Übergriffe gegen griechische Roma

Pogrom nach Punkten

In einer griechischen Kleinstadt wollen Bürger die Roma-Bevölkerung loswerden.

Nea Kios liegt günstig: Zwischen Nafplion und Argos, den beiden größten Städten des Ostpeloponnes, in der Nachbarschaft der Ausgrabungsstätten von Epidauros, Tyrinth und Mykene und am Meer. Die Touristen, die hierher kommen, fühlen sich wohl.

Ungefähr 500 Roma, von denen die meisten seit zehn Jahren in Nea Kios leben, denken dagegen an Flucht. Seit Mitte Mai offener Rassismus ausgebrochen ist, ist Nea Kios für sie kein sicherer Aufenthaltsort mehr. Die Roma wagen sich nicht mehr in die Stadt, ihre Kinder gehen aus Angst nicht zur Schule, die Kaufleute verkaufen ihnen nichts mehr, und ständig laufen sie Gefahr, zusammengeschlagen und ausgeraubt zu werden.

Am 9. Juni um halb zehn Uhr abends kocht in einer Baracke eine schwangere Mutter von fünf Kindern zusammen mit ihrer Schwägerin das Abendessen, als eine Gruppe von Männern auftaucht. Ohne Zögern zünden die Männer die Baracke an; die zwei Frauen samt der Kinder jagen sie in die dunklen Orangenfelder.

Eine Woche später wird ein 17jähriger angeschossen, er trägt eine Wunde am Arm davon. Weil die Ärzte im nahen Argos die Behandlung verweigern, wird er in ein Athener Krankenhaus gebracht. Dort wird er in Haft genommen: In der Nähe seines Hauses, heißt es, sei »ein Sack voll mit Drogen und Waffen« gefunden worden. Seine Mutter, die die Unschuld ihres Sohnes beteuert, wird wegen Meineids ebenfalls festgenommen.

Die Polizei kümmert sich nicht darum, die Täter ausfindig zu machen, die auf den jungen Rom geschossen haben. Tag und Nacht wird er im Krankenhaus bewacht. Beim Schichtwechsel, so berichtet die Wochenzeitung I Epochi (Die Zeit), flüstert ein Polizist seinem Kollegen zu, er solle dem 17jährigen bei der leisesten Bewegung Handschellen anlegen, obwohl sein Arm in Gips ist.

Anfang der neunziger Jahre hatten sich die Roma an dieser Ecke des Peloponnes niedergelassen, seitdem verdienten sie sich ihren Lebensunterhalt als Erntehelfer in den Orangenhainen. Als billige Arbeitskräfte waren sie geduldet - bis die Albaner, Rumänen und Polen kamen, die noch billiger waren. Plötzlich waren die Roma für die lokalen Kleinkapitalisten überflüssig.

Ohne konkreten Anlass setzte am 20. Mai der Stadtrat der Kleinstadt »das große Problem, das durch die unkontrollierte Tätigkeit der Zigeuner entstanden ist«, auf seine Tagesordnung. Der Magistrat verabschiedete ein aus 17 Punkten bestehendes Verordnungspaket, das die Entrechtung der Roma regelte. Darin wurden unter anderem Wachdienste eingeteilt, die dafür zu sorgen haben, dass sich die Roma dem Stadtgebiet fernhalten.

Die Posten nehmen ihre Aufgabe ernst: Als eine 12jährige zusammen mit ihrer Mutter die Absperrung ignoriert, um in der Stadt ein dringend benötigtes Arzneimittel zu holen, werden die Stadtwächter auf sie aufmerksam. Das Mädchen wird von mehreren Männern verprügelt und mit sechs Platzwunden ins Krankenhaus eingeliefert.

