In Mexiko hat zum ersten Mal eine Frau die Präsidentschaftswahl gewonnen

Triumph für La Presidenta

In Mexiko hat Claudia Sheinbaum von der regierenden sozialdemokratischen Partei Morena die Präsidentschaftswahl haushoch gewonnen. Auch bei den Parlamentswahlen gelang Morena ein überwältigender Sieg.

Cuernavaca. »In der 200jährigen Geschichte unserer Republik werde ich die erste Präsidentin sein. Und ich bin nicht allein hier, wir Frauen sind alle hier.« Nachdem spät am Wahltag, dem 2. Juni, die Wahlbehörde Instituto Nacional Electoral (INE) vorläufige Teilergebnisse bekanntgegeben hatte, waren das die ersten Worte, die die strahlende Siegerin der Präsidentschaftswahl, Claudia Sheinbaum von der sozialdemokratischen Regierungspartei Morena, kurz vor Mitternacht an die Mexikaner:innen richtete. Nach der ersten Schnellauszählung zeichnete sich bereits ab, dass der Physikerin jüdischer Herkunft ein überwältigender Sieg gelungen war.

Auf dem zentralen Platz Zócalo in Mexiko-Stadt verkündete Sheinbaum vor Tausenden von Anhänger:innen: »Ich werde Mexiko auf den Weg des Friedens, der Sicherheit, der Freiheit und der Gerechtigkeit führen. Ich verspreche euch, ich werde mit Demut und Verantwortungsbewusstsein regieren.« Die Rivalen von der Opposition gratulierten Sheinbaum zum Sieg und räumten ihre Niederlage ein. Von der im Wahlkampf so angriffslustigen Bertha Xóchitl Gálvez Ruiz vom politisch heterogenen Zweckbündnis Fuerza y Corazón por México (Stärke und Herz für Mexiko) kamen versöhnliche Töne: »Ich habe das Ergebnis anerkannt, weil ich Mexiko liebe … Es ist zweifellos ein historischer Meilenstein, dass unser Land seine erste Präsidentin haben wird.«

Nach dem blutigsten Wahlkampf in der Geschichte Mexikos – über 30 Kandidat:innen wurden getötet – kam es am Wahltag nur vereinzelt zu Gewaltverbrechen.

Erst am Abend des 8. Juni, als alle 60,1 Millionen Stimmen (bei insgesamt rund 98 Millionen Wahlberechtigten) ausgezählt waren, präsentierte der INE das definitive Wahlergebnis: Sheinbaum, die Kandidatin des Regierungsbündnisses Sigamos Haciendo Historia (Lasst uns weiter Geschichte schreiben), das ihre sozialdemokratische Partei Movimiento Regeneración Nacional (Morena) mit der Arbeitspartei (Partido del Trabajo, PT) und den Grünen vom Partido Verde Ecologista de México (PVEM) eingegangen ist, fuhr mit 59,75 Prozent der Stimmen einen hohen Wahlsieg ein. 35,9 Millionen Mexika­ner:in­nen stimmten für Sheinbaum; damit gewann sie fünf Millionen mehr als 2018 ihr Amtsvorgänger und Parteikollege Andrés Manuel López Obrador, genannt Amlo. Gálvez erhielt 27,45 Prozent der Stimmen. Jorge Álvarez Máynez von dem als sozialdemokratisch geltenden Movimiento Ciudadano (Bürgerbewegung) liegt mit 10,32 Prozent weit zurück. In einem teils hochpolemischen Wahlkampf gelang es Gálvez nicht annähernd, Sheinbaum, eine enge Vertraute von López Obrador, in Bedrängnis zu bringen – zu hoch der »Amlo-Bonus«, zu substanzlos die Opposition.

Außer der Präsidentin wurden nicht nur 500 Mitglieder der Abgeordnetenkammer und die 128 Mitglieder des Senats neu gewählt, sondern auch 31 der 32 Regionalparlamente und einige Gouverneure. Insgesamt triumphierte die Regierungspartei Morena mit ihrer Vorstellung einer »vierten Transformation« – die von López Obrador angestrebte linksliberale, soziale und wirtschaftliche Umgestaltung Mexikos (die ersten drei Transformationen waren die Unabhängigkeit von Spanien, die Reformen von Benito Juárez und die Revolution von 1910). Sieben der neun Gouverneursposten gingen an Morena. Der konservative Pan konnte sich nur in seiner Hochburg Guanajuato halten, während er Yucatán verlor, der MC nur in Jalisco. Morena wird nun 24 Landesregierungen führen (statt bisher 23). Auch Mexiko-Stadt bleibt in der Hand von Morena: 51,9 Prozent wählten Clara Brugada zur neuen Bürgermeisterin der Millionenmetropole; dieses Amt hatte von 2018 bis 2023 Sheinbaum inne.

