Sozialdemokraten gewinnen die Parlamentswahl

Marias größter Sieg

Die Sozialdemokraten und rechtsextreme Parteien sind die Gewinner der polnischen Parlamentswahlen.

Alle sind erstaunt über das Ausmaß des politischen Erdrutsches. Nach den Parlamentswahlen vom vorletzten Wochenende in Polen muss nicht nur die liberal-konservative Regierung abtreten, zugleich sind die Parteien der ehemaligen Regierungskoalition in der Bedeutungslosigkeit versunken. Weder die nationalkonservative Wahlaktion Solidarnosc (AWS-P), die bisher den Ministerpräsidenten Jerzy Buzek stellte, noch die ebenfalls aus der legendären Gewerkschaft Solidarnosc hervorgegangene liberale Freiheitsunion (UW) haben auch nur einen Sitz im Parlament, dem Sejm, erhalten.

Vor vier Jahren gewannen beide Parteien zusammen noch über 40 Prozent der Stimmen. Doch diesmal schaffte es die AWS-P nicht über die für Wahlbündnisse geltende Achtprozenthürde, die UW scheiterte sogar an der Fünfprozentklausel.

Nun wird die sozialdemokratische SLD, die 41 Prozent der Stimmen erhielt, den neuen Ministerpräsidenten Leszek Miller stellen. Doch Miller und die SLD müssen die Macht teilen oder mit wechselnden Bündnissen regieren, da die SLD die absolute Mehrheit verfehlte. Einer Neuauflage der bereits in den neunziger Jahren regierenden Koalition mit der Bauernpartei PSL, die neun Prozent erhielt, schloss Miller bereits aus, sodass eine Minderheitsregierung wahrscheinlich ist.

Dabei könnte sich Miller von der Bürgerplattform (PO) tolerieren lassen, die mit 12,7 Prozent der Stimmen auf Platz zwei kam. »Wir bleiben in der Opposition, aber wenn es ums Budget, um Steuersenkungen, den EU-Beitritt und Bildungsfragen geht, haben wir keine Hemmungen, die SLD zu unterstützen«, kündigte das führende PO-Mitglied, der Warschauer Bürgermeister Pawel Piskorski, an.

Das rechte Parteienspektrum hat sich komplett gewandelt. Das Erbe der alten Solidarnosc-Parteien UW und AWS haben neben der neoliberalen Bürgerplattform - die neue Partei der Transformationsgewinner - drei rechtsextreme Parteien angetreten: die national-konservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unter dem früheren Justizminister Lech Kaczynski, die die Wiedereinführung der Todesstrafe fordert (9,5 Prozent), die Bauernpartei Selbstverteidigung (Samoobrona) unter Andrzej Lepper, der die EU für ein jüdisch-kommunistisches Machwerk hält (10,2 Prozent), sowie die klerikal-fundamentalistische Familienliga (7,9 Prozent) um den antisemitischen Sender Radio Maryja. Alle drei Parteien gelten als euroskeptisch.

Polens Wähler scheinen ein Faible für Elektriker zu haben. Nach Lech Walesa haben sie mit Leszek Miller bereits den zweiten in ein hohes Staatsamt gewählt. Der Vorsitzende des Bundes der Demokratischen Linken (SLD) wurde 1947 in der Nähe von Lodz geboren, seine Eltern waren einfache Arbeiter. 1969 trat er der kommunistischen Partei bei, machte nach einem Studium der Gesellschaftswissenschaften in der Partei Karriere und stieg bis ins Zentralkomitee auf. 1989 nahm er als Mitglied der so genannten Betonkopf-Fraktion an den Gesprächen am Runden Tisch teil.

