Die Frankfurter Gruppe arbeit

Schrecken im Gewand des Schönen

Die Frankfurter Gruppe arbeit bearbeitet auf ihrer neuen CD diverse deutsche Volkslieder.

Die Stimme ist ganz nach vorne gemischt. Sie singt langsam, getragen: »Maikäfer, flieg.« Dann setzt ein elektronisches Summen ein, nicht aufdringlich. Die Stimme hält inne. Ende des Summens. »Dein Vater ist im Krieg.« Für zwei Sekunden unvorstellbarer Lärm. Schnitt. »Deine Mutter ist in Pommerland / Pommerland ist abgebrannt.« Dazu Vogelgezwitscher. Pause. »Maikäfer, flieg.« Am Ende wieder dieses Summen. Das Ganze dauert nicht einmal eine Minute.

Ein anderes Stück: Langsam wächst ein fieser Feedbackton, begleitet von Knistern und Rauschen. Unerträglich. Dann eine Pause. Dann wieder dieses Feedback. Aber nur auf einem Kanal. Auf dem anderen, diesmal ganz weit nach hinten gemischt, wieder die Stimme, sie singt »Freude, schöner Götterfunken«. Sehr ausdrucksstark, aber so in sich gefestigt, dass es nicht pathetisch klingt. Das Feedback bricht ab, und die Stimme bellt durch ein verzerrtes Mikrophon: »Besatzung!«, »Mannschaft!«, »Apparat!«, »Kolonne!«, »System!« Wieder setzt eine größere Pause ein. Wieder kommt das Feedback. Und auf einmal sagt die Stimme, ganz fest, ganz mitleidslos: »Da kam ein junger Jäger / der schoss den armen Kuckuck tot.« Sie sagt es noch einmal und noch einmal. Aus dem Feedback haben sich derweil verzerrte Gitarrenakkorde entwickelt. Ende.

Wirklich: Ende. Denn was die Frankfurter Gruppe arbeit, Christoph Korn, Marcel Daemgen (beide verantwortlich für den Sound), Oliver Augst (die Stimme) und Alexandra Maxeiner (noch eine Stimme), auf ihrer gerade erschienenen CD »An den deutschen Mond« inszeniert, ist eine Explosion. Ein Auseinanderreißen und Zerfetzen von Zusammenhängen, die wir entweder als besonders vertraut oder kitschig wahrnehmen. Es geht um Volkslieder, um Melodien und Texte, die sich besonders tief ins so genannte kollektive Unterbewusste eingegraben haben.

Aber, nein, auch das lassen sie nicht gelten, jede Menge Material bearbeiten sie, das es nie in den Kanon deutschsprachiger Volkslieder geschafft hat. »Der Jäger längs dem Weiher ging« kennt jeder (»Lauf Jäger, lauf Jäger, lauf, lauf, lauf / mein lieber Jäger, guter Jäger lauf!«), »Der Mond ist aufgegangen« auch. Aber was ist mit »Anmut sparet nicht noch Mühe«, der Kinderhymne von Brecht? Oder »Drei Gäns im Haberstroh« von Johann Fischart, der im 16. Jahrhundert mit seinen semantischen Katastrophen die Experimente der modernen literarischen Avantgarde vorwegnahm?

Dieses Auseinanderreißen darf man sich nicht provokativ oder brachial vorstellen. Der Destruktion geht die einfühlende Beobachtung voraus, arbeit nähern sich den Texten und Melodien mit großer Behutsamkeit, suchen nach der Bruchstelle, die in der Harmonie, dem Beruhigenden und dem augenzwinkernden Humor den Schrecken historischer Erfahrungen (Krieg, Klassenherrschaft, Patriotismus) sichtbar (fühlbar!) macht. Dort setzen sie den Hebel an und reißen die Struktur auf.

Aber auch das Gegenteil lassen sie zu. Das Besänftigende von »Der Mond ist aufgegangen« wird so überspitzt, dass es dem Hörer in seiner ganzen zitternden Nacktheit entgegentritt. Dass das nicht kitschig wird, liegt an der musikalischen Umsetzung, die komplett auf der Ebene abstrakter elektro-akustischer Musik stattfindet. Vor allem sind es die Stimmen, die stets sehr expressiv sind, aber an ihrem Inszeniert-Sein keinen Zweifel lassen.

