Neue Zweifel an den Kosovo-Kriegsgründen

Racak heißt jetzt Reçak

Als die ersten Bomben auf Belgrad gefallen waren, ließen die Lügen nicht auf sich warten. »Wir führen keinen Krieg«, beteuerte Bundeskanzler Schröder am Abend des 24. März 1999 im deutschen Fernsehen, »aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen.«

Um so weit zu kommen, hatte die rot-grüne Kriegstroika schon einige Propagandaschlachten hinter sich gebracht - angefangen beim Streit um die bis heute unbewiesene Behauptung, dass erst das »Hinschlachten von Zivilisten durch die Serben im Januar in Racak« (Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt) der Auslöser für den 78-tägigen Bombenhagel gewesen sei. Was dann folgte, weiß man bis heute nur in Teilen: ein von der Nato mit radioaktiv kontaminierten Geschossen geführter Angriffskrieg jedenfalls, in dem das Bombardement von Flüchtlingstrecks ebenso billigend in Kauf genommen wurde wie die Verseuchung ganzer Landstriche.

»Racak war für mich der Wendepunkt«, erklärte Außenminister Joseph Fischer damals. Diese Aussage wiederholt er heute noch, doch im historischen Rückblick wird aus der Kriegsbegründung eine Friedenswende. Nach dem 15. Januar 1999, so Fischer, habe die deutsche EU-Ratspräsidentschaft die diplomatischen Anstrengungen für ein Kosovo-Abkommen mit der Konferenz von Rambouillet erst richtig intensiviert. Rot-Grün habe kein Mittel ausgelassen, die Belgrader Führung von einer zivilen Lösung zu überzeugen.

Militante oder militärische biographische Etappen in wahlweise demokratische oder antifaschistische Lernprozesse umzudeuten, hat der Außenminister gelernt: Auschwitz - Frankfurt - Srebrenica. So fällt ihm auch im Fall Racak die Lüge leicht. Dass jene von den grünen Anhängern ziviler Konfliktlösung so gelobte Kosovo-Mission der OSZE nach dem 15. Januar endgültig zur Hilfstruppe der Nato degradiert wurde, wird in Fischers Version der Vorkriegsgeschichte verschwiegen. Und auch davon, dass der Friedenspfad von Rambouillet geradewegs in die Besetzung Südserbiens durch Nato-Truppen und Uno-Protektoren führte, spricht der Ökobomber nicht.

Mit einem »sei's drum« soll Fischer dem Einsatz von Molotow-Cocktails 1976 eher spitzbübisch zugestimmt haben. Und in augenzwinkernder Kumpanei pflichten ihm, Schröder und Scharping heute auch jene bei, die schon 1999 keine Gründe brauchten, um den ersten deutschen Krieg nach 1945 zu begrüßen. »Die, die schon immer gegen die Nato-Intervention waren, wollen noch einmal Recht behalten«, schrieb Christoph von Marschall nach den neuen Zweifeln an der Nato-Version der Tatumstände von Racak letzte Woche im Tagesspiegel. Und Mathias Rüb warf in der FAZ den Kriegsgegnern vor, »die Ereignisse von Reçak als vom Westen erfundene(n) Vorwand« präsentiert zu haben, »mit dem der Weg für den politisch gewollten Luftkrieg frei gemacht werden sollte«.

Doch so wie 1991 Fischers Vorgänger an der Spitze des deutschen Außenministeriums, Hans-Dietrich Genscher, sich über die Umbenennung Lubljanas in Laibach freute, so sehr haben Fischer, Scharping und Konsorten im Jahr Zwei nach dem Krieg Gefallen an der schönen Kosovo-Welt gefunden. Racak heißt jetzt Reçak, und wo vor zwei Jahren noch Uransplitter die jugoslawischen Truppen stoppen sollten, gedeiht heute ein völkisches Biotop, das an ethnischer Kontamination nichts zu wünschen übrig lässt.