Jojo-Meisterschaften auf der Expo

Melk die Kuh

Vom Spielzeug zum Sportgerät? Die deutschen Jojoisten hoffen auf den Expo-Boom.

Papa, filmst du mich? Holst du was zu essen? Krieg ich eine Cola? Wo ist mein Rucksack?« Dem Mittvierziger ist an diesem Oktobersonntag nichts zu nervig. Voller Stolz verwaltet er das Materiallager des Jojo-Teams »Luftikus« aus Münster, dem sein zwölfjähriger Sohn und vier Kumpel angehören. Eben hatte es den großen Auftritt bei den dritten »German Yo-Yo-Masters« in der »Karstadt Fun-Sport-Halle 19« auf der Expo in Hannover. Höhepunkt der aufwendig choreographierten Performance zu einem Fifties-Rock'n'Roll-Potpourri war eine menschliche Pyramide, am Ende gab's für die Münsteraner immerhin den zweiten Platz in der neuen Disziplin »Team-Freestyle«.

»Jetzt kommt der Chef«, raunt ein aufgeregter Teenie mit Anti-Nazi-Sticker und geschmuggelter Bierdose, als Dennis Schleußner aus Hamburg die Bühne betritt. Im Winter 1997 hatte er sich das Außenband beim Skateboardfahren in einem Parkhaus abgerissen; deshalb spielt er nun eben mit den kleinen Schwungrädern.

Seit drei Jahren peppen die »Masters« das Rahmenprogramm von Jugendmessen auf; Dennis hat sie regelmäßig gewonnen. Gekonnt kombiniert er schwierige Tricks wie »Melk the Cow«, »Ride the Horse« oder »Circle to the Sky« mit dem eingespielten Beatles-Hit »Help«. Auch diesmal ist er nicht zu schlagen. Ob im Stehen, Sitzen oder Liegen, ob einhändig oder beidhändig - das Jojo soll drei Minuten lang nicht zur Ruhe kommen, es darf nicht »umkippen« und das Ganze muss zur Musik passen. Das schafft man mittlerweile nur noch, wenn man reales Leben mit virtuellem verknüpft: »Du kannst so viel trainieren, wie du willst. Du brauchst einfach den Flow- und einen Internetzugang«, grinst Schleußner.

Von den mittlerweile mehreren hundert, oft von Herstellern oder Händlern betriebenen Yo-Yo-Homepages kann man sich die neuesten Tricks der Konkurrenz herunterladen - oder dort seine eigenen veröffentlichen und so in die Geschichte eingehen. Und jeder kann sich im Internet z.B. mit der US-Meisterin Jennifer Baybrook messen, ohne die Wohnung verlassen zu müssen. Dieser Globalisierung der Szene und dem Neunziger-Trend zu individuellen und »kreativen« Fun-Sportarten schreiben Kenner den seit etwa 1995 existierenden jüngsten Jojo-Boom zu.

An den letzten Boom des Jojos in der Bundesrepublik kann sich bestimmt jeder erinnern, der Anfang der Achtziger zur Schule ging. In einer »Wetten, dass«-Sendung hatten damals zwei Kandidaten mit ihren Jojos tausend auf dem Boden befestigte Streichhölzer entzündet. Anschließend war das Spielgerät ein Pflichtutensil auf deutschen Schulhöfen, den Spielzeughändlern ging es gut.

Auch der vorletzte Hype, der in den Dreißigern einsetzte, war das Ergebnis einer gewieften Vermarktungsstrategie. Auf die Idee, Jojos in Serie zu produzieren, war als Erster der von der Philippinen in die USA eingewanderte Studienabbrecher und Liftboy Pedro Flores gekommen. Aber nicht Flores verdiente das große Geld, sondern Donald Duncan, der in Philadelphia eine Spielzeugfabrik betrieb und zudem als Erfinder der Parkuhr gilt.

Duncan kaufte Flores 1930 dessen Firma ab und ließ sich 1931 ein neuartiges Leerlauf-Jojo und den Namen »Yo-Yo« - philippinisch für »Komm zurück« - patentieren.

