Handball in Deutschland

Auf der Flucht aus den Dörfern

Trotz aller Bemühungen schafft es der Handball nicht, sein provinzielles Image abzuschütteln.

Großwallstadt, Gummersbach oder Lemgo sind Orte, die man erst einmal auf der Karte finden muss. Doch in genau solchen Dörfern und Kleinstädten hat sich die Crème de la Crème des internationalen Handballs versammelt. Russen, Franzosen oder Spanier scheuen den Weg in die deutsche Provinz nicht, denn die Liga gehört zu den stärksten Spielklassen der Welt. Und sie ist obendrein sehr finanzstark.

Trotzdem wird der Handballsport in Deutschland kaum beachtet, in den Medien kommt er nur selten vor. Selbst der Krösus der Liga, der THW Kiel, schafft es nicht, seinen Medienpartner, den Norddeutschen Rundfunk (NDR), davon zu überzeugen, über sein erstes Heimspiel in der neu ausgebauten Halle zu berichten. Dem NDR ist eine Hengstparade, richtig gelesen, wichtiger als das Aufeinandertreffen des THW und des SC Magdeburg, des amtierenden deutscher Meisters, am 22. September in der Ostseehalle.

Handball hat ein Imageproblem. Er gilt allgemein zwar als traditionsreich, aber bieder. »Wir haben das Image von Panflötenspielern und Briefmarkensammlern«, konstatierte der einzige deutsche Handballstar, Stefan Kretzschmar vom SC Magdeburg, jüngst in einem Interview mit dem Tagesspiegel.

Wie die Sportart zu diesem Image gekommen ist, kann auch Kretzschmar nicht so recht erklären. Einen Teil der Schuld lastet er den Funktionären des Handballbundes an, die die Entwicklung verschlafen und sich nicht um Sponsoren und eine wirksame Selbstdarstellung bemüht hätten. In den Vereinen wird hingegen längst ausgesprochen professionell gearbeitet. Magdeburg, Flensburg und Kiel investierten in moderne Hallen, und die Kieler müssen potenzielle Sponsoren sogar auf die nächste Saison vertrösten, denn die Werbeflächen sind ausgebucht.

Kiel ist die Hochburg des deutschen Handballs. Die Halle fasst 10 000 Zuschauer, Dauerkarten werden dort vererbt und mit sechs Meistertiteln beherrschte der THW die Liga in den neunziger Jahren. Auch beim Budget sind die Kieler Spitze, mit sechseinhalb Millionen Mark kalkuliert man für diese Saison. Doch andere Mannschaften wie der SC Magdeburg, die SG Flensburg-Handewitt und der TBV Lemgo haben in den vergangenen Jahren Anschluss gefunden. Die Spitze ist breiter geworden, und im letzten Jahr landeten die Kieler, die »Bayern der Handballbundesliga«, nur auf Rang fünf.

Das soll ein einmaliger Ausrutscher bleiben, wenn es nach dem Manager und ehemaligen Nationalspieler Uwe Schwenker geht. Er hat den Umbruch beim Verein eingeleitet und gleich sieben neue Spieler für das überalterte Team verpflichtet. Der langjährigen Nummer eins im europäischen Handball, dem FC Barcelona, konnte er den Spielmacher Demetrio Lozano und Matthias Andersson abspenstig machen und dem SC Magdeburg den Torhüter der Nationalmannschaft, Henning Fritz.

Doch die Neuen müssen erst einmal integriert werden. Und damit hat Trainer Zvonimir »Noka« Serdarusic einiges zu tun, zumal er einen seiner besten Spieler an die Konkurrenz verlor. Der Rückraumspieler Nenad Perunicic unterschrieb, trotz einer mündlichen Zusage, beim THW zu bleiben, in Magdeburg. 216 Feldtore gingen in der letzten Saison auf sein Konto, und in Magdeburg reibt man sich die Hände angesichts einer derartigen Verstärkung.