Arbeit beerben ein klassisch (deutsch-) linkes Projekt: die Auseinandersetzung mit Volkskultur. Das verfolgen sie von Beginn an. Ihre erste CD brachte 1998 Techno-Versionen von Brecht/Eisler-Songs. Für den Hessischen Rundfunk entwarfen sie in diesem Jahr eine sich selbst generierende »Volksliedmaschine«.

Bei »An den deutschen Mond« geht es konkret um zwei Etappen innerhalb dieser Auseinandersetzung. Zum einen knüpfen sie an die Volksmusikbegeisterung der Linken in den Siebzigern an, als Studentenrebellen, kurz bevor sie Grüne wurden, in Volksliedern allerlei subversives Potenzial zu entdecken glaubten. Zum anderen beziehen sie sich, wie verfeinert auch immer, auf den Punk, der dem Fiedelrock und Singegruppentrara seinen Nihilismus gegenüberstellte. Abwärts sangen 1979/1980 vom »Computerstaat« und vom »Maschinenland«, von einem gesellschaftlichen Zustand, der weit entfernt davon ist, aus einer so genannten Volkskultur mehr als nur Ekel zu ziehen.

Beide Formen der Auseinandersetzung haben sich blamiert. Die Identität suchenden Linken der Siebziger leugneten in ihrer Begeisterung für alles Authentische, dass das Volkslied schon von seiner Form her die Schrecken von Klassenherrschaft und Ausbeutung leugnet. In einem klugen, im Booklet der CD abgedruckten Essay schreibt Marcel Stötzler: »Das Volkslied, das in einer ständischen Gesellschaft seine Funktion hatte, wo es und weil es nicht Volkslied war, sondern Partikular-Lied: Bauernlied, Gesellenlied, Ritterlied etc. kann ebenso wenig in der Klassengesellschaft existieren, wie es dort eine Entität das Volk gibt.« Volkslied heißt eben nicht Arbeiterlied, wobei das Problem schon darin liegt, dass auch das Arbeiterlied in seinen meisten Ausprägungen nicht die Abschaffung der Arbeit propagiert, sondern den Arbeitsfetischismus künstlerisch fixiert.

Dagegen ist der Punknihilismus einigermaßen wehrlos, wenn er von Gruppen wie Rammstein zu »Neuer Deutscher Härte« modelliert wird. Wenn man »Heimat« durch »Maschinenland« ersetzt, was spricht dann dagegen, das Maschinenland nicht auch positiv zu bewerten? Muss man nicht sagen, dass da, wo Punk die linken Identitätsmythen negierte, er noch viel zu sehr an diesen hing, als dass er je über eine einfache Negation hinausgekommen wäre?

Auch arbeit hängen an ihrem Gegenstand, die Auseinandersetzung mit den Volksliedern zeugt von intimer Kenntnis des Materials. Nur die Affirmation gilt nicht dem Mythos, sondern der Musik, der Musikalität des Materials. Natürlich kann man das nicht trennen - und dass man das nicht trennen kann, ist der wesentliche Punkt ihrer Auseinandersetzung. Deshalb das ständige Aufbrechen eines kohärenten Zusammenhanges: die Verwendung großer Pausen, statischer Klänge und fieser Störgeräusche, die fast plakative Kontrastierung von emotional bewegtem Gesang und »kalter« elektronischer Musik. Wenn man sich von dem Mythos verabschiedet, lässt das auch die Musik nicht unbeeinflusst, dann muss sie sich auch von stampfenden, schunkelnden und den Hörer in Sicherheit wiegenden Taktmaßen lossagen.

Arbeit setzen weder auf originalgetreue Rezeption noch auf vordergründige Destruktion. Jeglicher Populismus, ob positiv oder negativ bewertet, ist ihnen fremd. Weil sie wissen, dass radikal linke Positionen bis auf weiteres marginalisiert bleiben (auch was den sezierenden Umgang mit Musik angeht), gönnen sie sich den Luxus, genau hinzuschauen, Widersprüche aufzuzeigen, ohne sie aufzulösen. Das Schöne ist nicht ohne den Schrecken zu haben. Und was vielleicht noch erschreckender ist: Der Schrecken tritt im Gewand des Schönen auf.

arbeit: »An den deutschen Mond« textxtnd (Efa). Bezug über Mailorder: arbeit@textxtnd.de, 069 - 86 00 98 71.