Die Nachbarstädte ruft der Stadtrat dazu auf, sich mit Nea Kios zusammenzuschließen, »um sich kollektiv mit dem Problem auseinanderzusetzen«. Als »Anstifter« bezeichnet das Gremium diejenigen Bürger, die den Roma Grundstücke verkauft hatten. »Anstifter« welcher Tat, um welches »Problem« ging es? Wenn es gegen Roma geht, ist der Vorwand in ganz Europa der gleiche: Kriminalität. Durch Drogengeschäfte und verbreiteten Waffenbesitz sollen die Roma zum Anstieg der Kriminalität beigetragen haben. Als auffiel, dass viele ihrer Hütten gegen Bauvorschriften verstoßen und dass oft Strom geklaut wurde, wurden sofort Strom- und Wasserleitungen unterbrochen.

Die Roma hatten ihre Grundstücke ganz legal gekauft. Aber in jüngster Zeit wurde die Stadt in große regionale Umstrukturierungspläne einbezogen. Nun hofft man in Nea Kios auf einen Geldsegen von der EU. »Es kann keine touristische Entwicklung in einer Stadt geben, wenn daneben ein Barackendorf liegt«, beschrieb der Bürgermeister gegenüber Journalisten aus Athen die Ursache des Pogroms.

Die Fremden sollen zwar Geld bringen, aber sie sollen nicht zur falschen Zeit und nicht mit anderen Absichten kommen, als ihre Füße ins warme Mittelmeer zu strecken und ihr Geld in den örtlichen Tavernen zu lassen. Als Journalisten von I Epochi zusammen mit Mitgliedern anderer linker Gruppen die Roma-Siedlung besuchten, um sich ein Bild von der Situation zu machen, sahen sich die 40 Angereisten rund 1500 Einheimischen gegenüber, die sie nicht in die Stadt lassen wollten und drohten, sie zu verprügeln. Obwohl sich der Besuch vorher eigens bei den Behörden angekündigt hatte, die ihrerseits dafür sorgen wollten, dass es zu keinen Ausschreitungen kommt, schritt die Polizei nicht ein.

Nea Kios gilt eher als linke denn als rechte Hochburg: Der Bürgermeister gehört der sozialdemokratischen Pasok an, der Vorsitzende des Stadtrats sogar der kleinen Linksallianz. Einstimmig wurden die 17 Punkte, mit denen die Rechte der Roma beschnitten wurden, im Magistrat beschlossen; das ganze Spektrum der so genannten Linken stimmte zu. Die Parteiorganisationen von Pasok, Linksallianz und KP haben sich zwar von den rassistischen Übergriffen distanziert, aber auf der Jagd nach Stimmen haben sie scheinbar ganz objektiv »das Problem der Kriminalität anerkannt« und damit die rassistisch motivierten Ausschreitungen mittelbar gerechtfertigt.

Der griechische Staat hat einen »Krisenstab« eingerichtet, der sich mit der Sache befassen soll. Dieser Stab schlug nach kurzer Beratung vor, die Roma könnten ihre legal und teuer erworbenen Grundstücke gegen andere tauschen, deren Gesamtfläche ein Achtel der jetzigen beträgt.

Geschäfte von Roma, scheint auch die implizite Argumentation der Kommission zu sein, müssen kriminelle Geschäfte sein. Die Roma selbst streiten nicht ab, dass es in ihren Kreisen eine gewisse Delinquenz gibt. »Wenn es unter uns Verbrecher gibt, dann soll die Polizei sie überführen und uns in Ruhe lassen«, kommentiert ein Rom aus Nea Kios.

Davon, dass ein besonderes großes Ausmaß an Kriminalität in der Gegend die Ursache für die Pogrome in Nea Kios wäre, kann freilich auch keine Rede sein: Die linksliberale Tageszeitung Eleftherotypia veröffentlichte die Kriminalstatistik des Polizeireviers von Nea Kios. Die überraschende Erkenntnis: Die Delinquenz in Nea Kios lag mit einem Mordversuch, 38 Diebstählen, drei Drogenfällen und - typisch für ländliche Gegenden in Griechenland - 95 Verstößen gegen das Waffengesetz im letzten Jahr unter dem griechischen Durchschnitt. Wie viele dieser Waffen jetzt gegen die Roma gerichtet werden, das hält der Bericht nicht fest.