»Lothar Matthäus«

Unterwegs mit dem Weißwurstleitwolf

Eine neue Lothar-Matthäus-Biographie enthält neben viel Lobhudelei auch einige Wahrheiten über den Rekordnationalspieler. Die muss man allerdings suchen.

Lothar Matthäus wurde 40. Was bei anderen Fußballern Grund für eine nette Party im Kreis von Freunden ist, hat den Berliner Sportverlag zu einer Jubelbiographie bewogen, die an Schlichtheit selbst das bewunderte Objekt übertrifft.

»Der Leitwolf« heißt das Buch, das mit einem Vorwort des Bundeskanzlers beginnt. Ein richtiges Vorwort ist es zwar nicht, sondern eigentlich nur ein Statement, das Gerhard Schröder im März vrgangenen Jahres gegenüber Sat.1 abgegeben hat, aber was soll's, die Lobhudelei über »Typen wie Lothar Matthäus«, die es »nicht alle zehn Jahre« gibt, seine erinnerungswürdigen »50-, 60-Meter-Pässe« und die Ehrlichkeit des Spielers, »der seine Zuschauer nie betrügt, sondern immer sein letztes gibt«, mag den Matthäus-Fans Ulrich Kühne-Hellmessen und Tom Bender gerade recht sein.

Denn eine Lichtgestalt wie Lothar muss angemessen gewürdigt werden, und das passiert 205 Seiten. Lustige Anekdoten reihen sich an sportliche Erfolge und stimmungsvolle Farbfotos, Prominente erzählen Selbsterlebtes, Experten analysieren verschiedene Lebensabschnitte des fußballerischen Genies und so weiter und so fort. Bis hin zur »Matthäus-Hymne« von den Fantastischen 2, die Perlen wie diese enthält: »Er ist besessen, fanatisch, unser Held, denkt auf dem Feld nicht ans Geld. (...) Er ist ein Kämpfer, ein Sieger, ein wahres Genie, jeden Gegenspieler zwingt er vor sich auf die Knie.«

Immerhin, manchmal klappt es dann doch nicht so ohne weiteres mit der ungebremsten Matthäusverherrlichung. In mancher Erzählung steht der »Superstar, das Sexsymbol« (Die Fantastischen 2) - von den Autoren sicher völlig unbeabsichtigt - plötzlich nicht als strahlender Held da, sondern doch nur als miefiger Kleinbürger, als geizig und besserwisserisch. So in der im Jahr 1996 spielenden Anekdote, die von Zinedine Zidane beigesteuert wurde.

Vor dem Uefa-Cup-Finalrückspiel gegen Girondins Bordeaux hatte sich Matthäus telefonisch bei ihm gemeldet, weil er gern einen edlen französischen Rotwein mit zurück nach Bayern nehmen wollte. Zidane erkundigte sich bei Teamkollegen und empfahl schließlich einen 1995er Mouthon Rothschild. »Damit Lothar aber kein Risiko einging, schickte ich per Kurier am nächsten Morgen 12 Flaschen dieses Tropfens ins bayerische Mannschaftsquartier. Auf meiner beigelegten Karte stand damals: Vielleicht tröstet dich der Wein über die Finalniederlage hinweg.« Matthäus vergalt das ziemlich teure Geschenk wenige Wochen nach dem Bayernsieg mit 50 Weißwürsten. »Nicht im Wein liegt die Wahrheit, sondern in der Weißwurst«, stand auf der beigelegten Karte.

Trotz des auf die Weißwurst begrenzten Horizonts sieht sich Matthäus immer noch gern als gebildeten Lebemann. Immerhin, er hat einmal in einem Interview zugegeben, dass er die selbstgewählte Rolle nicht immer durchhalten kann. Bei einem von seiner Freundin Maren empfohlenen Fernsehfilm über Picasso sei er eingeschlafen, gestand er damals, das habe ihn dann doch alles nicht so brennend interessiert. Im Buch sieht das aber wieder ganz anders aus. Matthäus lässt sich dabei ablichten, wie er seiner Freundin Details eines Rizzi-Gemäldes erläutert.

