RZ-Prozess in Berlin

Nie wieder schwindeln

Immer mehr skandalöse Details aus der Vorgeschichte des Kronzeugen Tarek Mousli werden bekannt. Doch der Berliner RZ-Prozess wird fortgesetzt.

Du brauchst in dieser Hinsicht nicht mehr zu lügen«, sprach »Thorsten« vom Bundeskriminalamt (BKA) Mitte Dezember 1999 in die Mailbox von Janet Olbrich. Zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten Tarek Mousli hatte Olbrich bereits am 23. November desselben Jahres entschieden, dass Mousli das Angebot der Bundesanwaltschaft (BAW), als Kronzeuge aufzutreten, annehmen sollte. An diesem Tag war Mousli wegen des Vorwurfs der Rädelsführerschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) verhaftet worden. Drei Wochen lang ließ das Paar mit Wissen und Unterstützung des BKA und der BAW Mouslis damaligen Anwalt Frank Assner im Glauben, sein Mandant werde keine Aussagen machen. Dabei plauderte Mousli längst vor BKA-Beamten über angebliche Mittäter. Erst am 14. Dezember erfuhr Mouslis Anwalt von den Aussagen und legte sein Mandat nieder.

Das ist nicht das einzige brisante Detail, das die Anwältinnen Silke Studzinsky und Andrea Würdinger, die im Berliner RZ-Prozess den Beschuldigten Harald Glöde vertreten, auf Bändern von der Telefonüberwachung Mouslis und seiner Freundin gefunden haben. Ein halbes Jahr nach dem Beginn des Prozesses gegen fünf Angeklagte wegen ihrer Mitgliedschaft in den RZ und ihrer Beteiligung an diversen Sprengstoffanschlägen deutet sich eine Wende an. Nachdem Mousli wochenlang relativ ungestört seine Geschichte referieren konnte, kommen inzwischen auf Nachfrage der Verteidigung immer neue Details ans Tageslicht, die seine Erzählungen durcheinander bringen.

So händigte das BKA nach längerem Drängen der Verteidigung 955 Tonbandkassetten und 23 Aktenordner aus ihren Beständen aus. Auf den Kassetten befinden sich die Mitschnitte aus der Telefonüberwachung Mouslis seit dem Herbst 1998. Damals begann das BKA, Mousli ins Visier zu nehmen. Das BKA stufte den Inhalt der Kassetten als unerheblich für das Verfahren ein. Die beiden Anwältinnen sehen darin eine Beweismittelunterschlagung. In der vergangenen Woche beantragten sie die Aussetzung des Verfahrens für einen längeren Zeitraum, um die Bänder anhören zu können.

So lange seien auch die Haftbefehle außer Vollzug zu setzen, da für diese Prozessverzögerung nicht die Angeklagten, sondern das BKA verantwortlich sein. Die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig vertagte am vergangenen Freitag den Gerichtsentscheid darüber nochmals um eine Woche. Wenige Tage zuvor blieb sie schon in der Haftfrage hart. Da bei einer Verurteilung mit einer Strafe von mindestens fünf Jahren zu rechnen sei, sei eine Untersuchungshaft bis zweieinhalb Jahre »nicht unverhältnismäßig«.

Die beiden Anwältinnen fanden auf den Kassetten auch einen ausführlichen Bericht Mouslis über ein etwa dreistündiges Treffen mit den BKA-Beamten Barbian und Pankok. Sie hatten ihn wenige Tage vor seiner ersten Verhaftung am 19. Mai 1999 bei einem Freund am Gorinsee bei Berlin aufgesucht. Bereits zu diesem Zeitpunkt, als er nur der verbotenen Lagerung von Sprengstoff verdächtigt wurde, boten sie ihm den Kronzeugenstatus an. Das hatten sowohl Mousli als auch der leitende Ermittler in Sachen RZ beim BKA, Klaus Schulzke, in ihren Zeugenaussagen vor Gericht ganz anders dargestellt. Erst im November 1999 sei darüber gesprochen worden.

