Tribunal zum Kosovo-Krieg

Nato vor Gericht

In einer Berliner Kirche wurde den Verantwortlichen für den Krieg gegen Jugoslawien der Prozess gemacht.

Die Nato wird sich nicht vor dem Uno-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag für den Krieg gegen Jugoslawien verantworten müssen. Chef-Anklägerin Carla del Ponte teilte vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York mit, für eine Anklage lägen keine ausreichenden Gründe vor. Keinesfalls habe die Nato in dem Krieg gegen Jugoslawien absichtlich zivile Ziele beschossen. Dies habe eine Untersuchung aller gegen die Nato vorliegenden Vorwürfe ergeben.

Keine unerwartete Entscheidung. Also musste die Nato von einem anderen Gericht verurteilt werden. In der evangelischen Kirche Zum Heiligen Kreuz in Berlin-Kreuzberg fand am letzten Wochenende das Europäische Tribunal über den Nato-Krieg gegen Jugoslawien statt. Vorbild für diese Veranstaltung sind die Russell-Tribunale, die seit dem Ende der sechziger Jahre organisiert wurden.

Getragen wurde das Tribunal von Organisationen aus 15 europäischen Ländern und den USA. Der Kriegsverbrechen angeklagt waren die Staats- und Regierungschefs, die Außen- und Verteidigungsminister aller Nato-Mitgliedsländer, alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die für den Krieg gestimmt hatten, die Verantwortlichen der Nato und der Bundeswehr. Der Einladung vor das Hohe Gericht aber waren Gerhard Schröder, Anthony Blair und William Clinton trotz Vorladungen nicht gefolgt.

Es war klar, dass die Nato vor diesem Tribunal einen schweren Stand haben würde. Zu erdrückend war die Beweislast. Langsam hatte sich herumgesprochen, dass dieser Krieg nicht der humanitäre Einsatz war, als der er vor einem Jahr verkauft wurde. Die Anklageschrift des Tribunals listete akribisch all die Rechtsvorstöße auf, deren sich die Nato schuldig gemacht hat: Verstöße gegen die UN-Charta, gegen den Nato-Vertrag, gegen den 2+4-Vertrag und gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Der Vorwurf lautete, die Nato habe gegen Jugoslawien einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg geführt und selbst vor der Bombardierung ziviler Ziele nicht zurückgeschreckt. Eingehend widmete sich die Anklageschrift der Entwicklung der Nato hin zu einem globalen Interventionsbündnis und untersuchte die »langfristige Ausrichtung der deutschen Außenpolitik auf eine Militärintervention in der Bundesrepublik Jugoslawien«.

Unter Punkt II der Anklage wurden die Kriegshandlungen näher betrachtet, darunter die wohl bekanntesten »Kollateralschäden« des Krieges: der Angriff auf einen Personenzug auf der Eisenbahn-Brücke über die Grdelica-Schlucht am 12. April 1999, bei dem mindestens 21 Zivilisten (nach jugoslawischen Angaben 55) ums Leben kamen. Oder der Angriff auf einen Flüchtlingskonvoi von Djakovica nach Prizren vom 14. April 1999 mit 74 toten Zivilisten.

Außerdem wurde der Einsatz von Cluster-Bomben und Geschossen mit abgereichertem Uran angeprangert. Dabei war die Anklage sehr gut mit Beweisen unterfüttert und stellte eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Krieg dar. Die Mitglieder des Tribunals kamen aus verschiedenen europäischen Ländern. Sie sind zu einem nicht geringen Teil Juristen und gehören zum Spektrum der traditionellen Linken.

Das Tribunal zeigte sich gut vorbereitet: Alle Beiträge wurden simultan übersetzt. Auch die unvermeidliche »serbische Bohnensuppe« in der extra eingerichteten Cafeteria durfte nicht fehlen. An Büchertischen konnte man sich mit Literatur zum Thema eindecken, eine Ausstellung im ersten Stock zeigte Fotos zivilen Einrichtungen in Jugoslawien, die von Nato-Bomben zerstört worden waren.

Hier wurden auch »Humanitäre Kriegsbegründungen« früherer Kriege den heutigen gegenübergestellt. So konnte man lesen, dass Mussolini den Abessinien-Feldzug 1935 (im heutigen Äthiopien) damit begründet hatte, »Menschenfresserei und Sklavenhandel« Einhalt gebieten zu wollen. Die Sorge um die Rechte der Sudetendeutschen, wie sie der Völkische Beobachter in den dreißiger Jahren zum Ausdruck brachte, erinnerte an das »Selbstbestimmungsrecht der Kosovaren«. Und dass immer die anderen schuld sind am Krieg, ist auch nichts Neues: »Prag hat die Verantwortung für Krieg oder Frieden« (Völkischer Beobachter, 1939). »Es kommt jetzt alles auf Belgrad an.« (Joseph Fischer, 1999)

Der zweite Tag des Tribunals war vor allem durch die Berichte aus Jugoslawien geprägt. Hier kamen einmal die Opfer zu Wort, denen deutsche Medien meist keinen Platz einräumen: Etwa ein Rom aus Pristina, dessen Sohn beide Beine und ein Auge durch eine Nato-Cluster-Bombe verloren hat.

Das Verdienst der Veranstalter ist, auf jene Aspekte des Krieges hingewiesen zu haben, die in der Öffentlichkeit verdrängt werden. Es steht fest, dass Dörfer bombardiert wurden, Brücken, Schulen, Krankenhäuser, Elektrizitätswerke, Ölraffinerien, Fernsehstationen. Viele Menschen haben die Bombardierungen nur überlebt, weil sie sich tagelang in Wäldern versteckten.

Peinliche Momente gab es auch: Etwa als Flotillenadmiral a.D. Elmar Schmähling beklagte, die Soldaten würden die Menschen nicht mehr sehen, die sie töten. Und: »Die hohen Repräsentanten der Regierung verderben den deutschen Soldaten. Ich sehe da ein großes Problem«, fühlte Schmähling mit den betrogenen Landsern. Auch der Name Gerd Bastian fiel. Rührt euch. Aber fürchtet euch nicht.

Andere tun das ja auch nicht. Daher hat es etwas Absurdes, ein Tribunal gegen die Nato zu veranstalten. Den Machthabern nachzuweisen, dass sie gegen ihre eigenen Verträge und Gesetze verstoßen, wird sie kaum beeindrucken.

Die Ernsthaftigkeit, mit der sich die Veranstalter des Tribunals an die Form des »Gerichtes« klammerten, geriet stellenweise zur unfreiwilligen Komik. Wenn im Programm die »Vernehmung von Zeugen«, Plädoyers von Anklage und Verteidigung angekündigt werden, bezeugt das nur die eigene Ohnmacht.

Dahinter steht der Traum von einer zivilgesellschaftlichen Regelung und Verrechtlichung der internationalen Beziehungen, der Traum von einem Haager Gerichtshof, der auch eine Anklage gegen die Nato akzeptiert. Diesen Traum träumt auch der »Marxistische Arbeitskreis in der SPD«, der zu den Unterstützern des Tribunals gehörte. Mitglieder einer Kriegspartei unterstützten ein Tribunal gegen den Krieg, anstatt erstmal aus ihrer Partei auszutreten.

Das Urteil der Jury war am Ende einstimmig: schuldig. Jetzt bräuchte es nur noch einen starken, unbesiegbaren Weltpolizisten, der die Nato verhaftet.

Weitere Information unter: www.nato-tribunal.de