Antiamerikanismus der Linken

Keine Träne in Athen

Der Antiamerikanismus der griechischen Linken passt sich jedem Großereignis an.

So hatte sich das Andreas Papandreu wohl nicht gedacht. Der Gründer der derzeit regierenden sozialdemokratischen Partei Griechenlands, Pasok, hatte seinerzeit den Antiamerikanismus praktisch zur Staatsräson erhoben. Doch während die großen griechischen Parteien seit dem 11. September in ihrer Verurteilung der Anschläge von New York und Washington mit ihren Kollegen aus den anderen EU-Staaten Einigkeit demonstrieren, gab sich die griechische Öffentlichkeit nicht lange schockiert. Vor allem bei den Linken war mehr als eine klammheimliche Schadenfreude spürbar.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, insbesondere aber seit dem Sturz der von den USA unterstützten Militärjunta im Jahr 1974 und der Teilung Zyperns, bei der die USA ebenfalls - zu Ungusten Griechenlands - eine Rolle spielten, dominiert in der griechischen Öffentlichkeit ein diffuser Antiamerikanismus, der heute vor allem die griechische Linke derart prägt, dass eine antikapitalistische Grundhaltung oft mit plattem Antiamerikanismus verwechselt wird.

Der auf Demonstrationen in Griechenland zum Standartrepertoire gehörende Slogan »Amerikaner, Völkermörder!« ist zugleich Ausdruck der Gleichgültigkeit von Teilen der griechischen Bevölkerung angesichts des Massakers von New York.

So kursierten schon am Tag nach dem Massenmord zahlreiche makabre Witze, und auf den Straßen waren Sprüche zu vernehmen wie »Die Amis sind selbst schuld!«, »Irgendwann müssen auch sie bezahlen!« oder »Das haben sie verdient!«. Dabei werden Gedanken deutlich, die ein abstraktes nationales Subjekt - den Amerikaner - konstruieren und nicht mehr unterscheiden zwischen dem politischen und militärischen Establishment, Unternehmern, Arbeitern und Marginalisierten.

Bei einem Fußballspiel von Panathinaikos Athen gegen Arsenal London, das kurz nach den Anschlägen live übertragen wurde, unterbrachen die Fans des Athener Fussballclubs die Schweigeminute für die Opfer des Attentats auf das World Trade Center und skandierten antiamerikanische Parolen. Ein linksnationalistischer Journalist von Eleftherotypia, Jannis Triantis, interpretierte die pietätlosen Hasstiraden als »Zorngeschrei gegen die Heuchelei«.

Doch der griechische Antiamerikanismus ist flexibel. Mal wird das »andere Amerika,« die US-Gewerkschaften oder die amerikanische Antiglobalisierungsbewegung glorifiziert, wie 1999 nach den Protesten gegen die WTO-Tagung in Seattle, mal wird die gesamte Bevölkerung der USA verachtet, wie es sich in der Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern von New York und Washington zeigt. Dieser Antiamerikanismus ist wie Coca-Cola: Er passt zu jeder Mahlzeit.

Unter den PolitikerInnen, die den Terroranschlag selbstverständlich offiziell verurteilen mussten, stach die Parteichefin der griechischen KP, Aleka Papariga, hervor. Sie verkündete nach den Anschlägen vom 11. September: »Weder weinen noch lachen wir.«

Für den 27. September rief ein Antikriegsbündnis mit der KP an der Spitze zu einer Friedensdemonstration in Athen auf. Das Motto, »Die Invasion in Afghanistan verurteilen!«, kommentierte der Vorsitzende der Liberalen Partei, Stephanos Manos, mit den Worten: »Wenn man weiß, dass dort momentan noch keine Invasion im Gange ist, muss man annehmen, dass die KP mit einer 23jährigen Verspätung die sowjetische Invasion in Afghanistan verurteilen möchte!« Papariga konterte, die Sowjetunion habe wegen der gemeinsamen Grenze mit Afghanistan damals »jeden Grund zur Invasion gehabt«. Zudem, fuhr sie fort, hätten die Sowjets ihre Armee immer nur nach einer Beistandsaufforderung oder aus Verteidigungsgründen eingesetzt, »im Gegensatz zu den Amerikanern, die dort unten nichts zu suchen haben«.

Diese Ansichten wurden auf der Demonstration vom 27. September von der KP auch gewalttätig verteidigt. So verprügelten und drangsalierten die von der KP gestellten Ordner eine Gruppe von rund 100 Anarchisten, die nicht ausschließlich gegen die USA demonstrieren wollten. Sie drohten sogar mit der Polizei, sollten sich die »Störer« nicht von der Demonstration entfernen.

Aber auch die so genannte gewaltfreie Linke mit ihrem abstrakten Pazifismusbegriff sank nach der Tragödie in den USA auf einen intellektuellen Tiefpunkt. So behauptete Michalis Tremopoulos, der Spitzenkanditat der Koalition der Linken für die Bürgermeisterwahlen in Thessaloniki in der linken Zeitung Epochi, dass »die Kleinhändler der Gewalt, die die Entglasung einer Bank oder das Abfackeln eines Autos für eine revolutionäre Tat halten, begreifen sollten, dass sich die ausweglose Politik der Gewalt in den Großhandel der Gewalt von bin Laden verwandeln kann«.

Vergleichsweise clever reagiert dagegen die sozialdemokratische Regierung unter Ministerpräsident Konstantinos Simitis, die im Einklang mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten in den Attentaten einen willkommenen Anlass sieht, relativ widerspruchslos ihr Arsenal an Antiterrorgesetzen zu erweitern, neue Institutionen zum Ausbau des Sicherheitsapparates einzuführen und längst geplante repressive staatliche Maßnahmen durchzusetzen.

Vor den Olympischen Spielen, die im Jahr 2004 in Griechenland stattfinden werden, will man vor allem mehr Geld für die Innere Sicherheit ausgeben. So ist das bisher allein für die Sicherheit bei den Olympischen Spielen vorgesehene Budget auf 646 Millionen Euro verdoppelt worden, es soll demnächst noch einmal erhöht werden. Vor allem die Videoüberwachung und die Ausrüstung der Polizei sollen perfektioniert werden.

Auch die weitere Militarisierung der Außenpolitik und ein Paradigmenwechsel in der Verteidigungspolitik stehen nun auf der politischen Tagesordnung. Nicht mehr nur gegen den ewigen Feind, die Türkei, sondern auch gegen den internationalen Terrorismus soll die künftige griechische Verteidigungspolitik mit dem Namen Strategische Verteidigungsrevision gerichtet sein.

Geplant ist unter anderem die Bildung einer neuen Armeeeinheit für die biologische, atomare und chemische Kriegsführung. Zudem sollen eine spezielle Antiterrorabteilung sowie ein militärischer Geheimdienst gegründet werden. Zur strategischen Verteidigungsrevision gehört jedoch neben der Abwehr des Terrorismus und des organisierten Verbrechens auch die Bekämpfung der illegalen Einwanderung.

Die Mehrheit der griechischen Bevölkerung betrachtet diese Maßnahmen zwar bislang als unangemessen und fühlt sich nicht vom Terrorismus bedroht, aber die Stimmung könnte sich demnächst ändern. Denn seit Wochen versuchen die Medien mit einer hartnäckigen Kampagne, die Verbindung zwischen bin Laden und der albanischen Separatistenorganisation UCK als albanische Gefahr darzustellen.