Christian Ströbele zum Spendenskandal der CDU

»Es gibt Konturen einer Staatsaffäre«

Dass Helmut Kohl dieser Tage ausgerechnet dem sachsen-anhaltinischen Leuna einen Besuch abstattete, spricht für seine Dickköpfigkeit. Hatte doch in der vorigen Woche erst der ehemalige Präsident von Elf Aquitaine, Loik Le Floch-Prigent, bestätigt, Kohl im Sommer 1992 getroffen zu haben, um mit ihm über den Verkauf der Raffinerie in Leuna und die Übernahme des DDR-Tankstellennetzes zu verhandeln. Dabei sei es um »Lobbying«, also um Schmiergeldzahlungen in Millionenhöhe, gegangen. Christian Ströbele ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter der Grünen und Obmann seiner Fraktion im Spendenuntersuchungsausschuss.

Seit Dezember 1999 tagt der Untersuchungsausschuss zur CDU-Spendenaffäre, und immer noch ist kein Ende in Sicht. Die brisantesten Details erfährt man ohnehin nicht aus dem parlamentarischen Gremium, sondern beispielsweise aus der Berliner Zeitung. Ist der Ausschuss ein Papiertiger?

Keineswegs, schließlich basieren die Berichte in der Berliner Zeitung auf dem, was wir in den Akten haben. Ich kann ja nichts dafür, dass Mitglieder des Ausschusses Indiskretionen streuen, obwohl diese Akten, deren Inhalt ich im übrigen schon eine Woche vorher kannte, unter vertraulich laufen. Wir gehen damit aber erst an die Öffentlichkeit, wenn die betroffenen Zeugen im Ausschuss gehört worden sind.

Besonders wirkungsvoll scheint der Untersuchungsausschuss trotzdem nicht zu arbeiten.

Das stimmt nicht. Schließlich veröffentlichen wir ja nicht sofort jedes Ergebnis, sondern warten damit bis zur Veröffentlichung des Abschlussberichts. Beim Verkauf der Thyssen-Panzer an Saudi-Arabien können wir inzwischen aber den lückenlosen Nachweis führen, dass von dem Geld, das Thyssen von der Regierung in Riad erhalten und dann beim Finanzamt als so genannte nützliche Aufwendung geltend gemacht hat, mindestens eine Million Mark an die CDU geflossen ist.

Wie kommt es dann, dass im Finanzministerium eine so genannte Task Force gebildet worden ist, die sich gesondert um die Aufklärung der Leuna-Affäre und die verschwundenen Akten im Kanzleramt kümmern soll? Arbeitet diese Ermittlungsgruppe nicht dem Untersuchungsausschuss entgegen?

Nein. Der Untersuchungsausschuss ist doch keine Ermittlungsbehörde. Wir gehen ja nicht los, machen Durchsuchungen oder Ähnliches, sondern wir nehmen auf der Grundlage von Akten, die von Staatsanwaltschaften oder ministeriellen Gruppierungen wie der Task Force zusammengetragen werden, Bewertungen vor. Ergänzend dazu hören wir Zeugen und erstellen danach einen Bericht. Im Unterschied zu den USA, wo der Kongress Zeugen zu Aussagen zwingen kann, ist das Mittel des Untersuchungsausschusses sicherlich ein stumpfes Schwert. So kommt es immer wieder vor, dass Zeugen von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen und überhaupt nichts sagen.

Dann müssten sie ja eigentlich Johannes Agnoli zustimmen, der geschrieben hat, die Aufgabe von Untersuchungsausschüssen sei es, die tatsächliche Aufklärung des untersuchten Gegenstandes zu verhindern.

Nein, das ist völlig falsch. Ich achte Johannes Agnoli sehr. Möglicherweise mag das früher auch so gewesen sein, in den Untersuchungsausschüssen, an denen ich teilgenommen habe, war das jedenfalls nicht so. Wir haben zwischen 1985 und 1987 Machenschaften des Verfassungsschutzes herausbekommen und wichtige Erkenntnisse haben wir auch diesmal schon, selbst wenn es natürlich immer ein Wechselspiel gibt zwischen Zeitungen, der Arbeit der Staatsanwaltschaftenen und dem Untersuchungsausschuss selbst. Journalisten sind ja auch häufig sehr findige Ermittler. Leider ist es nicht so, dass im Ausschuss ein Oberpolitiker nach dem anderen auftritt, von Kohl bis Schäuble, und ein umfassendes Geständnis ablegt.

