Jean-Pierre Chevènement will Präsident werden

Ein Mann für alle

In Frankreich will Jean-Pierre Chevènement mit seinem neu gegründeten Republikanischen Pol linke und rechte Wähler hinter sich versammeln.

Den Auferstandenen« nennen ihn manche Beobachter wegen eines Narkoseunfalls vor drei Jahren. Als »Le Che« bezeichnen ihn viele seiner Unterstützer, dieselbe Bezeichnung trägt im Französischen der kubanische Revolutionär Ernesto »Che« Guevara. Doch wer sich angesichts dieser Spitznamen unter Jean-Pierre Chevènement einen bärtigen Revoluzzer in Jesuslatschen vorstellt, irrt sich gewaltig.

Eine elegante, ausgesprochen bürgerlich wirkende Erscheinung ist der Kandidat. Zahlreiche Ministerien hat Chevènement in den letzten beiden Jahrzehnten in Pariser Regierungen bekleidet; das Bildungsressort führte er ebenso wie das Forschungs- und Technologieministerium, am Ende war er Verteidigungs- und schließlich Innenminister. Jetzt bewirbt er sich um das Amt des französischen Staatspräsidenten, der am 21. April und 5. Mai dieses Jahres gewählt wird.

Am vergangenen Donnerstag hat er eine neue Sammlungsbewegung ins Leben gerufen, den Pôle républicain, der am Wochenende sein erstes offizielles Treffen abhalten wird. Dieser »republikanische Pol« ist der Nachfolger der bisher von Chevènement geführten Kleinpartei Mouvement des citoyens MDC (in etwa: Bewegung der Staatsbürger). Diese Partei spaltete sich Anfang der neunziger Jahre, aus Protest gegen den Vertrag von Maastricht, von der französischen Sozialdemokratie ab. Den Sozialdemokraten hatte Chevènement über zwei Jahrzehnte lang angehört.

Mit seinem neuen Pol will er alle hinter sich versammeln, die von der Linken wie von der Rechten enttäuscht sind. Dafür bedient er sich eines Diskures, der vor allem die EU-Integration sowie die weltpolitische »Unterordnung« unter die USA kritisiert und die »Wiedererlangung der Souveränität« einfordert; abwechselnd ist von der nationalen und der Volkssouveränität die Rede.

Er versucht, sich auf diese Weise zur Symbolfigur eines politischen Voluntarismus aufzuschwingen, der sich nicht länger von den technokratischen und wirtschaftspolitischen Zwängen, die unter anderem aus den supranationalen Einbindungen Frankreichs erwachsen, einschränken lassen will. Sein demnächst erscheinendes Buch trägt den Titel »Le courage de décider« (Der Mut zu entscheiden).

Auch Law and Order schwingen mit, wenn der ehemalige Innenminister das Laissez-faire der sozialdemokratischen Regierung ebenso wie des bürgerlichen Präsidenten Jacques Chirac anprangert. Zudem bereitet sich Chevènement seit Monaten darauf vor, als Anti-Euro-Kandidat von eventuellen Schwierigkeiten bei der Einführung der europäischen Währung zu profitieren. Doch diese verläuft bisher reibungslos.

Daneben verspricht er auch soziale Reformen, beispielsweise eine deutliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns. Er will die staatliche Wirtschaftspolitik wieder stärken, etwa durch den Ausbau der Atomindustrie. Von einer Verkürzung der Arbeitszeit hingegen hält Chevènement wenig, dafür hat er nur ironische Kommentare übrig. »Demnächst wird dann wohl auch noch das Recht auf Faulheit in der Verfassung festgeschrieben«, erklärte er im Oktober bei einer Betriebsbesichtigung.

Mit diesem Programm kann er sogar auf Sympathien mancher Parteikommunisten und Gewerkschafter hoffen. Denn die EU-Integration wird, ebenso wie die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse, in diesen Organisationen überwiegend als Bedrohung wahrgenommen. Unterstützt wird er daher auch von ehemaligen Funktionären der Kommunistischen Partei, vorwiegend vom orthodoxen und autoritären Flügel, wie dem ehemaligen Abgeordneten und Mitglied des Zentralkomitees der KP, Rémy Auchédé.

Zuspruch erhält er außerdem von einigen linken Nationalisten, die sich auf die Zeit der Résistance berufen, als die KP einen französischen Patriotismus propagierte. So vergleicht der frühere KP-Journalist Pierre Lévy die Nazi-Okkupation ohne Einschränkungen mit der heutigen Situation Frankreichs. Lévy steht an der Spitze einer Splittergruppe am Rande der KP, die vor zwei Jahren zunächst das Bündnis mit dem konservativen Rechtsaußen Charles Pasqua propagiert hatte, bevor sie Chevènement entdeckte. Pierre Lévy ist im September aus der KP ausgetreten, seitdem ist es recht still um ihn geworden.

Doch nicht nur bei einigen Linken kommt Chevènement mit seinen Thesen gut an. Das Spektrum seiner Unterstützer umfasst ebenso konservative Hardliner wie Michel Pinton. Das ehemalige Gründungsmitglied der liberal-konservativen UDF zählte in den neunziger Jahren zu den lautstarken Befürwortern einer Allianz der bürgerlichen Rechten mit den Neofaschisten unter Jean-Marie Le Pen. 1999 beteiligte sich Pinton an der Mobilisierung gegen die damals erfolgte Anerkennung eingetragener Lebensgemeinschaften für homosexuelle Paare.

Auch die ehemaligen Freunde des nationalpopulistischen Ex-Innenministers Charles Pasqua, wie dessen ehemaliger Berater William Abitbol, werben für den neuen Pol. Und der zunächst monarchistische, später Pasqua zugeneigte Intellektuelle Paul-Marie Coûteaux träumt sogar schon von einem neuen, schlagkräftigen Bündnis . »Chevènement, Pasqua und Le Pen führen denselben Kampf«, schreibt er in der aktuellen Ausgabe der rechtsnationalistischen Monatszeitung La Une. Chevènement sollte sich daher um die Wähler des Altfaschisten Jean-Marie Le Pen bemühen.

Die zu erwartende Wählerschaft Chevènements - Umfragen geben ihm derzeit zehn bis zwölf Prozent - kommt in der Tat aus allen Richtungen. Neben Anhängern von Pasqua und Le Pen dürfte er zahlreiche ehemalige Wähler der Sozialdemokratie und der KP, die von der Regierung der Linksparteien frustriert sind, ansprechen.

Und selbst an die arabischstämmige Einwandererjugend, immerhin fast zehn Prozent der Wähler, hat Chevènement gedacht. Auf Flugblättern werden sie mit dem viel versprechenden Argument umworben, »Le Che« habe die französische Polizei in höherem Maße als bisher für Einwandererkinder geöffnet. Wenn das keine tollen Aussichten sind.