Der Soziologe Ricardo Vargas über den Plan Colombia

»Kolumbien hat keine Drogenpolitik«

Bei den schwersten Kämpfen seit langem sind in Kolumbien während der vergangenen Woche etwa 200 linke Rebellen, rechte Paramilitärs, Soldaten und Polizisten getötet worden. Doch der Konflikt ist nicht allein ein internes Problem des südamerikanischen Landes. Mit dem Plan Colombia haben sich die USA im Rahmen ihres Antidrogenfeldzugs, der auch der Aufstandsbekämpfung dient, längst in den Bürgerkrieg eingemischt. Ricardo Vargas ist Jurist und Soziologe an der Nationalen Universität Kolumbiens in Bogotá.

Sehen Sie Anzeichen für einen Wandel in der US-amerikanischen Drogenpolitik unter der neuen Administration von George W. Bush?

Es gibt sehr widersprüchliche Signale. Auf der einen Seite hat der US-amerikanische Verteidigungsminister gesagt, dass sich das Drogenproblem nicht mit Aktionen in den Produktionsländern lösen lässt. Stattdessen soll den sozialen Problemen und dem Konsum mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Auf der anderen Seite hat der neue Anti-Drogenzar der Regierung Bush, John P. Walters, einen sehr radikalen Ruf. Das gilt auch für die Verantwortlichen der Lateinamerikapolitik der neuen Administration. Sie sind als Vertreter einer harten Linie bekannt, und Walters hat davon gesprochen, dass die Regierung ihre Ressourcen für einen totalen Kampf gegen den Drogenhandel und den Konsum von Rauschgift mobilisieren will. Eine Verschärfung des Drogenkrieges ist angesichts derartiger Äußerungen nicht unwahrscheinlich.

Außerdem hat der neue Chef im State Department eine »Anden-Initative des Drogenkrieges« angeregt. Darunter ist eine Ausweitung des Plan Colombia auf die ganze Region zu verstehen. So sollen die Streitkräfte in Brasilien, Venezuela oder Ecuador finanziell unterstützt werden, damit sie sich mehr in dem Kampf gegen die Drogen engagieren können. Das ist allerdings ein Eingriff in die Aufgaben der Polizei, die nun einmal für Strafverfolgung verantwortlich ist. Die Festschreibung der Aufgaben des Militärs in der Verfassung kommt in den fragilen Demokratien Lateinamerikas jedoch nicht von ungefähr und liegt in der Geschichte begründet.

Die Initiative der USA, die lateinamerikanischen Militärs stärker in den Drogenkrieg einzubinden, ist nicht gerade neu.

Das Vorgehen der USA hat in gewisser Weise Kontinuität. Bereits auf dem Gipfel von Cartagena haben die USA 1990 darauf gedrungen, das Militär stärker in den Drogenkrieg einzubeziehen. In Kolumbien gibt es mittlerweile drei AntiDrogen-Bataillone der Armee, deren Aufgabe unter anderem darin besteht, die Kokafelder aus der Luft zu vernichten. Das führt zu einer Militarisierung der Landeszonen, wo Koka in großen Mengen angebaut wird, wo viele Bauern vom Anbau leben und wo eben auch die Guerilla agiert.

Vor allem die Zivilbevölkerung leidet unter der Militarisierung dieser Regionen. Straßensperren, Durchsuchungen, Kontrollen gehören zu ihrem Alltag. Anti-Drogen-Aktionen vermischen sich mit Anti-Guerilla-Einsätzen und die Zivilbevölkerung gerät zwischen die Fronten.

Welche Ziele verfolgen die USA mit ihrer Drogenpolitik?

Ein Ziel ist es, die Drogenproduktion bereits in der Anbauphase zu unterbinden. Ohne den Rohstoff kein Kokain - so ungefähr lautet die Ausgangsmaxime der US-amerikanischen Politik. Das ist wesentlich leichter, als den Kokainhandel in den Straßen der USA zu bekämpfen. Und dazu gehört die Militarisierung der Anbauzonen, die Überwachung der Transportwege, von Flüssen, Straßen und des Luftraums.

