Gewöhnliche Sportarten

Generation Minigolf

Gewöhnliche Sportarten I: Labyrinthe, Spiralen, Netze - beim Familiensport Nummer eins hat sich in den letzten Jahrzehnten nichts verändert.

Eltern zu sein bedeutet wohl, pausenlos verzweifelt zu sein. Nicht anders ist es zu erklären, dass seit Jahrzehnten Erziehungsberechtigte ihren Nachwuchs zur Belustigung auf Minigolf-Plätze schleppen und auch noch davon überzeugt sind, dass das Bällchenschlagen eine gelungene Freizeitbeschäftigung darstellt.

Ein Familien-Nachmittag auf einem Minigolf-Platz sieht dagegen so aus: Mama und Papa haben das erste Hindernis mit zwei, drei Schlägen erfolgreich bewältigt, müssen sich aber mit ihrer Freude darüber zurückhalten. Denn jetzt sind die Gören dran, die große Schwester, die viel lieber tot wäre als von irgend jemandem unter dreißig mit diesem uncoolen Pack an der uncoolsten Stelle des Universums, dem Minigolf-Platz in Kellenhusen/Ostsee, gesehen zu werden, und der kleine Bruder, der endlich seine Chance wittert, es den anderen zu zeigen.

Der erste Wutanfall ereignet sich meistens am zweiten Hindernis, wenn zum erneut die Höchstpunktzahl fällig ist, und endet damit, dass eines der Kinder in einem unbeobachteten Moment dem anderen den Schläger über den Schädel zieht - sehr zur Überraschung der Eltern, denn in den Büchern über antiautoritäre Erziehung kommt dieser Fall einfach nicht vor. In Summerhill wurde nämlich nicht geminigolft - A.S. Neill wusste schon, warum.

Vielleicht hatten die Erziehungsberechtigten überall auf der Welt aber auch nur deswegen keine Chance, sich auf den Extremsport Minigolf vorzubereiten, weil die sich junge Sportart noch nicht ins kollektive Gedächtnis einprägen konnte. Im Gegensatz zum klassischen Golfspiel, von dem die Miniaturausgabe abstammt und das bereits im 15. Jahrhundert ein Zeitvertreib für die gesellschaftliche Elite war, ist Minigolf geradezu brandneu. Erste Ansätze für ein platzsparendes »Golfspiel auf Bahnen« gab es erst in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Auf überdachten Bretterbahnen der US-amerikanischen und englischen Großstädte gab es kleine Türen oder Figuren als Hindernisse. Um 1930 wurde dieser Minigolf-Vorläufer zum beliebten Volkssport, in London konnte man in fast jedem Park eine Anlage finden, in den USA entstanden zu dieser Zeit fast 30 000 Spielflächen, die alle nicht genormt waren - die Besitzer ließen ihrer Phantasie freien Lauf, denn Hersteller für Minigolf-Anlagen gab es noch nicht. Und kurz danach war es mit dem Golfen auf Bahnen auch schon wieder vorbei.

Erst im Jahr 1956 entstand die Sportart in ihrer heutigen Form. Der Schweizer Paul Bongni setzte nach einer zweijährigen Konstruktionsphase seine Idee von einem »genormten Golfplatz für jedermann« um. Dabei folgte er den bereits vom Golf bekannten Grundsätzen: Auf 18 Bahnen muss der Ball mit einem Schläger über eine bestimmte Distanz und diverse Hindernisse ins Loch geschlagen werden. Die natürlichen Hindernisse des klassischen Golfs ersetzte Bongni durch künstliche Aufbauten. Und kreierte gleichzeitig auch den Namen für die Sportart, die vorher z.B. als »Kleingolf-Spiel« oder »practice putting green« firmiert hatte. Bongni meldete seine Bahnen als »Minigolf« zum Patent an. Damit schuf er die Voraussetzung dafür, dass überall auf der Welt baugleiche Anlagen entstanden. Sechs Jahre später waren in Europa bereits mehr als 120 Minigolf-Plätze in Betrieb - in Deutschland hatte man zuerst in Traben-Trabach nach den harten kleinen Bällchen schlagen können.

