Debatte um Castor-Transporte

Dein Müll, mein Müll

Der Castor kommt: Während die Grünen Stillhalten predigen, diskutiert die Antiatom-Szene, ob Blockaden nicht vor allem Heimatschützern nutzen.

Es geht um einen Deal, dem man den Arbeitstitel »Müll gegen Müll« geben könnte. Genauer: Es geht um ein deutsch-französisches Atommüll-Geschäft, bei dem auch die Frage gestellt wird, ob sich jeder Staat um seinen eigenen nuklearen Dreck kümmern solle, ob es sozusagen einen deutschen Müll-Imperialismus gebe. Oder, kurz gesagt, ob es korrekt oder eben inkorrekt sei, wenn Ende März sechs mit hochradioaktivem Atommüll beladene Castor-Behälter von der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague zurück in das BRD-Zwischenlager Gorleben fahren.

Ende Januar hatten Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Premier Lionel Jospin vereinbart, noch in diesem Jahr ein oder zwei Castor-Transporte nach Gorleben zuzulassen, im Gegenzug könnten wöchentlich ein oder zwei Transporte nach La Hague rollen. Bundesumweltminister Jürgen Trittin verteidigt die Einhaltung des Vertrags als politisch-moralische Verpflichtung gegenüber den BürgerInnen Frankreichs, den dort lagernden nuklearen Abfall - »deutschen Atommüll« (Trittin) - zurückzunehmen.

Ein Großteile der Regierungsgrünen hat sich der Position des Ministers angeschlossen, auch einige bislang regierungskritische Landesverbände. Der Parteirat stützte schon im vergangenen Jahr mit zehn zu zwei Stimmen die Linie Trittins. Schließlich habe auch die französische Antiatom-Bewegung den Abtransport des in La Hague lagernden Strahlenmülls gefordert.

Doch das stimmt nur zum Teil. Da gibt es zwar die Klage der örtlichen BürgerInneninitiative Crilan gegen die Regierung in Paris, weil diese sich nicht an das Gesetz hält, wonach ausländischer Atommüll nicht auf Dauer auf französischem Territorium gelagert werden darf. Der Müll soll also weg.

Doch erst vor kurzem hat die Generalversammlung des Réseau Sortir du Nucléaire, eines Netzwerks für den Atomausstieg, in dem 617 Initiativen mit über 10 000 Mitgliedern zusammengeschlossen sind, zu Protesten gegen den für Ende März geplanten Transport aufgerufen. Und zwar nicht, weil sie nun dafür wären, allen Atommüll Westeuropas in La Hague zu sammeln, sondern weil sie rechnen können. »Wenn nicht blockiert wird, dann liegt Ende 2001 mehr Atommüll in La Hague als bereits jetzt«, erklärte Jean-Yvon Landrac aus Rennes.

In einem offenen Brief an die deutschen Grünen schrieb das Réseau: »Wir stellen uns gegen dieses von der Regierung vorgeschlagene Schwindelgeschäft, wobei der Rücktransport eines Castors die Lagerung zehn neuer Castoren in La Hague ermöglicht. Der nötige Rücktransport der in La Hague rechtswidrig gelagerten Atomabfälle darf auf keinen Fall die Fortsetzung der Wiederaufbereitung ermöglichen. Nur ein Exportstopp für deutschen Atommüll würde deutlich zeigen, dass Deutschland - oder genauer gesagt, seine Atomstromerzeuger und seine Regierung - seinen moralischen Verpflichtungen nachkommt. Wir erinnern daran, dass die Wiederaufbereitung mit Plutonium-Gewinnung das schmutzigste Verfahren des Atom-ðKreislaufsÐ ist.«

Die Regierung in Paris und die Cogema, die staatliche Betreiberfirma von La Hague, hätten keine Probleme damit, weiter Berge von Atommüll aus der BRD anzunehmen, wenn nur diese Klage von Crilan nicht wäre. Die Cogema dringt sogar auf neuen Atommüll, da sie eigens eine zusätzliche Anlage für deutschen Abfall gebaut hat. Während Trittin Atommüll noch nach nationaler Zugehörigkeit sortiert, ist die Wirtschaft längst weiter. So kommt der so genannte deutsche Müll beispielsweise aus den baden-württembergischen Atomkraftwerken Neckarwestheim und Philippsburg, deren Betreiberfirma Energie Baden-Württemberg (EnBW) zum Teil dem französischen Stromkonzern Électricité de France (EdF) gehört.

Die süddeutschen AKW-Betreiber sind jedenfalls dringend an neuen Transporten nach La Hague interessiert, weil die Lagerkapazitäten an den Kraftwerken ausgeschöpft sind. Nur wenn noch in diesem Jahr etwa fünfzig Behälter nach Frankreich gebracht werden, kann der Reaktorbetrieb ungestört fortgesetzt werden. Das ist auch der eigentliche Grund, warum der vorgesehene Transport nach Gorleben so dringend notwendig ist. Denn wegen der Crilan-Klage gibt Paris erst dann wieder grünes Licht für die Einfuhr, wenn der erste Zug in Gorleben angekommen ist.

Doch auch im Wendland will man diesen Müll nicht haben und muss sich nun den Vorwurf des Egoismus gefallen lassen. Die Kritik kommt einerseits von Trittin, andererseits aber auch von Teilen der Linken, die befürchten, dass das wendländische Bündnis gegen die Atommüllprojekte in Gorleben im Grunde nur daran interessiert sei, die eigene Scholle zu schützen. »Wer sagt denn, dass die Leute, die gegen die Zerstörung ihrer heilen Welt durch Atommülltransporte demonstrieren, nicht auch bei nächster Gelegenheit Flüchtlingswohnheime blockieren?« lautete eine der kritischen Anfragen an den wendländischen Widerstand.

Die Protestszene in Lüchow-Dannenberg entgegnet, dass der Konflikt von Anfang an davon geprägt war, eben nicht nur eigene Interessen zu verteidigen, sondern solidarisch mit allen zu agieren, die von den Folgen der Atomkraftnutzung betroffen sind. Das beweisen auch die engen Kontakte, die zu den Initiativen in La Hague, Sellafield und vielen anderen Ländern bestehen. Auch die alte Parole »Gorleben ist überall« gibt Aufschluss darüber, dass sich die Aktiven im Wendland nie als regionale Besitzstandswahrer verstanden haben.

Das regionale Selbstverständnis ist eher davon geprägt, dass der Gorleben-Konflikt und der Streit um die Castor-Transporte die Auseinandersetzung um das gesamte Atomprogramm vertreten. Für viele geht es dabei um mehr: Der jetzt 24 Jahre währende Konflikt hat viele Menschen im Landkreis Lüchow-Dannenberg politisiert und dazu geführt, dass auch in anderen Politikbereichen mehr passiert, als in ländlichen Regionen sonst üblich ist. Fakt ist allerdings auch, dass es rund um Gorleben sehr breite Bündnisse gibt, die bis hin zu den Christdemokraten gegen Atomkraft reichen.

Seit ein paar Wochen beginnen in der Region jedenfalls die ersten Lockerungsübungen für den Tag X. Am Samstag demonstrierten in Dahlenburg über 1 000 Leute, 150 blockierten die Bahnlinie nach Dannenberg. Und am Wochenende zuvor wurden zweieinhalb Meter Schiene aus der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg herausgesägt. Damit keine Gefahr für Zugreisende entstehen konnte, war die Gleislücke gut sichtbar gleich sechsfach mit Flatterband abgesperrt worden. Vier Stunden vor der Fahrt des ersten Zuges gab es einen Warnanruf.