Aus den Telefongesprächen geht allerdings auch hervor, dass die Beamten des BKA Mousli die Rolle eines Kronzeugen aufnötigten, indem sie seine bürgerliche Existenz zerstörten. So beklagte sich Mousli am 19. September 1999 in einem Gespräch mit seiner Mutter, das BKA habe beim deutschen Karateverband seine Entlassung als Trainer mit der Drohung durchgesetzt, andernfalls alle staaatlichen Fördermittel zu streichen.

Allerdings stolperte er auf seinem Weg zum Kronzeugen wohl auch über sich selbst. So wiederholte seine Freundin aus dem Jahr 1995, Karmen T., vor Gericht ihre Aussage, dass Mousli sich vor ihr der Knieschüsse auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, gerühmt habe. Das sagte sie im Sommer 1999 gegenüber BKA-Beamten aus, als sie wegen eines gemeinsam mit Mousli gemieteten Kellers verhört wurde.

Ihre Aussage vor Gericht brachte noch andere Details ans Tageslicht. So kümmerte sich das BKA fürsorglich um sie, solange sie als Zeugin gegen Mousli interessant war. Fast jede Woche fragte der BKA-Beamte Trede bei einem persönlichen Besuch nach ihrem Wohlbefinden. Ihre Aussage stufte das BKA als sehr glaubwürdig ein, da sie Details über den Anschlag auf Korbmacher wusste, die nur eine Tatbeteiligte kennen konnte. Sie lebte zum Tatzeitpunkt 1987 allerdings in der DDR.

Man bot ihr auch eine Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm des BKA an. Aber als Mousli das Angebot als Kronzeuge annahm, wurde Karmen T. von den Ermittlern einfach vergessen. Ein ganzes Jahr lang wurde sie nicht mit den Aussagen ihres ehemaligen Freundes konfrontiert. Mousli dagegen meinte, sie müsse sich bei seinen Äußerungen zum Fall Korbmacher wohl verhört haben. Im Prozess gegen Mousli im Dezember 2000 sagte sie aus, sie könne nicht hundertprozentig beschwören, dass Mousli dies so gesagt habe. Der Frage, woher sie dann die Details vom Anschlag auf Korbmacher kenne, ging das Gericht nicht nach. Mousli wurde im Dezember 2000 nur zu zwei Jahren auf Bewährung wegen einfacher Mitgliedschaft in den RZ verurteilt. Das war die im Gerichtssaal erwähnte Belohnung für seine Zusammenarbeit mit den Ermittlern.

Mousli berichtete in diesem Verfahren als Beschuldigter ausführlich über seine angeblichen Erfahrungen aus dem Innenleben der RZ. Hört man ihm aber nun im laufenden Verfahren als Kronzeugen zu, drängt sich der Eindruck auf, dass er vieles nur vom Hörensagen zu kennen scheint. Simpelste Fragen an einen angeblich Tatbeteiligten, ob und wo das Fluchtauto bei der Aktion gegen Korbmacher oder bei dem ein Jahr zuvor stattgefundenen Attentat auf den Leiter der Berliner Ausländerpolizei, Harald Hollenberg, geklaut wurde, bringen Mousli durcheinander. Trotzdem wirkt er im Prozess recht souverän, der Rhetorikkurs ist unüberhörbar. »Meiner Erinnerung nach« und »wenn ich mich nicht irre« sind seine am häufigsten gebrauchten Redewendungen.

Nach Ansicht des Rechtsanwalts Johannes Eisenberg, der die Beschuldigte Sabine Eckle vertritt, trägt Mousli ein »undurchdringliches Konglomerat von tatsächlich Erlebtem, vielleicht Gehörtem und wahrscheinlich Erdachtem« vor. Es bleibt völlig offen, was Mouslis Geschichten mit der Wahrheit und den auf der Anklagebank sitzenden Personen zu tun haben. Für die Rechtsanwältin Undine Weyers, eine Kollegin der Anwältinnen Studzinsky und Würdinger, stellt sich das Verfahren inzwischen als »kleines Schmücker-Verfahren« heraus. »Am Anfang gibt es eine scheinbar runde Geschichte, die aber im Verlauf des Verfahrens zerbröselt, immer mehr andere Details kommen ans Tageslicht und am Ende sieht die Geschichte ganz anders aus.« So bleibt nur die Frage, wann »Thorsten« vom BKA bei Mousli anruft und ihm sagt, er brauche nicht mehr zu lügen.