In der von der SLD geführten Regierung besetzte Miller bereits vier Jahre später erst den Posten des Arbeits-, später des Innenministers. 1997 übernahm er den Parteivorsitz von Jozef Oleksy. Miller gilt als Organisator. »Er war und ist kein Ideologe, er ist ein ideologiefreier Technokrat der Macht«, charakterisiert der Publizist Adam Michnik den neuen Ministerpräsidenten. Er sei »ein Macher in jedem politischen System. Miller schafft es, seine Partei im Westen als sozialdemokratisch, bei den Wirtschaftsführern als kapitalistisch und bei den Reformverlierern als kommunistisch zu verkaufen.«

Mit der Wahl ist die lange Agonie der Solidarnosc beendet. Die antikommunistische Sammelbewegung mit einst rund zehn Millionen Mitgliedern war die politische Heimat des bürgerlichen Spektrums. Schon während der Wende brach sie in unterschiedliche Gruppierungen auseinander, die jedoch weitere zehn Jahre das politische Leben maßgeblich beeinflussten.

Die national-konservativen Kräfte und die Gewerkschaft versammelten sich 1997 hinter Marian Krzaklewski in der Wahlaktion Solidarnosc und schafften zusammen mit der liberalen Freiheitsunion die Rückkehr an die Macht. Ein rigoroser Sozialabbau und die deutliche Teilung in Transformationsgewinner und -verlierer sprengte schließlich den Zusammenhalt der widersprüchlichen Interessen. Zuerst löste sich die Regierungskoalition auf, dann zerbrachen die beiden Nachfolgeparteien der Solidarnosc.

Die liberale Freiheitsunion, ehemalige Dissidenten und die das »moralische Gewissen der Nation« repräsentierende Intelligenzja sind mit dieser Wahl aus dem politischen Alltagsgeschäft verschwunden. Die Partei des ehemaligen Außenministers Bronislaw Geremek und des früheren Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki erhielt nur noch drei Prozent der Stimmen. Damit ende ein »romantischer Abschnitt« der Geschichte, meint die Politologin Lena Kolarska-Bobinska. »Der Abschied von der Politikergeneration, die aus der Solidarnosc-Bewegung kam, könnte die Politik nachhaltig verändern. Diese wird dann nur noch von Pragmatikern und Technokraten dominiert.«

Dadurch ergeben sich allerdings auch neue Bündnismöglichkeiten, sodass sich Mehrheiten für »notwendige Reformen« schneller werden finden lassen. Und diese scheinen aus wirtschaftsliberaler Sicht auch dringend geboten. Polen droht im kommenden Jahr ein riesiges Haushaltsloch von fast 90 Milliarden Zloty (23 Milliarden Euro). Fast die Häfte der geplanten Staatsausgaben ist nicht gedeckt. Für 2002 rechnen Pessimisten gar mit dem Ende des Wachstums.

Polen bekommt in besonderem Maße die Auswirkungen der sich abschwächenden Konjunktur im Westen zu spüren. Die Wirtschaft wird von den schlechten Daten in der Bundesrepublik und den USA beeinflusst. Deutschland ist mit Abstand größter Abnehmer polnischer Exportgüter, und gleichzeitig investieren die Nachbarn im Westen deutlich weniger zwischen Oder und Weichsel.

Damit verschlechtert sich auch die Position Warschaus gegenüber Brüssel weiter. Polen ist in die zweite Reihe der Beitrittskandidaten zurückgefallen und hat wesentlich weniger Spielraum bei den Verhandlungen mit der EU als etwa Estland, Slowenien und Tschechien. Der designierte Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz hat bereits angekündigt, die alte Verhandlungsposition in der Frage des Landerwerbs durch EU-Bürger zu revidieren. Man brauche keine langen Übergangsfristen. Nach dem Beitritt werde es ohnehin keinen Ansturm auf Agrarland in Polen geben, meint Cimoszewicz.

Die neue Regierung wird alles daran setzen, dass der Beitritt Polens zur EU in ihre Regierungszeit fällt. »Die Integration Polens in die EU ist keine Frage der Doktrin oder Ideologie. Es ist eine patriotische Aufgabe, weil davon die Zukunft des Landes abhängt«, verkündete Miller. »Ich will die Vereinigten Staaten von Europa, anders werden wir der Herausforderung der USA und Asiens nicht gerecht.«