Wie kommt es, dass die Staatsanwaltschaften in Deutschland gar nicht, und wenn, dann sehr viel laxer als etwa in der Schweiz oder in Frankreich ermitteln? Allein die Tatsache, dass in der Elf/Leuna-Affäre meterweise Akten verschwunden sind, ist doch unglaublich.

Das ist ein mittlerer Justizskandal. Deshalb habe ich schon im letzten Sommer versucht, beim Bundesgerichtshof anzuregen, endlich eine Staatsanwaltschaft zu bestimmen, die die Ermittlungen führt. Als erste ermittelte in dem Elf-Komplex ja die Staatsanwaltschaft Augsburg. Später hieß es jedoch, das sei nicht Bestandteil ihrer Untersuchungen. So wurde der Fall immer wieder weiter geschoben und ist jetzt in Saarbrücken wie auch in Sachsen-Anhalt gelandet. Als ich letzte Woche die Staatsanwälte aus Saarbrücken im Untersuchungsausschuss dazu befragte, war ich total enttäuscht. Denn obwohl sie die Ermittlungsakten aus Augsburg seit über einem halben Jahr haben, ist so gut wie nichts geschehen. Ich konnte darauf nur sarkastisch reagieren und sagen, als Beschuldigter würde ich mich über solche Staatsanwälte freuen.

Kann es sein, dass ein übergeordnetes Staatsinteresse besteht, das auch die rot-grüne Regierung dazu veranlasst, Druck auf die Staatsanwälte auszuüben.

Nein. Warum das so ist, da bin ich natürlich auch auf Spekulationen angewiesen. Wahrscheinlich ist es eine Mischung: Zum einen wollen sich die Staatsanwälte nicht zuviel Arbeit aufbürden, zum anderen gibt es natürlich politische Einflussnahme.

Das heißt, auch Rot-Grün will den Eindruck vermeiden, eine deutsche Regierungen sei bestechlich gewesen?

Wieso das? Bisher habe ich dafür keine Anhaltspunkte. Wir haben ja lange genug erörtert, dass beispielsweise wesentliche Aktenbestände im Bundeskanzleramt verschwunden sind, dass mehrere Megabyte Datensätze fehlen. Aber für einen begründeten Verdacht, dass die jetzige Bundesregierung ein Interesse daran hätte, Fakten zu unterschlagen, fehlen mir die Anhaltpunkte. Richtig ist trotzdem, dass so ein Untersuchungsausschuss kein neutrales Gericht ist. Das fängt ja beim Vorsitzenden an, der bisweilen Äußerungen macht, die ein Richter sich nie erlauben dürfte, weil er sonst wegen Befangenheit abgelehnt werden würde.

Wenn man sich die bisherige Arbeit des Ausschusses anschaut, dann kommt der Punkt, wo die Parteispenden-Affäre zur Staatsaffäre geworden ist, relativ selten vor. Wieso fragen Sie da nicht härter nach?

Wir fragen sehr wohl nach. Die Konturen einer Staatsaffäre wurden bereits deutlich. Wir haben Aussagen, etwa von führenden CDU-Politikern, aber vor allem von Unternehmern, die auf eine so eindeutige Beeinflussung von Regierung und Parlament durch die Großwirtschaft schließen lassen, wie ich sie aus keinem marxistischen Handbuch kenne. So hat beispielsweise die Ehefrau des Milliardärs Ehlerding, der ja ein Milliardengeschäft mit der damaligen Bundesregierung gemacht hat, auf die Frage: »Warum gaben sie die 5,9-Millionen-Mark-Spende kurz vor der Wahl 1998?« geantwortet: »Weil ich eine Regierung erhalten will, eine Mehrheit im Parlament, die nicht nur meinen politischen Vorstellungen entspricht, sondern ganz konkret meinem wirtschaftlichen Vorteil dient.« So deutlich, so eindeutig und klar hab ich das vorher nie von jemandem gehört.

Glauben Sie denn, dass Helmut Kohl jemals vor Gericht gestellt wird?

Ich fürchte nein, aber mit der Arbeit des Untersuchungsausschusses hat das ja auch nichts zu tun. Schließlich sind wir nicht dazu da, jemanden vor Gericht zu stellen oder zu verurteilen, sondern um politische Sachverhalte aufzuklären, diese politisch zu bewerten und dann gesetzgeberische Konsequenzen daraus ziehen. Die Frage, ob Helmut Kohl sich strafbar gemacht hat und ob er dafür verurteilt wird, liegt allein bei den Strafverfolgungsbehörden. Ein Parlamentsausschuss hat da relativ wenig Einwirkungsmöglichkeiten.