Dieter Wiefelspütz, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion

»Selbst Bayern wird ein Freistaat bleiben«

In der vergangenen Woche legte Bundesinnenminister Otto Schily im Bundestag mehrere Gesetzesentwürfe zum Ausbau der Inneren Sicherheit vor. Neben der Streichung des Religionsprivilegs aus dem Vereinsrecht sollen der neue Strafparagraf 129b und in einem nächsten Schritt die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung dafür sorgen, dass Anschläge wie in den USA künftig verhindert werden. Auch die gesetzlichen Beschränkungen der akustischen und der Video-Überwachung sollen gelockert werden. Dieter Wiefelspütz ist innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Die Debatte um die innere Sicherheit, wie sie seit dem 11. September geführt wird, erweckt den Eindruck, in der Bundesrepublik habe es 50 Jahre lang keine Sicherheit gegeben. Missbraucht das Parlament die Terroranschläge von New York und Washington, um Gesetzesverschärfungen durchzusetzen, die seit Jahren in den Schubladen der Parteien liegen?

Nein. Wir sind die Volksvertretung, und die Bevölkerung hat ein elementares Recht auf Sicherheit. Um das auch durchzusetzen, gibt es den Staat - wofür denn sonst?

Maßnahmen wie die akustische Überwachung von Verdächtigen hat die SPD noch vor wenigen Jahren kritisiert. Weshalb reden Sie nun einer Aushöhlung des Rechtsstaats das Wort?

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Bundesrepublik nicht nur eines der freiesten Länder der Welt ist, sondern auch eines der sichersten. Daran wird sich auch nichts ändern. Wir würden uns doch selbst am nachhaltigsten Schaden zufügen, wenn wir unseren Anspruch aufgeben, ein freies, weltoffenes Land zu sein. Freiheit ist doch nicht nur in der Verfassung verankert, sondern sie bildet die Grundlage unseres Lebens. Wir können nichts leisten im Bereich von Wirtschaft, Kultur, Medien oder Wissenschaft ohne Freiheit. Auch Ihre Zeitung kann man nur mit freien Menschen machen, und nur freie Menschen lesen Ihre Zeitung. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Kritik an den geplanten Gesetzesverschärfungen kommt ja nicht nur von linken Publikationen. Datenschützer kritisieren ebenfalls die Einschränkungen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Selbstverständlich werden wir alle Änderungen mit Augenmaß angehen. Die Freiheit des normalen Bürgers wird substanziell nicht in Frage gestellt. Niemand hat sich zu interessieren für ihre privaten Daten. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird weiterhin ein Grundrecht bleiben, und zwar ein sehr ernst zu nehmendes. Wir denken nicht im Traum daran, die Datenschutzbeauftragten arbeitslos zu machen.

Rasterfahndung, von Videokameras überwachte Plätze oder die Einführung von Fingerabdrücken in Reisepässen sind Ausdruck immer stärkerer staatlicher Kontrolle. Solche Überwachungsmaßnahmen befördern doch den Weg in den autoritären Staat.

Ich bin mir sicher, dass die Bundesrepublik Deutschland sich nicht zu einem autoritären Staat entwickeln wird. Das wollen die Menschen nicht, und das will auch hier im Deutschen Bundestag niemand. Selbst Bayern wird ein Freistaat bleiben. Wir können und wir wollen gar nicht anders leben als in Freiheit, das ist die Grundbedingung unseres Lebens. Aber sicherlich werden wir uns bemühen, effektiver zu arbeiten im Bereich der inneren Sicherheit und versuchen, mehr Qualität zu organisieren. Aber Ihr Leben und mein Leben und das Leben von über achtzig Millionen Menschen wird sich kaum verändern.

Weshalb wird dann so getan, als ob die bestehenden Gesetze jahrelang nichts als Unsicherheit hervorgebracht hätten?

Deutschland war vor dem 11. September ein sehr sicheres Land, allerdings stellt dieser Tag eine Zäsur dar im Sicherheitsdenken der Bevölkerung und in dem der Volksvertreter. Aber selbstverständlich sind Hysterie, Aktionismus und Sprücheklopferei in der gegenwärtigen Situation zu vermeiden. Deswegen gibt es aber auch klare Grenzen.