Besonders interessant wird das Buch, wenn es um Matthäus' Rolle in der Nationalmannschaft geht. Irgendwie hat man das alles ganz anders in Erinnerung, zum Beispiel 1998 bei der Fußball-WM in Frankreich. »Ganz Deutschland schrie nach Lothar Matthäus«, umschreiben die Leitwolf-Autoren den Umstand, dass Bild so lange Terror machte, bis Bundestrainer Berti Vogts schließlich nachgab und den bereits ausgemusterten Spieler in letzter Minute in den Kader berief. »Knallhart stellte Vogts Bedingungen: Keine Forderungen, keine Stammplatzgarantie, Klappe halten und trainieren.«

Normale Menschen hätten daraufhin vielleicht auf die WM-Teilnahme verzichtet, nicht aber der ehrgeizige Lothar. »Und wieder stellte sich Deutschland« - i.e. Bild - »die Frage: Geht man so mit einem Rekordspieler um?« Nein, entscheiden die Autoren, die ihre Empörung zu Sätzen wie diesem trieb: »Matthäus war keine 18 mehr, den man maßregeln muss.« Was das bedeutet? Keine Ahnung, aber er war auch »keine 21, wo man sich hinten an stellen muss. Er war 38, Weltmeister mit Turniererfahrung. Aber Matthäus akzeptierte schweren Herzens. Aus Liebe zur Nationalmannschaft.«

Was gut war, »denn wieder wurde Vogts zu seinem Glück gezwungen. Beim Stand von 0:2 gegen Jugoslawien forderten die Fans 'Matthäus, Matthäus'. Er kam bei Halbzeit, das Spiel endete 2:2.« Dass Mihajlovic und Bierhoff die beiden Tore schossen, ist nur ein kleiner Schönheitsfehler, denn »Matthäus war wieder mittendrin«. Auch beim legendären Viertelfinale von 1998, als die deutsche Elf sang- und klanglos gegen Kroatien ausschied. Dieses denkwürdige Ereignis kommt im Kapitel »Fünf Titel, viel Ärger und ein Dankeschön zum Schluss« jedoch nicht vor, obwohl der Leitwolf doch damals mitgespielt hat.

Dafür scheut man sich nicht, auch die weniger schönen Erlebnisse des Lothar Matthäus anzusprechen. Drei Seiten lang sind die im Buch geschilderten Skandale, den meisten Platz nimmt dabei jedoch die ellenlange Beschreibung der abgesetzten Lolita-Morena-Show »Babys Bester« ein. Ansonsten wird Lothar in diesem Kapitel viel bedauert. »Sobald er mal wieder von der Polizei erwischt wurde, wenn er es wieder einmal zu eilig hatte oder sonstwie daneben griff in seinem Leben, wurden aus einem Kavaliersdelikt gleich große Schlagzeilen.«

Wie aus dem Kavaliersdelikt Fremdenfeindlichkeit. »Ach, auch noch ein Holländer, das sind sowieso alles Arschlöcher, und du bist wohl vergessen worden von Adolf«, äußerte Lothar Matthäus, wie der Spiegel 1993 berichtete, gegenüber einem holländischen Oktoberfesttouristen.

»Matthäus, ein Ausländer-Hasser?« fragen nun die Buchautoren, und finden gleich eine eindeutige Antwort: »Passt irgendwie nicht zu einem, der mit einer Schweizerin verheiratet war und selbst vier Jahre lang in Italien lebte.« Gestört habe ihn der Niederländer »mit der Filmkamera« beim Wiesnbummel, »dabei sind sicher auch weniger druckreife Worte gefallen«, gibt der Ex-Profi ohne jegliches Unrechtbewusstsein zu. Einer wie Lothar Matthäus hat halt immer Recht.

Er wird Fußballdeutschland wohl auch in Zukunft nicht erspart bleiben. Nach ersten Ansätzen, sich selbst beim DFB für einen Job ins Gespräch zu bringen, war zunächst für einige Monate lang Ruhe. Lothar Matthäus hat jedoch sein großes Ziel, wie sein Idol Franz Beckenbauer eines Tages Bundestrainer zu werden, in dieser Zeit nicht eine Sekunde lang aus den Augen verloren. Deswegen lässt er nun im Buch erklären: »Der Fußball darf aber so einen Ausnahme-Athleten nicht verlieren. Hoffen wir, dass wie ihn auf der großen Bühne des Fußballs auch weiterhin erleben dürfen. In welcher Funktion auch immer.«

Hoffnungsvoll heißt es dazu weiter im »Leitwolf«: »Bei Beckenbauer lagen zwei Jahre zwischen seinem Abschiedsspiel (1982) und dem Dienstantritt beim DFB (1984). Dann wäre Lothar Matthäus 2002 an der Reihe, vor oder nach der nächsten Weltmeisterschaft in Japan / Südkorea.«

Dies kann durchaus als Androhung weiterer Lothar-Kampagnen verstanden werden. Autor Ulrich Kühne-Hellmessen ist schließlich stellvertretender Sportchef bei Bild.

Ulrich Kühne-Hellmessen/Tom Bender: Lothar Matthäus. Der Leitwolf. Sportverlag Berlin, Berlin 2001, 39,90 Mark