Die USA, China und die EU steuern auf einen Handelskrieg zu

Protektionistische Eskalation

Exportoffensiven und Strafzölle – die USA, China und die EU steuern auf einen Handelskrieg zu.

Auf ein Neues: Mitte Mai läutete die US-Regierung die nächste Runde in den handelspolitischen Auseinandersetzungen mit China ein, die teils erhebliche Erhöhungen von Strafzöllen mit sich brachte. Die Einfuhrzölle auf chinesische E-Autos wurden von 25 Prozent auf 100 angehoben, wodurch der US-Markt für die unter einem harten ­Verdrängungswettbewerb in der Volksrepublik leidenden Hersteller faktisch gesperrt wurde. Hinzu kamen höhere Importabgaben für chinesische Solarzellen, Halbleiter, Medizinartikel und Hafenkräne.

Der US-Regierung geht es nicht nur darum, die chinesischen Handelsüberschüsse zu reduzieren. Sie scheint weiterhin ihre Strategie des sogenannten Nearshoring (Nahverlagerung) zu verfolgen, die auf die Entkopplung von China und die Etablierung regionaler Produktions- und Lieferketten zielt.

Die neue chinesische Wirtschaftsstrategie bemüht sich in Reaktion auf binnenökonomische Krisentendenzen verstärkt um ein exportgetriebenes »grünes« Konjunkturmodell und stößt bereits an protektionistische Schranken in Gestalt des Nearshoring der USA, insbesondere in der Autobranche. Nach westlichen Schätzungen verfügen die chinesischen Fahrzeughersteller, die 2023 rund 30 Millionen Autos produzierten, über jährliche Produktionskapazitäten für 40 Millionen – wobei in China im vergangenen Jahr rund 25 Millionen Fahrzeuge abgesetzt wurden.

Die politische und wirtschaftliche Kontroverse über protektionistische Maßnahmen resultiert aus einem ökonomischen Dilemma. Aus diesem gibt es keinen allgemein vorteilhaften Ausweg.

Diese Nichtauslastung soll durch Exporte möglichst behoben werden, denen die US-Regierung jedoch einen Riegel vorschiebt. China habe Milliarden an Subventionen in seine Exportindustrie investiert, so das Kieler Institut für Weltwirtschaft in einer jüngst publizierten Studie; allein der führende Autohersteller BYD sei 2022 mit Beihilfen von umgerechnet 2,1 Milliarden Euro bedacht worden. In Stellungnahmen meinten chinesische Regierungsvertreter, »innenpolitischen Erwägungen« hätten die US-Regierung im Wahlkampf zu diesen protektionistischen Maßnahmen verleitet. Man behalte sich »entschlossene Maßnahmen« vor, um die eigenen »Rechte und Interessen zu verteidigen«, hieß es aus dem Handelsministerium in Peking.

Doch auch in der EU zeigte man sich besorgt über diese Entwicklung. Man müsse »auf die Folgen dieses Handelskrieges vorbereitet sein«, warnte Dirk Jandura, der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), kurz nach Bekanntgabe der neuen US-Strafzölle. Sollte die Volksrepublik ihre Produktionsüberschüsse nicht mehr – wie bislang im Rahmen des pazifischen Defizitkreislaufs üblich – »ausreichend am amerikanischen Markt absetzen« können, dann würden der EU-Markt und »hier ansässige Produzenten« unter verstärkten Druck der chinesischen Exportindustrie geraten.

Warnung vor einer protektionistischen »Spirale«

Dennoch sprach sich der BGA-Präsident als »überzeugter Freihändler« gegen »EU-Strafzölle« aus, er favorisiert zeitlich begrenzte Maßnahmen wie Kontingentierungen. Ähnlich argumentierte der BMW-Vorstandsvorsitzende Oliver Zipse, der vor einer protektionistischen »Spirale« warnte: »Zölle führen zu neuen Zöllen.« Ola Källenius, der Vorstandsvorsitzende von Mercedes, ging in seiner Reaktion sogar einen Schritt weiter: Man solle den umgekehrten Weg gehen und »die Zölle, die wir haben, nehmen und sie senken«.

Tatsächlich sind die EU-Staaten gespalten in der Frage protektionistischer Maßnahmen gegen China. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz verwies – ganz auf Linie der hiesigen Auto- und Exportindustrie – auf die vielen europäischen Fahrzeughersteller, die in China erfolgreich seien und dort »sehr viele Fahrzeuge« absetzen könnten. Zudem würden 50 Prozent der aus China importierten Fahrzeuge dort von westlichen Herstellern gefertigt – entsprechend sind auch deutsche Fahrzeughersteller von den US-Strafzöllen betroffen.

