den Walsdorfer Bürgermeister Hans-Heinrich Köhlerschmidt sind die Vorkommnisse in seiner Gemeinde schnell erklärt: »Weil man über die Schändung des jüdischen Friedhofs in Georgensgmünd so breit berichtet hat, geht das jetzt reihum.« Folgerichtig war also drei Tage nach dem Georgensgmünder Anschlag Walsdorf an der Reihe. Unbekannte stießen in der Gemeinde in der Nähe von Bamberg Ende März 32 Grabsteine um. Sieben wurden völlig zerstört, 22 beschmierten die Täter mit Nazi-Symbolen. Das gut erhaltene Tahara-Gebäude, das jüdische Trauerhaus, verunstalteten sie mit gelber Farbe.

Tatsächlich war über die vorangegangene Friedhofsschändung in Georgensgmünd überregional berichtet worden. Dort wurden die jüdischen Grabsteine am 27. März mit antisemitischen Parolen und NS-Symbolen beschmiert. Eine Woche später ermittelte die Polizei einen 20jährigen aus der Umgebung als Täter. Der Mann sei aber, wie er selbst erklärt, betrunken gewesen. Und frustriert. Schon früher war er wegen des Tragens verbotener NS-Symbole aufgefallen. Aus seiner rechtsradikalen Gesinnung machte er auch während seiner Vernehmung keinen Hehl.

Das musste die Schwabacher Polizei aus dem Konzept bringen. Schließlich hatte Ulrich Neumann, der Sprecher der Behörde, kurz nach der Tat in einem Interview mit dem linken Nürnberger Radio Z verkündet, man ermittele in alle Richtungen. Ähnlich wie jüngst seine Erfurter Kollegen nach dem Anschlag auf die dortige Synagoge wollte Neumann nicht ausschließen, dass die Schändung auf das Konto von Linken gehe, die Rechte schlecht machen wollten.

In Walsdorf konnten bislang noch keine frustrierten, alkoholisierten Einzeltäter ermittelt werden. Ohnehin dauert in der Gemeinde alles etwas länger. Erst nach einer Woche wurde die Schändung des Friedhofes überhaupt bekannt. Eine anonyme Anruferin meldete der Gemeindeverwaltung die Beschädigungen an den Grabsteinen der Totenstätte, die auf einem Hügel außerhalb der Ortschaft liegt. Dass der jüdische Friedhof so abgelegen ist, hat einen einfachen Grund: Die meisten nichtjüdischen Bewohner duldeten damals, im 17. Jahrhundert, keinen jüdischen Friedhof in ihrer Nähe. Und die Jüdinnen und Juden selbst hofften, durch die abseitige Lage und den beschwerlichen Aufstieg den gefürchteten Friedhofsschändungen zu entgehen.

Mitten im Dorf steht dagegen die ehemalige Synagoge. Das Gebäude wurde in der Pogromnacht 1938 geplündert, das Inventar verbrannt. Ein Jahr später kaufte ein Bauer das Gebäude. Ein Schnäppchen. Seither wird die Synagoge als Scheune benutzt. Und das soll auch weiterhin so bleiben. Die Schwiegertochter des Käufers, Christine Kaiser, sieht ihre Familie als rechtmäßige Besitzerin des Gebäudes. Schließlich habe der Schwiegervater nach 1945 ein zweites Mal für das Haus bezahlen müssen. Von außen ist die Synagoge noch als solche zu erkennen, der Saalbau mit den ehemals rundbogigen Fenstern ist vollständig erhalten. Doch schon die Werbeplakate für Segelflugzeug-Kurse an der original erhaltenen Holztür weisen darauf hin: Die Innenräume verwendet die Familie Kaiser als Holzlager und Abstellkammer.

Um die Synagoge nach den Auflagen des Denkmalschutzes und der Gemeinde zu restaurieren, haben die jetzigen Besitzer kein Geld. Aber ohnehin interessiert sich hier niemand für das Gebäude, wie sich auch sonst das Interesse für die jüdische Geschichte im Dorf in Grenzen hält. Ob überhaupt noch Juden in der Gemeinde leben, kann selbst Bürgermeister Köhlerschmidt nicht so genau sagen. Aber er glaubt, dass alle Konfessionen im Ort vertreten seien.

»Vor 1945 gab es viele Juden in Walsdorf. Jetzt gibt es hier keine mehr«, berichtet Christine Kaiser. Was mit der jüdischen Bevölkerung passiert sei, wisse sie nicht. Sie glaube aber nicht, dass die Walsdorfer Juden ermordet wurden. »Die sind wohl alle geflüchtet«, so ihre Vermutung. In den fünfziger Jahren seien noch mal Juden vorbeigekommen, die ihren Hausrat gesucht hätten. »Sie haben nach ihren Vorhängen gefragt. Aber damals in der Kristallnacht ist ja alles verbrannt. Die sind dann wieder gegangen.«

Nun ist man über den antisemitischen Anschlag in Walsdorf empört. Wer liest schon gern den Namen des eigenen Dorfes in solch einem Zusammenhang in der Zeitung. Allerdings müsse auch mal Schluss sein mit dem ewigen Nachtragen der NS-Vergangenheit, meint Helmut Philliporsky, ein Bewohner von Walsdorf, kaum dass er seine Abscheu über die Schändung vorgetragen hat.

Freilich geht man in dem fränkischen Dörfchen davon aus, dass die Schändung nicht von Anwohnern begangen wurde. »Walsdorfer haben nichts damit zu tun«, versichert Bürgermeister Köhlerschmidt. Ein ansässiger Bauer sieht das auch so, weiß allerdings zu berichten, dass es immer wieder »Rabatz« gibt, wenn »Tanz« ist am Ort. Die Nazi-Schmierereien an der einzigen Bushaltestelle im Ort nimmt er wie alle Walsdorfer hin, ohne ein Wort darüber zu verlieren.

Allein in der Gegend um Nürnberg und Bamberg sind im vergangenen Jahr vier antisemitische Friedhofsschändungen bekannt geworden. So wurde am 24. Januar der jüdische Friedhof in Geroldshofen im Landkreis Schweinfurt mit Hakenkreuzen, SS-Runen und Sieg-Heil-Schriftzügen beschmiert. Am 26. April haben zwei elf und zwölf Jahre alte Jungen in Nürnberg-Gostenhof 83 Grabsteine umgeworfen und beschädigt. Zwei Monate später wurde in Ermreuth im Landkreis Forchheim die Tür der Synagoge mit Hakenkreuzen und SS-Runen verunstaltet. Der Gedenkstein für die ehemalige Synagoge in Bad Königshofen bei Coburg ist am 26. Dezember umgeworfen und zerstört worden.

Wenn die Theorie des Bürgermeisters von Walsdorf zutrifft, dürfte es jedoch in nächster Zeit zu keinerlei Schändungen jüdischer Friedhöfe in Franken mehr kommen. Denn über zu breite Berichterstattung in der Presse kann man diesmal nicht klagen: Gerade einmal neun Zeilen schrieb der Fränkische Tag, die Bamberger Lokalzeitung, am 6. April über den Vorfall. Gut eine Woche später dann die noch knappere Fortsetzung: Zwischen Beratungen über die neue Gasleitung und die Aufstellung des Maibaumes, so ein Bericht über eine Walsdorfer Gemeinderatssitzung, zeigte man sich »tief betroffen« über die Schändung des jüdischen Friedhofs.