Kurz danach kam es zur Spaltung. Der Hamburger Geschäftsmann Albert Rudolf Pless entwickelte eine Anlage, die sich von Bongnis Kreation erheblich unterschied: Die transportablen, um die Hälfte kleineren Fertigteile ließ er sich unter der Bezeichnung »Miniatur-Golf« gesetzlich schützen; beide Sportarten sollten zunächst nichts miteinander zu tun haben.

In Deutschland organisierte man sich in zwei unterschiedlichen Verbänden, die jeweils Meisterschaften austrugen und Ligen installierten, bis man sich im Jahr 1966 im Deutschen Bahnen-Golf-Verband zusammenschloss - und allgemeingültige Regeln erließ. Darin geht es nicht nur darum, dass das Betreten der Bahn meistens verboten ist (»Eine Bahn darf grundsätzlich nicht betreten werden, so lange sich der im Spiel befindliche Ball bewegt. Sonst darf eine Bahn betreten werden, wenn es zugelassen ist«) und nach sechs erfolglosen Schlägen eine Sieben als Ergebnis ins Spielprotokoll eingetragen werden muss - alle Eventualitäten sind in der Minigolf-Gesetzgebung genau geregelt.

Neben den Geschwistern gehört der Ball beim Minigolf zu den Gegenständen, die den größten Ärger verursachen. Zum einen, weil er niemals in die gedachte Richtung rollt, zum anderen, weil er grundsätzlich einmal pro Spiel nach einem etwas energischeren Schlag verschwindet. Ihn dann nicht zu suchen und zu hoffen, dass sein Fehlen beim Schläger-Zurückbringen nicht auffällt, ist jedoch kein regelkonformes Verhalten. Fünf Minuten lang muss man nämlich ernsthaft versuchen, ihn zu finden, erst dann darf man einen Ersatz-Ball benutzen, dessen Einsatz einen Strafpunkt kostet.

Überhaupt ist Minigolf eine sehr strafenintensive Sportart - nur für Attacken auf Geschwister existiert kein Sanktionen-Katalog. Aber der ist vielleicht auch nicht wirklich notwendig, denn in jeder Familie setzt sich früher oder später die Erkenntnis durch, dass Minigolf vielleicht doch kein ganz so geeigneter Freizeitsport und Eisessen wesentlich gesünder ist.

Vielleicht kommt die Sportart bei der heutigen Generation Minigolf deswegen einfach nicht mehr vor. Bis zu diesem Moment, viele Jahre nach dem letzten Spiel. Die Minigolf-Protagonisten von einst sind weit genug weg, deswegen kann die vorsommerliche Frage nach dem »Können wir vielleicht mal was tun, was wir noch nie gemacht haben?« frohgemut mit »Minigolf« beantwortet wird. Was soll auch groß passieren, jetzt, wo man erwachsen ist und Freunde hat, die niemals durch nennenswerte Gewaltbereitschaft aufgefallen sind? Nichts.

Einen Minigolf-Platz zu betreten, bedeutet jedoch unweigerlich, ein Déjˆ vu zu erleben. Die Punktzettel sind immer noch in einem hässlich-grünen Plastikblock festgeklemmt, zwei Schlägerarten stehen zur Auswahl, die Hindernisse bestehen aus der blauen Spirale, dem efeubepflanzten Tunnel, dem schlecht befestigten Netz, dem schwarzen Labyrinth und dem Loch auf einem beidseitig bespielbaren steilen Hügel. Gleich beim ersten Hindernis gelingt die große Überraschung: Mit einem Schlag wird der Ball ins Ziel befördert. Ohne nennenswerten Jubel bei den anderen auszulösen. Daher ist ab jetzt Vorsicht geboten: Jeder der Mitspieler ist entweder einmal große Schwester oder kleiner Bruder gewesen. Die anderen zu beobachten und auf alles gefasst zu sein, kann da auf keinen Fall schaden.