In Frankreich und der EU-Kommission werden hingegen höhere Handelsschranken befürwortet, was nicht zuletzt auf divergierende Wirtschafts­interessen zurückgeführt werden kann. Frankreichs Fahrzeughersteller spielen in China faktisch keine Rolle, weshalb Präsident Emmanuel Macron auf Strafzölle drängt, da etwaige chinesische Gegenmaßnahmen sich auf die französische Wirtschaft nur schwach auswirken dürften. China drohte, unter anderem Strafzölle auf französische Alkoholprodukte zu verhängen. Die auf Deutschland zielenden Drohungen aus Peking sehen hingegen Zölle von 25 Prozent auf Fahrzeuge mit großen Motoren vor – wie sie BMW und Mercedes gewinnträchtig produzieren. Hinzu kommen deutsche Befürchtungen, China könnte die Lieferung essentieller Industrierohstoffe wie Seltene Erden, Kobalt oder Graphit kappen.

Weitere Strafzölle auf chinesische Autos

Diesen Machtkampf in der EU, bei dem auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen höhere Handelsschranken favorisiert, scheint Scholz bereits verloren zu haben. Am Mittwoch, nach der Europawahl, kündigte die EU-Kommission bereits weitere Strafzölle auf chinesische Autos an, die auf den bereits geltenden Zollsatz von zehn Prozent aufgeschlagen werden sollen.

Dabei ist in dieser Frage auch die deutsche Führungsschicht gespalten. Neben Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der »faire Wettbewerbsbedingungen« der EU gegen »Dumping-Angebote von außen« schützen wolle, plädierte auch das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) für maßvolle Strafmaßnahmen gegen den chinesischen Staatskapitalismus, wobei die Höhe der Zölle sich konform mit den Grundsätzen der World Trade Organization konform nach »der Höhe der wettbewerbsverzerrenden Subventionen« Chinas richten könnte.

Diese politische und wirtschaftliche Kontroverse über protektionistische Maßnahmen resultiert aus dem ökonomischen Dilemma, in dem sich nicht nur das exportfixierte deutsche Wirtschaftsmodell nach der Erschöpfung der finanzmarktgetriebenen neoliberalen Globalisierung wiederfindet. Aus diesem gibt es keinen allgemein vorteilhaften Ausweg. Entweder verzichtet die EU auf Zölle und lässt sich auf einen »bodenlosen und letztlich nicht finanzierbaren Subventionswettlauf« mit dem chinesischen Staatskapitalismus ein, wie es das IW formulierte, oder die EU führt Zölle ein, »um wieder gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen«. Freihandel führt somit zu finanzieller Zerrüttung und letztlich zu eben der Deindustrialisierung, die die immer stärker protektionistisch agierenden USA zu revidieren versuchen.

Zölle ziehen Zölle nach sich

Sollte die EU hingegen die angekündigten Zölle tatsächlich einführen, droht ein ausgewachsener globaler Handelskrieg – also eine protektionistische Eskalation, die mittelfristig nicht nur die deutsche Exportindustrie tangieren würde. Zölle ziehen Zölle nach sich, da alle großen Wirtschaftsräume bestrebt sind, ihre industrielle Basis zu schützen – was zum endgültigen Kollaps der Globalisierung führen könnte. Der Schutz der heimischen Märkte ­ruiniert letztlich den Außenhandel.

Dieses drohende Reenactment des krisenverschärfenden Protektionismus der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts wurde entscheidend durch die jüngste Inflationsphase befördert. Diese nötigte die Notenbanken zu einer re­striktiven Geldpolitik, wodurch der seit langem bestehenden, großen Liquiditätsblase die monetäre Befüllung genommen wurde. Da die Finanzmärkte der Industrie nicht mehr mittels Blasenbildung kreditfinanzierte Nachfrage bereitstellen können – gerade in China nach dem Platzen der dortigen Immobilienblase –, setzten die verhängnisvollen protektionistischen Reflexe ein, die die üblichen nationalistischen oder gar faschistischen Folgeerscheinungen nach sich ziehen dürften.

Letztlich konterkariert der Protektionismus des 21. Jahrhunderts, der sich vor allem auf High-Tech und »grüne« Industriezweige konzentriert, das politisch postulierte Ziel einer raschen ökologischen Transformation der spätkapitalistischen Wirtschaft. 

Letztlich konterkariert der Protektionismus des 21. Jahrhunderts, der sich vor allem auf High-Tech und »grüne« Industriezweige konzentriert, das politisch postulierte Ziel einer raschen ökologischen Transformation der spätkapitalistischen Wirtschaft. Um langfristig eine eigene »Ökoindustrie« aufzubauen, werden selbst in der manifesten Klimakrise durch Zölle die günstigeren Produkte der Konkurrenz verteuert. Der Protektionismus der US-Regierung treibe die Inflation an, monierte etwa die FAZ in einem Kommentar Mitte Mai. Faktisch handle es sich bei den Zöllen um Steuererhöhungen auf Importe, die vom US-Verbraucher bezahlt werden müssen.

Die US-Regierung hat nicht nur chinesische Elektroautos verteuert, auch Solarzellen sind mit 50 Prozent besteuert worden. Selbst bei Lithium-Ionen-Batterien werden nun 25 Prozent Zoll fällig. Das verlangsamt die massenhafte Anwendung dieser Technologien – den Verwertungsprozess aufrechtzu­erhalten, hat selbst in der manifesten Klimakrise Priorität vor dem ordinären Klimaschutz.

Aktualisiert am 12. Juni