Harald Juhnke im Pflegeheim

Neue Freunde

Harald Juhnke hat gesoffen. Er hat viel gesoffen. Nun ist er krank. Er ist dement, das heißt, zeitlich und örtlich desorientiert. Daher hat Juhnkes Frau, die seine Pflege nicht mehr allein schaffen konnte, in einem Pflegeheim für Demenzkranke ein Zimmer für ihn gemietet. Harald Juhnke ist ein alter Mann, er ist 72 Jahre alt, da ist Demenz nichts Ungewöhnliches. Der häufige Alkoholmissbrauch hat wohl den Ausbruch der Krankheit beschleunigt.

Spätestens jetzt wird Juhnke »unser« Harald. Das war Harald Juhnke zwar immer schon ein bisschen, bereits als junger Mann, der in den fünfziger Jahren in Heimatfilmen mitspielte, und auch in den siebziger und achtziger Jahren, als er Shows mit Fernsehballett moderierte, in Boulevardkomödien mitspielte oder mit Eddi Arend und Grit Böttcher als »Mann für alle Fälle« oder als Helfer der »Drei Damen vom Grill« auftrat.

Juhnke machte nicht immer Freude, etwa wenn er sein großes Vorbild Frank Sinatra zu imitieren trachtete und »My Way« sang. Doch er hat oft Klasse bewiesen, zum Beispiel als er sich von Jutta Ditfurth nach seiner Hitlerjugend fragen ließ. Ditfurth fragte, warum er sie als Interviewpartnerin aussuche, Juhnke antwortete: »Weil Sie eine couragierte Frau sind.« Er überraschte in der Inszenierung Katharina Talbachs als »Hauptmann von Köpenick« und auch sein Spielfilm »Der Trinker« vermochte zu überzeugen.

Nun aber wird Juhnke bereits als Toter gehandelt. Die B.Z., Bild oder auch der Berliner Kurier geben, seitdem bekannt wurde, dass Juhnke nie wieder eine Bühne betreten wird, einen Vorgeschmack davon, wie sie ihn wohl auch künftig für sich zu vereinnahmen gedenken. Anstatt sich zu empören, dass Juhnkes Familie es zulässt, dass der Kranke in entwürdigender Pose fotografiert wird (»Der Teddybär liegt neben seinem Bett«), wird man vielmehr sein »Freund«. Natürlich wird dabei jedes billige Klischee bemüht: »Er hat seine letzte Bühne betreten«, »er lebt in einer Fantasiewelt«.

Und darüber hinaus wird dem Kranken, der sich nun nicht mehr wehren kann, eine leicht veränderte Biographie untergejubelt. Jetzt wird der Star ein Jedermann-Icke, ein Typ wie wir alle, an dessen Größe wir unsere Kleinheit messen können. Harald Juhnke wird unser aller guter Kumpel; Freunde, die nie welche waren, sind plötzlich welche, und andere, wie der Vorzeige-Ossi Karsten Speck (»Ein Kessel Buntes«) gelten schon als Nachfolger Juhnkes. Jede Außergewöhnlichkeit des Schauspielers wird eingeebnet. Zurück bleibt ein doller Berliner, dem vor drei Wochen eingewanderte Badenser ein Berlinerisch unterstellen, wie es nie gesprochen wurde, und dem Zitate nachgesagt werden, die sich nur Klatschkolumnisten ausgedacht haben können. Ein Denkmal wird gebaut für Berlin und die nationale Einheit.

Denn Juhnke ist der Erste, der wieder dazu taugt, weil er nie öffentlich mit den Kommunisten rumgemacht hat. Also werden all jene Rollen, die er wegen des Geldes spielte, zu seinen »größten«, und der Entertainer, der sich den Boulevardmedien gern hingab und den sie nur allzu gern preisgegeben haben, wird nun ihr allerbester Kumpel. Noch hat sich die ernsthaftere Presse diesem Juhnkebild verschlossen, dort wurde nur mit wenigen Zeilen die Nachricht verkündet. Wenn er jedoch demnächst stirbt, worauf die Boulevardblätter nahezu unverhohlen hoffen, dann dürften auch die »seriösen« Blätter das nun zu errichtende deutsche Denkmal zu rühmen gelernt haben.