Staudammprojekt der Militärregierung

Islamistische Flut

Große Teile des nordsudanesischen Niltals sollen unter einem Stausee verschwinden. Betroffen wäre eine für das Militärregime politisch unbequeme Region.

Der aufgestaute Fluss würde die gesamte Breite des Niltals unter Wasser setzen, betroffen wären ungefähr 33 Dörfer, die Kleinstadt Kerma sowie eine Vielzahl kleiner Siedlungen und weit auseinander liegender Gehöfte. Auch unzählige größtenteils noch nicht ausgegrabene Überreste antiker Kulturen würden überflutet, wenn die Pläne des Militärregimes, im Nordsudan zwei Staumauern zu errichten, verwirklicht werden.

Nachdem die betroffene Bevölkerung im Mai 1998 durch undichte Stellen in den Ministerien von den geheim gehaltenen Plänen erfahren hatte, versuchte Suad Ibrahim Ahmed, die heute 66 Jahre alte NGO-Aktivistin, die auch Mitglied des ZK der Sudanesischen Kommunistischen Partei ist, die internationale Öffentlichkeit auf das Projekt aufmerksam zu machen. Sie hält das Bauvorhaben für ein politisches Projekt der islamistischen Junta.

Etwas mehr als 100 Kilometer nördlich der Provinzhauptstadt Dongola soll auf den Felsen des dritten Nil-Kataraktes der Kajbar-Damm errichtet werden. Hier leben Tausende Menschen, die zwar wie die Mehrheitsbevölkerung des Sudan MuslimInnen sind, die aber neben ihrer Sprache, dem Nubischen, auch Reste des ursprünglich in der Region vorherrschenden Matriachats bewahrt haben. In der nubischen Gesellschaft haben die Frauen heute noch eine starke gesellschaftliche Position, und die Unterstützung für linke Parteien und Gruppierungen ist nirgendwo im Sudan stärker als hier. Beides stört die islamistischen Generäle, die 1989 mit einem Militärputsch an die Macht kamen.

Und darin sieht Suad Ibrahim Ahmed, die nicht nur gegen den Kajbar-Damm, sondern auch gegen die islamistische Militärregierung aktiv ist, den eigentlichen Grund für die Pläne, Nubien unter Wasser zu setzen: »Wir sind keine Fundamentalisten. Sie wissen das, weil sie jede demokratische Wahl verloren haben. Bis heute. Im Nubischen Akademikerverein bekam ich die meisten Stimmen, und der Muslimbruder bekam nur ganze sieben Stimmen. Und das unter den Bedingungen dieser Diktatur.«

Das Projekt sei Teil der rücksichtslosen Arabisierungs- und Islamisierungspolitik des Regimes. »Die Regierung unterdrückt Frauen und Nichtaraber. Wir sind stolz auf unsere arabische Sprache«, sagt sie. »Wir akzeptieren sie als Amtssprache, denn wir müssen ja irgendwie miteinander kommunizieren, aber die Regierung will alle zur arabisch-islamischen Kultur zwingen.«

Die NubierInnen lebten ursprünglich zwischen Aswan im Süden Ägyptens und Ed-Debba im Sudan. Mit dem 1962 gefluteten Nasser-See, der vom Aswan-Hochdamm aufgestaut wird, verloren Zehntausende Menschen ihre Dörfer und wurden entweder in den Städten Ägyptens, in einem neuen Wohngebiet nördlich von Aswan oder in die sudanesische Grenzregion nahe Eritrea umgesiedelt. Nur einige Tausend BewohnerInnen der sudanesischen Stadt Wadi Halfas leisteten den Plänen der damaligen Militärregierung unter General Ibrahim Abbud Widerstand und blieben an den Ufern des steigenden Sees. Sie gründeten ein neues Wadi Halfa, das heute noch ohne jedes fruchtbare Land zwischen dem Stausee und der Wüste eingeklemmt ist und lediglich vom Transit nach und von Ägypten lebt.

Suad Ibrahim Ahmed war zur Zeit der Flutung des Dammes Lehrerin in Wadi Halfa: »Die Regierung sagte: 'Wenn ihr nicht gehen wollt - das ist der letzte Zug. Wir werden euch umsiedeln, wir geben euch Häuser, Land und Kompensationszahlungen. Wenn ihr kommt, gut, wenn nicht, seid ihr auf euch allein gestellt.' Darauf haben sie den Zugverkehr beendet und sämtliche staatlichen Einrichtungen geschlossen. In der Folge regierten sich die verbliebenen Menschen selbst. Sie gründeten eine Kooperative. Sie eröffneten Schulen und sogar ein Spital. Sie blieben dort, von der Regierung ignoriert bis nach der Oktoberrevolution«, dem Sturz General Abbuds im Jahre 1964.

Schon wenige Jahre nach der Errichtung des Dammes zeigten sich aber auch negative ökonomische und ökologische Folgeerscheinungen. Der Damm konnte zwar auch Trockenperioden ausgleichen, doch zuvor hatte die Nilflut jedes Jahr Tausende Tonnen an fruchtbarem Schlamm auf die Felder Ägyptens gespült. Dieser Schlamm sammelt sich nun im See. Seither ist in Ägypten der Einsatz großer Mengen Kunstdünger notwendig, während der Stausee verlandet und die Leistung des Kraftwerkes sinkt. Die Risse im Staudamm machen ihn langsam aber sicher zu einer tödlichen Bedrohung für das gesamte ägyptische Niltal.

Trotz dieser Erfahrungen hält die sudanesische Regierung an den Plänen fest, ein ähnliches Projekt zu verwirklichen. Außer dem Kajbar-Damm soll weiter südlich bei Merowe ein noch größerer Staudamm entstehen, dessen ökologische Folgen noch gravierender sein dürften. Dieser Abschnitt des Nils ist jedoch nur dünn besiedelt, hier ist der Widerstand der Bevölkerung schwächer.

Gegen den Kajbar-Damm hingegen protestieren nicht nur Intellektuelle wie Suad Ibrahim Ahmed. Eine breite Opposition, die sich in der Nubischen Allianz locker organisiert hat, wendet sich gegen das Projekt.

»Wir sind keine geschlossene Organisation, wo man um Mitgliedschaft ansuchen kann«, berichtet Suad Ibrahim Ahmed. »Wir haben versucht, den Menschen in den Dörfern zu sagen, dass sie nicht unter den Bäumen sitzen, sich betrinken und ihr Schicksal beweinen sollen, sondern dass sie dieses Projekt stoppen können. Wir haben in kleinen Gruppen begonnen und nie definiert, welche Aktionsformen die einzelnen Gruppen anwenden sollen. Klar war nur, dass wir alle Vorbereitungen, den Damm zu bauen, bekämpfen würden.«

Die Bewegung konfrontiert die Vertreter der Militärdiktatur auch direkt mit ihrem Protest. »Wenn irgendwer hört, dass jemand von der Regierung in das Gebiet des Dammes kommt, dann lassen die Frauen ihre Hausarbeit stehen, und die Männer kommen mit ihren Äxten. Jeder nimmt irgend etwas mit und vertreibt die Personen, die hier sind, um den Dammbau vorzubereiten. Jedesmal wenn ein Offizieller der Regierung kommt, kriegt er Schwierigkeiten. Normalerweise kommen alle Leute, als ob sie den Minister, Vizepräsidenten oder wen auch immer begrüßen wollten. Wenn Hunderte Menschen dort sind, enthüllen sie ihre Transparente und beginnen, Parolen zu rufen. Und die Sicherheitsleute können nichts machen.«