Streit zwischen Kostunica und Djindjic

Die Paten von Serbien

Der Konflikt zwischen Zoran Djindjic und Vojislav Kostunica ist vor allem eine Bankrotterklärung des jugoslawischen Staats.

Es gibt drei miteinander konkurrierende Mächte in Jugoslawien: die alten Milosevic-Seilschaften, die Mafia und die neue Regierung«, meint Goran Svilanovic und bezeichnet Jugoslawien deshalb als »semi-mafiösen Staat«. Diese Schnellanalyse des jugoslawischen Außenministers entspricht der derzeitigen Stimmung im Land. Das organisierte Verbrechen und die angebliche Nähe seiner Protagonisten zu Teilen der neuen serbischen Regierung sind seit mehr als einem Monat das dominierende Thema in Belgrad.

Anfang August wurde Momir Gavrilovic, ein ehemaliger Offizier des serbischen Geheimdienstes, in Belgrad erschossen. Derartige Morde sind in Serbien nicht außergewöhnlich. Doch Gavrilovic hatte sich wenige Stunden vor seinem gewaltsamen Tod mit Beratern des jugoslawischen Staatspräsidenten Vojislav Kostunica getroffen und sie über mögliche Verbindungen der serbischen Regierung zur so genannten Unterwelt unterrichtet. So soll der serbische Premier Zoran Djindjic nach Informationen aus der Umgebung des Präsidenten den Zigarettenschmuggel in Jugoslawien kontrollieren und Dusan Mihajlovic, Serbiens Innenminister und stellvertretender Premierminister, soll diesen Aktivitäten gelassen zusehen.

Für den mit Djindjic verfeindeten Kostunica bot der Mord an Gavrilovic einen willkommenen Anlass, eine neue Kampagne gegen den serbischen Premier zu starten, mit dem Tenor, die Regierung Serbiens sei gleichzeitig korrupt und inkompetent.

Zwei Wochen nach diesen Anschuldigungen erklärte Kostunica den Austritt seiner Demokratischen Partei Serbiens (DSS) aus dem regierenden Bündnis Demokratische Opposition Serbiens (Dos). Zwar genügt Djindjic die Unterstützung von immerhin noch 17 Parteien im serbischen Parlament, um an der Regierung zu bleiben, gleichzeitig aber beginnt mit dem Ausscheren der Partei Kostunicas der Zerfall dieses einst in der Opposition zu Milosevic entstandenen Bündnisses.

Ende August drohte Kostunica in einer Fernsehansprache sogar recht unverhohlen mit Neuwahlen in Serbien. »Unsere Probleme innerhalb der Dos können auf zwei Arten gelöst werden. Entweder gibt es eine ehrliche Diskussion über die Zukunft unseres Staatswesens, oder aber wir müssen uns an Sie, die Bürger unseres Landes wenden, damit sie entscheiden, welchen Kurs dieses Land einschlagen soll«, erklärte er.

Aber auch seine Widersacher in der Fraktion um Djindjic bereiten die Bevölkerung zumindest indirekt auf mögliche Neuwahlen vor. »Bis Ende des Jahres wird es weder Neuwahlen noch ein Misstrauensvotum gegen die Regierung geben«, meinte der serbische Parlamentspräsident Dragoljub Micunovic ebenfalls Ende August. Das ist keine sehr langfristige Prognose.

Der Kampf zwischen Djindjic und Kostunica ist vor allem ein Kampf gegen die Zeit. Kostunica kämen baldige Neuwahlen gelegen, denn seine Popularität sinkt merklich. Djindjic hingegen hat ein Interesse daran, Neuwahlen zu verhindern, hätten sie doch das endgültige Zerbrechen des Dos-Bündnisses zur Folge, und nur sehr wenige der 17 Parteien würden überhaupt den Einzug ins Parlament schaffen.

Trotzdem ist die politische Position Kostunicas schwieriger, denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt könnte ein Misstrauensantrag gegen die serbische Regierung nur dann erfolgreich sein, wenn er ihn gemeinsam mit radikalen Nationalisten wie Vojislav Seselj oder nachhaltig diskreditierten Sozialisten stellte.