In neuen Militärbasen in Kolumbien, El Salvador und auf Aruba wird der gesamte Luftraum der Region überwacht, um Transportflugzeuge und Schnellboote, die zum Kokaintransport benutzt werden, auszumachen. Es besteht allerdings auch die Möglichkeit, dass die USA Informationen aus dieser fast lückenlosen Überwachung des Luftraums an die kolumbianische Armee weitergeben - zum Zwecke der Bekämpfung der Guerilla. Somit wären die USA direkt in den nationalen Bürgerkrieg involviert.

Warum militarisieren die USA den seit 1971 laufenden War on Drugs in derartiger Weise?

Da kommen auch ökonomische Aspekte ins Spiel. Die 1 300 Millionen US-Dollar des Plan Colombia werden in den USA bleiben. Sie fließen auf die Konten der Unternehmen, die militärische Ausrüstung herstellen, auf die Konten der Firmen, die Soldaten vor Ort ausbilden. Das sind meistens Privatbetriebe, die ehemaligen Vietnamveteranen gehören, und die auch für die Ausbildung der Anti-Drogen-Bataillone zuständig sind. Der Drogenkrieg ist sehr rentabel für eine ganze Reihe von Unternehmen in den USA.

Und wie steht es mit den Zielen der kolumbianischen Drogenpolitik?

Kolumbien hat keine Drogenpolitik. Mein Land hat seine Autonomie bei der Bewältigung dieses Problems längst verloren. Kolumbien führt aus, was die USA anordnen, und ist nicht nur in diesem Bereich kein unabhängiger Staat mehr. Die nationale Drogenpolitik wird in der US-Botschaft in Bogotá ausgehandelt. Deshalb kann man nicht mehr von kolumbianischen Zielen sprechen, sondern von der Implementierung dessen, was Washington anordnet.

Wäre der Drogenkrieg nicht effektiver in den USA zu führen? Dort werden schließlich die Chemikalien zur Kokainproduktion hergestellt.

Natürlich wäre es möglich, in den USA Kontrollinstrumente zu entwickeln, die eventuell wesentlich erfolgreicher sind als die repressiven Mittel, die bis jetzt eingesetzt werden. Studien der US-amerikanischen Drug Enforcement Administration (DEA) haben ergeben, dass von den rund 50 Milliarden Dollar, die mit kolumbianischem Kokain verdient werden, rund 2,5 Milliarden nach Kolumbien fließen. Der Rest, rund 95 Prozent, bleibt im Ausland, in der illegalen Wirtschaft und im Finanzsektor. Dies ist nicht ein Problem der Produzenten, sondern eines der internationalen Gemeinschaft.

Welche Alternativen sehen Sie angesichts des längst verlorenen Kampfs gegen Drogen?

Die Alternative zum Handel ist die Legalisierung. Allerdings wird sich kein Land der Welt dafür stark machen, denn das käme einem politischen Selbstmord gleich. Dennoch könnte man einiges verändern. Dazu gehört die Abkehr von der systematischen Kriminalisierung der Konsumenten und ein Ende des Krieges gegen die Bauern, die Koka oder Schlafmohn anbauen. Sie kämpfen um ihr Überleben und haben meist keine Alternativen. Ländliche Entwicklung auf partizipativer Basis zugunsten der Kleinbauern ist ein Ansatz, statt auf der sofortigen Beseitigung von Koka- und Mohnpflanzen zu bestehen. Man muss den Bauern eine ökonomische Basis bieten, das ist die Vorraussetzung für den Ausstieg aus dem Anbau.

Wie beurteilen Sie die Perspektiven Kolumbiens, wenn sich im Krieg gegen die Drogen nichts ändert?

Der Kampf gegen die Drogen ist ein wesentlicher Faktor, der den seit 1964 währenden Bürgerkrieg am Leben hält. Wenn dieser Kampf fortgesetzt wird, wird sich an der dramatischen Situation meines Landes kaum etwas ändern. Die Militarisierung ganzer Landstriche nimmt zu, denn Bauern, die durch die Sprühaktionen ihre Felder verlieren, schließen sich auch der Guerilla an.

Hinzu kommt die Vertreibung der Landbevölkerung in die Städte und die Zerstörung des Regenwaldes. Zudem stärkt der Drogenkrieg die Rolle der kolumbianischen Armee, die immer mehr im zivilen Bereich agiert und die ohnehin fortschreitende Militarisierung der gesamten Gesellschaft weiter vorantreibt.