Duncans »Sleeper« ermöglichte viele Tricks, die mit Flores' klassischen Auf-und-Ab-Jojos nicht zu schaffen waren. Das wahre Erfolgsgeheimnis des Duncan-Yo-Yos - es wurde in den folgenden Jahrzehnten über 600 Millionen Mal verkauft und in die »Hall of Fame« für Spielzeuge aufgenommen - war jedoch ein pfiffiger Deal mit dem Zeitungsmogul William Randolph Hearst. Der warb in seinen Massenblättern kostenlos für Duncans Spielgerät, berichtete über die von Duncan veranstalteten Wettkämpfe und machte die hauptberuflichen Jojo-Promotion-Leute zu Stars. Im Gegenzug musste jeder, der an Jojo-Contests teilnehmen wollte, drei Abonnenten für Hearst werben.

Der Altjojoist und Trickbuchautor Harry Baier hat recherchiert, dass Do-nald Duncan auf diese Weise Anfang der Dreißiger monatlich zwischen zwei und drei Millionen Jojos absetzten konnte. Der Trend kam schnell nach Europa, verebbte dort aber während des Zweiten Weltkrieges - anders als etwa in Japan, wo das kleine Spielzeug so erfolgreich wurde, dass seit Jahrzehnten offizielle Schülerwettbewerbe durchgeführt werden und viele Japaner das Jojo für eine einheimische Erfindung halten.

Woher das nach der Puppe älteste Spielzeug der Welt aber tatsächlich kommt, ist bis heute nicht geklärt. Die meisten Spieler glauben an die Philippinen-Theorie: In der Steinzeit habe dort ein steinernes Killer-Jojo als Jagdwaffe gedient. Dafür gibt es allerdings keinerlei Beweise. Fest steht jedoch, dass es zumindest den Griechen schon bekannt war: Im Berliner Antikemuseum steht eine Vase, auf der unverkennbar ein Jojo-Spieler abgebildet ist. Den Weg ins neuzeitliche Europa hat das Schwungrädchen allerdings offenbar von Indien aus angetreten. Im frühen 18. Jahrhundert tauchte es als koloniale Kuriosität unter dem Namen »Bandalore« zuerst in England auf. Karikaturisten der französischen Revolution benutzten das Jojo als Symbol für die Dekadenz und Nutzlosigkeit des Adels, nach Deutschland kam es zuerst unter dem Namen »l'emigrette« mit den Revolutionsflüchtlingen. Historische Personen wie Napoleon und Lord Wellington sollen, nach zeitgenössischen Berichten, ihren Feldherrenstress mit Jojo-Spielen abgebaut haben.

Auf der Expo sind nur wenige an der Geschichte des Jojos interessiert. »Meine Damen und Herren! Sie sind privilegiert! Sie sehen großen internationalen Jojo-Sport!« Mit seinen superlativischen Tiraden gibt der dynamische Host bei den Jojo-Meisterschaften in Hannover die Marschroute vor: Weg vom Spielzeug-Image, hin zur Funsport-Disziplin. Dazu sind Sponsoren nötig, und die Organisation in Verbänden ist unerlässlich. Zum Glück kann man damit seit Anfang 2000 schon dienen; die neue Deutsche Yo-Yo-Vereinigung GYYA hat derzeit immerhin 50 Mitglieder, sie veranstaltet Meisterschaften und Jojo-Camps. »Jumper« Markus Springer ist eine weitere Institution. Er stellt die buntesten Webseiten, die je ein Zeigefinger anklickte, ins Internet und sorgt so mit Diskussionsforen und Chatrooms für die interne Kommunikation der Szene.

An Geldgebern mangelt es jedoch. Bei den »Masters« war kein einziges Sponsorenbanner zu sehen, die Ausrichter haben nicht einmal das Geld, die Sieger auf Verbandskosten zu internationalen Wettkämpfen zu schicken. Doch das soll sich ändern. »Noch nie hatten wir so viel Aufmerksamkeit wie hier auf der Expo«, meint Dennis Schleußner, der nicht nur sportlicher Protagonist, sondern auch Kassenwart der GYYA ist. Er zeigt eine Ausgabe der Messezeitung Expo 2000 News, die mit den Jojo-Masters aufmacht. »Da muss doch was drin sein.«

Vorerst jedoch scheint es den Startup-Sportlern mit ihrem historischen Toy nicht anders zu gehen, als vielen ihrer Kollegen aus der Dotcom-Branche: Melken würden sie ja gerne - wenn sich nur eine Kuh fände.