Schlingensief-Aktion in Wien

Das Spiel ist aus, das Spiel geht weiter

»Bitte liebt Österreich»: Christoph Schlingensief hat die Bildproduktions-Maschine angeworfen. Achtung, kein Theater!

Schlingensief-AktioVierter Tag des 3-D-Chats am Herbert-von-Karajan Platz in Wien: Echauffierte Passantinnen, NLP-trainierte FPÖ-Agitatoren, geduldig linke AufklärerInnen und verwunderte TouristInnen debattieren in der Buttersäurewolke über die »Ausländer«. Welche wo weshalb mit welchen Folgen raus oder bleiben sollen. Im Schrebergarten der Ressentiments gedeihen Rassismus und Antisemitismus, und immer wieder werden Fragen ausgegraben, wo denn die Juden das Geld hergehabt haben und ob sie nicht selber an ihrer Verfolgung schuld gewesen seien.

Seit Stunden kreischt eine kleine dicke, grauhaarige Frau »Bravo Haider! Piefkes raus! Bravo Haider! Piefkes raus!«, bis endlich der Regisseur ihr zuruft: »Frau Schröder, sie können jetzt mal Pause machen.« Sie will keine Pause. Mit sich überschlagender Stimme giftet sie den Regisseur an: »Was habt ihr Piefkes aus unserem friedlichen Land gemacht?« Mit diesem Satz ist klar: Frau Schröder heißt wohl eher Kolaritsch, Horvath oder Novotny, und ihr Bühnen-Text stammt von ihr selber. Es ist der Mechanismus der Entschuldung Österreichs vom Nationalsozialismus, mit dem sich die hysterische Haider-Wählerin reflexartig gegen den Vorwurf des Rassismus verteidigt: Wir waren's nicht, die Deutschen waren's, die Piefkes. Ein Mechanismus, der bis in die Kommentare der Tageszeitungen hinein wirksam ist.

Die FPÖ-Sicherheitssprecherin Helene Partik-Pablé spricht sich gegen jede Lockerung der Schubhaftbestimmungen für Minderjährige und für den FPÖ-Wahlslogan »Stopp der Überfremdung« als Mittel für ein »friedliches Zusammenleben von Österreichern und Ausländern« aus.

Schlingensiefs Container mit AsylbewerberInnen vor der Wiener Staatsoper lässt die Bevölkerung zu DarstellerInnen ihrer selbst werden - insofern war das Ansinnen der Stadtpolitiker sinnlos, PassantInnen mit großen Warntafeln »Achtung Theater!« vor der Aktion zu schützen. Die Black Box der Schlingensief-Company zwingt irgendwie alle zur Selbstdarstellung der eigenen Identität, und gleichzeitig gelingt die Demaskierung.

Allen voran die der Leute, die sich als FPÖlerInnen geben und seit Wochen mit dem üblichen »Unsere ordentlichen Steuergelder nicht für Sudelkunst»-Argument gegen das Projekt antoben und nun den Regisseur mit Strafanzeigen unterstützen. Die Parole »Ausländer raus«, auf dem Container angebracht, betreibe Verhetzung. Der SS-Spruch »Unsere Ehre heißt Treue«, mit dem der niederösterreichische FPÖ-Funktionär Ernst Wildholz vor einigen Wochen seine ParteigenossInnen grüßte, müsse - auf dem Container angebracht - als nationalsozialistische Wiederbetätigung begriffen werden. Die ÖVPlerInnen, die Regierung spielen und die von Schlingensief aufgefordert werden, mit ihm gemeinsam das skandalöse Transparent abzuhängen, kapitulieren vor dieser Aufgabe: Zwar will man die Provokation an dieser touristischen Top-Adresse nicht dulden, aber abhängen will man das Transparent auch nicht, dies würde bedeuten, das Schlingensief-Projekt anzuerkennen und dabei mitzumachen. Besonders lächerlich sind Leute in den Rollen der KultursprecherInnen der Parteien, die für die Freiheit der Kunst plädieren, aber ... Je weiter rechts, umso mehr »aber«.

Die Kronenzeitung, die unermüdlich das Klischee vom afrikanischen Drogendealer - inzwischen das Hauptstereotyp rassistischer Phantasmen - geprägt hat, geriert sich als Anwältin beleidigter AusländerInnen. Mit dabei: die Komparserie der alldonnerstäglichen Widerstandsdemos. Im dritten Akt des Stückes stürmen Frauen mit roter Fahne den Container, demolieren das Ausländer-raus-Schild, von dem sich alle Rechten vier Tage lang belästigt fühlten. Mit der Stürmung der Container-Bastille spielt sich der Widerstand als Operette seiner selbst und liefert mal wieder brauchbare Fernsehbilder. Vielleicht ist der »echte« Widerstand gegen die Regierung nicht weniger theatralisch als das Widerstandsspiel im Schlingensief-Gehege? Und dient den gleichen Zwecken nationaler Entschuldung?

Auch die medialen MitspielerInnen, denen es freisteht, in der »Big Brother»-Parodie per Telefon den »Schübling« des Tages zu bestimmen oder jemandem durch Heirat ein Bleiberecht zu sichern, verhalten sich maßstabsgetreu, zumindest das Verhältnis zwischen Abschiebungswünschen und Rettungsangeboten (6 000 : 6) entspricht den realen Verhältnissen. Und die zwölf Flüchtlinge, die in der Sommerhitze schmoren, dem Gestank der Buttersäureangriffe ausgeliefert sind und von der Überwachungskamera beobachtet werden, setzt das Projekt als »Fälle«, als Objekte des Hasses oder der Hilfe den gängigsten Formen der Nichtanerkennung aus.

Mit den Mitteln von Überaffirmation und paradoxer Intervention hat Schlingensiefs »Bitte liebt Österreich« womöglich interessantere politische Effekte erzielt als die plump-undialektische Negation der Repräsentanten des »anderen Österreich«. Das Spiel ist aus, das Spiel geht weiter: für die Flüchlinge, die Haider-Leute und die prominente Männerriege des bürgerlichen Widerstands gegen Schwarz-Blau. n in Wien