Deutschland vs. Matthäus

Lothars Welt

Es ist nichts Neues mehr, dass sich die deutsche Fußball-Nationalelf bis auf die Knochen blamiert. Neu ist, dass sie bei einem großen Turnier schon nach zwei Spielen so gut wie raus ist. Ganz Europa freut sich, ganz Deutschland schimpft. Vor allem auf einen Mann, den vorher alle verehrt haben: Lothar Matthäus. Zu alt, zu lahm, nicht fit, nicht fähig zur Selbstkritik, so lauten die gängigsten Vorwürfe.

Vor der EM waren alle noch stolz auf ihren Lothar. Und er war ja wirklich der einzige der Profis mit deutschem Pass, der einen Pass über mehr als 30 Meter spielen konnte. Dass alle Welt Hohn und Spott über die deutschen Fußballrentner ausgoss, interessierte hierzulande niemanden. Lothar war ein Symbol des Trotzes für die Menschen jenseits der 30, des Trotzes gegen eine Welt, in der das Altern die schlimmste aller Sünden ist.

Natürlich hat sich diese Welt nicht geändert. Und natürlich ist kein zweiter Spieler mit deutschem Pass aufgetaucht, der einen 30-Meter-Pass spielen konnte. Die deutsche Nationalmannschaft hat versagt, weil sie nicht Fußball spielen kann. Und das deutsche Volk hat einen Sündenbock gesucht und gefunden, weil es nicht wahrhaben will, dass es keinen Schuldigen gibt, sondern dass das deutsche Volk einfach zu ungeschickt zum Fußballspielen ist.

Für Lothar aber wurde die EM so zu einem unschönen Abschluss seiner einmaligen Karriere. Wie einst Helmut Kohl ist er der Einzige, der nicht weiß, was um ihn herum vorgeht. Lothars Fenster zur Welt ist die Bild-Zeitung, die aber hat sich Lothar als eine Art Kohl des Fußballs auserkoren und beschlossen, Lothars Welt in Ordnung zu halten, war in dieser Hinsicht einmal nicht Stimme des blöden Volkes, sondern Stimme des guten Lothar. So haben beide, Bild und Lothar, sich von den aus Verzweiflung über die deutsche Unfähigkeit zum Fußballspiel schimpfenden Restmedien abgekapselt, trotzig, aber dadurch, im Falle von Bild zum ersten Mal, nicht unsympathisch.

Beim Aufbau und Erhalt dieser Welt geholfen haben Lothars charakterschwache Kollegen. Sie murrten über ihn, sie wollten ihn loswerden, hatten schon den überschätzten Jens Nowotny als Nachfolger ausgeguckt, aber keiner hatte genug Würde, dies Lothar als potenziell künftigem Chef ins Gesicht zu sagen und damit die eigene Karriere zu riskieren. Denn dass die EM ein Reinfall würde, Ribbeck anschließend abtreten und in nicht allzu ferner Zeit Kollege Matthäus Bundestrainer werden würde, das schwante ihnen irgendwo im Hinterstübchen.

Lothar aber, weil er nur Bild liest, erhielt immer erst von den Reportern anderer Zeitungen Hinweise auf den Stimmungsumschwung im deutschen Fußballvolk. Dann stand er reichlich blöde da, wie einst Kohl, ahnungslos und weltfremd. Und weil er zwar kluge Gedanken hat, sie aber nicht ausdrücken kann, schimpften die frustrierten Wir-Sager auf den Deppen Lothar.

Immerhin: Wirkliche Freunde des Fußballs, die in diesem Land leben wollen oder müssen, profitieren von der Blamage der deutschen Elf: Sie werden endlich von der öden und unwürdigen teutonozentrischen Ursachen-für-das-Versagen-Suche im Fernsehen verschont und können sich unbehelligt Spiele von Mannschaften angucken, die Fußball spielen können.