Reform des Justizwesens

Auch bei den Kongresswahlen dominierte das von Morena angeführte Bündnis. In der Abgeordnetenkammer haben Morena, PT und PVEM insgesamt 372 Mandate errungen und somit die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit wiedererlangt. Im Senat verpasste das Regierungsbündnis mit 83 Mandaten die Zweidrittelmehrheit von 85 Mandaten nur knapp. Die neue Legislaturperiode beginnt am 1. September, einen Monat vor dem Amtsantritt Sheinbaums. Aufgrund der neuen Mehrheitsverhältnisse bieten sich für den scheidenden López Obrador nun bessere Chancen, einige der von ihm im Februar angekündigten Reformen zu verabschieden, darunter eine Reform des Justizwesens.

Nach dem blutigsten Wahlkampf in der Geschichte Mexikos – über 30 Kandidat:innen wurden getötet – kam es am Wahltag nur vereinzelt zu Gewaltverbrechen. Einige Wahllokale brannten, wie in der Gemeinde San Antonio de Cuautitlán Izcalli im Bundesstaat México (zu dem die Hauptstadt Mexiko-Stadt nicht zählt), Wahlurnen und -zettel wurden gestohlen, in Puebla wurden zwei Menschen in einem Wahllokal erschossen. In der Nacht auf den Wahltag wurde Israel Delgado, ein Kandidat des Regierungsbündnisses, vor seinem Haus in Michoacán von zwei Männern auf einem Motorrad erschossen – am nächsten Tag gewann er das Bürgermeisteramt der Kleinstadt Cuitzeo im Bundesstaat Michoacán. Das Amt wird sein Ersatzkandidat übernehmen. Jenseits dessen sprechen internationale Beobach­ter:innen allerdings von sauberen und fairen Wahlen.

Im von Gewalt und Machismo geprägten Mexiko lässt die Wahl einer Frau an die Staatsspitze Hoffnungen aufkeimen. Die Technokratin Sheinbaum pflegt einen weniger populistischen Politikstil als der charismatische Anführer López Obrador und zeichnet sich vor allem durch wissenschaftliche Expertise und Sachlichkeit aus. Oft wurde ihr vorgeworfen, ihrem Mentor López Obrador zu ergeben zu sein und keine eigenen Positionen zu vertreten. Sie selbst allerdings spricht von »Kontinuität mit eigener Handschrift«. Im Gegensatz zu López Obrador will die Klimaforscherin, die einen Doktortitel in Energietechnik hat, sich verstärkt für Frauen einsetzen und in der Energieversorgung neue Wege einschlagen: Die auf Erdöl basierende Energieproduktion Mexikos möchte sie Schritt für Schritt auf erneuerbare Energien umstellen.

Bekämpfung der Drogenkriminalität

Offiziell soll Sheinbaum ihr Amt am 1. Oktober antreten. Derweil arbeitet sie bereits an der Regierungsbildung. Offengelegt hat sie, dass Omar García Harfuch, ehemaliger Polizeichef von Mexiko-Stadt, und Ernestina Godoy Ramos, ehemalige Generalstaatsanwältin von Mexiko-Stadt und Morena-Gründungsmitglied, zu ihrer Regierung gehören sollen – ein Hinweis darauf, wie wichtig ihr die Themen Sicherheit und Justiz sind. Es wird gemunkelt, dass sie den ehemaligen Außenminister Marcelo Ebrard zum Wirtschaftsminister ernennen will, einen Kenner der immens wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu den USA. Finanzminister Rogelio Ramírez de la O könnte sein Amt behalten. Der ehemalige Gesundheitsminister Juan Ramón de la Fuente Ramírez soll die Regierungsübergabe koordinieren, die in der zweiten Juniwoche beginnt.

Sheinbaum steht vor der schwierigen Aufgabe, aus dem Schatten ihres – trotz Protesten gegen einige seiner Reformen – beliebten politischen Ziehvaters Obrador zu treten und politische Kontinuität mit Wandel zu vereinen: die gute wirtschaftliche und soziale Bilanz der amtierenden Regierung soll fortgesetzt, dagegen einen Wandel bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens eingeleitet werden. Denn beim für die Mexikaner:innen wichtigsten Thema, der Bekämpfung der Drogenkriminalität, hat López Obrador versagt. Ob Sheinbaum da mehr gelingt, wird sich in den kommenden sechs Jahren zeigen.