Mit dem ausgeglichen besetzten und eingespielten Kader ist der SC gemeinsam mit Lemgo für Bundestrainer Heiner Brand ein Favorit auf den Titel, das sei auch ein Erfolg der exzellenten Nachwuchsarbeit des Vereins. Manager Bernd-Uwe Hildebrandt hat für die Saison, die am 8. September begonnen hat, die Ziele hoch gesteckt, die Titelverteidigung und der Sieg in der Champions League sind geplant.

Nicht gerade bescheiden, denn die wichtigste Trophäe im europäischen Handball hat seit 1983 kein deutsches Team mehr gewonnen. So ein Erfolg könnte dem Handball auch ein neues Image verpassen, besser wäre natürlich ein Titel der Nationalmannschaft, um den gewünschten Handball-Boom auszulösen und das altbackene Image abzustreifen.

Doch das Nationalteam ist trotz mittlerweile guter Spiele Meister im Scheitern. Kurz vor Schluss geht ihr meist doch die Puste aus, oder der Ball landet am Pfosten statt im Netz.

Dem Fernsehen waren die Spiele von Kretzschmar und Co. bisher ohnehin nur wenige Bilder wert. Derzeit rangiert Handball in den Medien weit hinter Eishockey oder Basketball. Gerade dieser Sport hat dank Dirk Nowitzki und der US-Basektballliga (NBA) ein positives modernes Image.

Ein solches auch für die eigene Sportart zu schaffen, hat der deutsche Handballverband glatt verschlafen und es damit gleich auch noch verpasst, den Nachwuchs für das dynamische Spiel zu begeistern. Nicht einmal einen Hauptsponsor hat der Verband bisher an Land ziehen können, von der Vermarktung der Liga, die von den Funktionären gern als die stärkste der Welt bezeichnet wird, ganz zu schweigen.

Dabei fordern zahlreiche Handball-Manager wie Uwe Schwenker vom THW Kiel eine zentrale Vermarktung der 18 Bundesligisten, die mit den notwendigen Kompetenzen ausgestattet ist. Doch die scheiterte bisher an den Interessen von regionalen Sponsoren und der fehlenden Weitsicht der Vereine vom Dorf. Das Resulat ist klar: Keine Vorberichte zum Saisonstart, keine kontiniuerliche Berichterstattung, keine festen Sendeplätze. Das hat auch Bundestrainer Heiner Brand, Weltmeister von 1978, gerade erst wieder bemängelt.

Handball werde vorrangig im Spartenkanal DSF gezeigt und nur ausnahmsweise von den Öffentlich-Rechtlichen, klagen nahezu alle Bundesligisten. Eine Ausnahme ist die SG Flensburg-Handewitt, deren Spiele wegen der Nähe zur Grenze regelmäßig in Dänemark übertragen werden.

Allerdings wird von den Offiziellen auch gern übersehen, dass ihre Bundesliga durch allerlei Finanzkrisen renommierter Vereine Schlagzeilen produziert hat. Unter dubiosen Umständen erhielt der VFL Gummersbach in der vergangenen Saison beispielsweise die Lizenz für die erste Bundesliga, wodurch die Liga auf 20 Clubs aufgestockt und der Terminplan entsprechend aufgebläht wurde.

Das sind Fehler, die das verstaubte provinzielle Image wohl eher gefördert und den Bemühungen der Top Five um eine Professionalisierung der Liga einen Dämpfer verpasst haben.

Doch in diesem Jahr soll alles besser werden. Neue Hallen mit VIP-Logen, attraktivere Rahmenprogramme und eine ganze Reihe neuer Stars sollen die Liga endlich interessanter machen. 108 Ausländer aus 22 Nationen sollen in diesem Jahr auf Torejagd gehen, das sind etwa 40 Prozent aller Spieler. In etwa die gleiche Quote gibt es im Fußball. Ihm möchte man allzugerne auch in Sachen Vermarktung und Image etwas abschauen und damit dem Dorf sozusagen medial entfliehen.