Das aber wäre für Kostunica fatal, weil sein stärkster und vielleicht sogar einziger Trumpf seine persönliche Integrität ist. So ist seine gegen Djindjic gerichtete Antikorruptionskampagne auch auf genau jenes Image abgestimmt, das ihm eine politische Zukunft verspricht. Kostunica, ein studierter Jurist, gilt als integrer Politiker, der sich immer von den korrupten serbischen Seilschaften ferngehalten hat und ein demokratisch aufpoliertes Verständnis der Jugoslawien-Idee seines Vorgängers Slobodan Milosevic propagiert, was für eine gewisse Kontinuität sorgt. Sein gemäßigter serbischer Nationalismus findet dort seine Grenzen, wo die Reste Jugoslawiens in ihrem Bestand erschüttert würden. Schon im Kampf gegen die verfassungswidrige Auslieferung Milosevics nach Den Haag zeigte er alle diese Eigenschaften.

Zoran Djindjic hingegen gilt als gnadenloser Pragmatiker, der sich sogar über die Verfassung hinwegsetzt, wenn es das Haager Tribunal verlangt, als einer, der Jugoslawien seinem Konzept eines neuen Serbien opfert und auf dem Weg durch die Instanzen auch nicht davor zurückschreckt, mit der serbischen Mafia zu klüngeln.

Die Erschütterungen in der serbischen Innenpolitik sind aber auch darauf zurückzuführen, dass die Arbeitsteilung zwischen Kostunica und Djindjic einfach nicht funktioniert. Kurz nach dem Sturz Milosevics im Oktober des vergangenen Jahres war der Deal klar. Kostunica hat das Ansehen und Djindjic die Macht. Im Laufe der Monate ist Djindjic jedoch noch einflussreicher geworden und Kostunica reicht das Ansehen allein nicht mehr.

»Kostunica hat erkannt, dass er als Präsident des zerfallenden Jugoslawien bald ohne Staat dastehen könnte, also versucht er, in die serbische Politik einzudringen«, analysiert Victor Gobarev vom US-amerikanischen Institut stratfor die Möglichkeiten des jugoslawischen Präsidenten. So scheint der Machtkampf in Belgrad wohl auch die endgültige Bankrotterklärung der jugoslawischen Staatsidee zu sein, denn wer sollte weiterhin an diesem Staat festhalten, wenn selbst der Präsident seine politische Zukunft in Serbien sucht?

In der Regierungskrise treten nun auch alte und neue Separatisten auf den Plan, die auf politischen Profit hoffen. Die bis 1989 autonome Provinz Vojvodina verlangt wieder mehr Rechte und ihre politischen Vertreter benutzen jede Gelegenheit, Kostunica zu diskreditieren. So beschuldigte ihn der Präsident des Provinzparlaments in Novi Sad, Nenad Canak, im August einen Militärputsch gegen die Regierung in Belgrad geplant zu haben: »Es gab Diskussionen über eine Kooperation mit der Armee der bosnischen Republika Srpska.« Auch wenn eine Intervention der schwachen Armee der serbischen Republik Bosnien unwahrscheinlich ist, war die Äußerung Canaks ein kluger Schachzug, denn er diskredierte mit Kostunica zugleich Jugoslawien und rechtfertigte mögliche Unabhängigkeitsbestrebungen der Vojvodina.

In den nächsten verbalen Gefechten zwischen Kostunica und Djindjic wird es wohl auch um die Armee gehen, denn die Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte möchte offenbar einige Offiziere der jugoslawischen Bundesarmee wegen Kriegsverbrechen im Kosovo anklagen.

Für Kostunica wäre das fatal, findet er doch seinen größten Rückhalt in der Armee. Und sie hat auch schon angekündigt, sich gegen eine mögliche Klage zu wehren. Christopher Black, der Anwalt von Slobodan Milosevic, verriet der Jungle World: »Mir haben Offiziere der Armee gesagt, dass sie sich notfalls auch bewaffnet gegen die Verhaftung einiger Kameraden durch die serbische Polizei wehren werden.«