Jüdische und palästinensische Friedensgegner

Kein gutes neues Jahr

In der Beurteilung von Ariel Sharons Besuch auf dem Tempelberg war man sich von der israelischen Linken bis ins liberale Establishment schnell einig. Von einer »kalkulierten Provokation« sprach die Friedensgruppe Gush Shalom, und Akiva Eldar meinte in der Zeitung Ha'aretz, dass »die zehn Tage der Scham und Besinnung zwischen Neujahr und Yom Kippur für Scharon nicht ausreichen« würden.

Bei den Linken hielt man sich mit der Kritik an Sharon allerdings nicht lange auf. Sofort geriet stattdessen Ministerpräsident Barak ins Visier. Nicht nur, dass er den Besuch Sharons auf dem Tempelberg zugelassen hatte, machte ihn in deren Augen zum eigentlich Verantwortlichen für das Blutvergießen. Während Barak vollmundig seine Friedensabsichten äußere, habe sich an der Praxis der Besatzung nichts geändert. »Wenn irgend jemand für das schändliche Begraben der Osloer Vereinbarungen und einen möglichen chaotischen Zusammenbruch in den besetzten Gebieten verantwortlich ist«, so der Soziologe Baruch Kimmerling in Ha'aretz, »dann Ministerpräsident Barak.«

Nun muss man natürlich Sharons Argument

zustimmen, jedem Juden müsse der Zugang zum Tempelberg möglich sein. Ob gleich die halbe Likud-Fraktion mit Sharon an der Spitze und einer kleinen Armee von tausend Mann dort einfallen musste, steht auf einem anderen Blatt. Allerdings wurde die Eskalation von der palästinensischen Seite nicht weniger vorangetrieben als vom israelischen Militär. Allein aus der Provokation lässt sich der Aufstand also genauso wenig erklären wie aus der Situation unter der Besatzungsherrschaft.

Auch bei den Palästinensern sind die internen Machtkämpfe wohl entscheidender. Der Aufstand ist zum Teil ein von Arafat geduldeter Aufstand gegen die Israelis, der seine Position in den eigenen Reihen festigen soll. Er ist zum Teil aber auch ein Aufstand gegen Arafat. Sollten die Palästinenser hoffen, auf der antiisraelischen und antisemitischen Welle schwimmen zu können, die durch die arabische Welt und Teile Europas schwappt und die in Deutschland mit Anschlägen auf Synagogen traurige Höhen erreicht, so kann man für den Friedensprozess nur schwarz sehen.

Insofern werden die Entscheidungen über den Friedensprozess wohl weniger zwischen Palästinensern und Israelis getroffen als innerhalb der beiden Parteien. Die Hoffnung der Friedensbewegung, dass Sharons Eskapaden die Chancen für eine Regierung der Nationalen Einheit verringern würden, scheint sich zerschlagen zu haben. Spätestens seit den Zwischenfällen an der libanesischen Grenze kommen sich nicht nur Barak und Sharon näher, auch die Vertreter der anderen Parteien, von Shas bis Meretz, unterstützen diese Absichten und wollen sich an einer Notstandsregierung beteiligen. Die Bedingung der rechten Parteien dafür ist allerdings Baraks Verzicht auf die in Camp David erreichten Annäherungen. Eine große Koalition wäre wohl das vorläufige Ende des Friedensprozesses.

Das Bemerkenswerteste der letzten Tage ist aber der Aufstand der arabischen Israelis. Noch nie zuvor hatte es derart gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen der israelischen Armee und diesem Teil der eigenen Bevölkerung gegeben. Für die arabischen Israelis stehen sie jedoch in der Kontinuität einer sozialen Benachteiligung und eines politischen Ignorierens, wie sie es sich gerade von dieser Regierung nicht erwartet hätten.

Unklar ist, inwieweit die arabisch-israelische

Elite für die Unruhen mitverantwortlich ist. Einige dieser Politiker haben allerdings ohne zu zögern mitgemacht. Dahinter steht nicht nur eine zunehmende Hinwendung der arabischen Israelis zum palästinensischen Nationalismus, sondern auch eine zunehmende Islamisierung dieser Schicht. Es zeichnet sich hier eine ähnliche Entwicklung ab wie im jüdischen Teil der israelischen Gesellschaft, von der dort vor allem die Shas-Partei profitiert. Für den Friedensprozess sind beide Entwicklungen keine guten Voraussetzungen, und Barak wäre gut beraten, sich dieser innerisraelischen Konflikte anzunehmen.