Werden diese Grenzen mit der diskutierten Gründung eines Bundessicherheitsamtes, in der die Antiterroraktivitäten koordiniert werden sollen, nicht überschritten?

Ja, denn die Forderung nach der Einführung eines solchen Amtes stellt ein gutes Beispiel für überflüssigen Aktionismus dar. Wir brauchen keine neue Behörde, sondern müssen die bestehenden Strukturen stärken. Dafür wird beim Bundeskriminalamt, beim Verfassungsschutz und beim Bundesgrenzschutz seit dem 11. September schon einiges getan. Schließlich sollen keine Beschäftigungsprogramme für Verfassungsschützer und Polizeibeamte aufgelegt, sondern die Qualität der sicherheitsrelevanten Informationsgewinnung soll gesteigert werden.

Und dazu soll die Bundeswehr künftig auch im Inneren eingesetzt werden?

Einen Einsatz der Bundeswehr im Inland qua Verfassungsänderung durchzusetzen, über das hinaus, was ohnehin schon möglich ist, halte ich für Unfug. Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund und deswegen zu Recht auch keine Mehrheiten im Deutschen Bundestag und auch nicht im Bundesrat.

Die Rasterfahndung kann auch ohne Zustimmung des Parlaments angewandt werden, betroffen davon sind aber weit mehr Menschen als nur die vermeintlichen Täter.

Deshalb muss sie sehr zielgenau sein. Die von Horst Herold entwickelte Methode, die im übrigen rechtsstaatlich abgesichert ist, war zwar schon in den siebziger Jahren sehr effektiv, doch um es heute noch zu sein, muss sie weiter entwickelt werden. Mit den Fahndungsmethoden der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts können sie nicht den Terrorismus des Jahres 2001 erfolgreich bekämpfen.

Aber die Rasterfahndung kann doch jeden treffen. Unauffällige, ledige, muslimische Studenten etwa sind zahlreich in Deutschland.

Aus diesem Grund müssen wir sehr genau analysieren, wer die Täter sind, und entsprechende Profile erstellen. Nur wenn sorgfältig aufgehellt wurde, welche Handschrift der moderne, neue Terrorismus trägt, können auch Raster erstellt werden, die zielgenau sind. Und dann sind auch die Informationen relevant, die ich über eine solche Fahndung bekomme. Wenn Sie die falschen treffen, machen Sie auch im Bereich von Fahndung einen großen Fehler: Denn damit erzeugen Sie keine Sicherheit, sondern Unsicherheit.

Trägt es nicht eher zur Verunsicherung bei, wenn beispielsweise die Kronzeugenregelung wieder eingeführt werden soll, obwohl Rot-Grün sie gerade erst hat auslaufen lassen?

Die Kritik an der alten Regelung war sicherlich berechtigt, deswegen erstellen wir in der Koalition auch keine Kopie davon, sondern etwas Neues. Wir sind uns jedoch einig darin, dass es auch bei der Strafzumessung berücksichtigt werden kann, wenn ein Straftäter wirklich dazu beiträgt, eine Straftat zu verhindern oder aufzuklären. Damit habe ich nicht das geringste Problem, und ich sehe auch nicht, wo da Freiheitsrechte abgebaut werden.

Der neue Terrorismusparagraf 129b soll sich nur gegen ausländische Extremisten richten. Rassistische Ressentiments in der Bevölkerung werden so weiter befördert.

Das ist Unfug. Ich sage Ihnen aber ganz freimütig, dass wir schon genauer hinschauen werden, wer nach Deutschland kommt. Denn nur so können wir den elementaren Sicherheitsbedürfnissen der Bürger Rechnung tragen.

Und dazu dient Ihrer Meinung nach auch die Einführung des Fingerabdrucks im Reisepass?

Es geht doch darum, dass man sich präzise und zweifelsfrei ausweist. Damit wird kein Generalverdacht erhoben, und es wird auch keine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt. Die Polizei oder der Bundesgrenzschutz müssen aber wissen, wer Sie sind, wenn Sie sich ausweisen, und dabei vor Fälschungen sicher sein. Das Foto allein ist doch viel zu unscharf. Deswegen bin ich sehr dafür, den Fingerabdruck einzuführen. Ob es dazu kommt, wird abzuwarten sein.