Kroatien wird zehn Jahre alt

Sieg im Volkskrieg

Den Startschuss zur Spaltung gab der Kanzler der Einheit ab. »Wer, wie die Deutschen, auf der Basis der Selbstbestimmung seine nationale Einheit erreicht hat, kann Slowenien und Kroatien das Selbstbestimmungsrecht nicht verweigern«, erklärte Helmut Kohl im Juli 1991. »Deutschland soll die EG zur Anerkennung der beiden Republiken veranlassen.«

Gesagt, getan. Im Dezember vor zehn Jahren preschte Deutschland diplomatisch vor, zähneknirschend lenkten die brüskierten europäischen Partner wenig später ein: Das völkische Prinzip hatte gesiegt.

Mit der Anerkennung der Unabhängigkeit der beiden wohlhabendsten jugoslawischen Republiken am 15. Januar 1992 verabschiedete sich die Europäische Gemeinschaft jedoch nicht nur von der Vorstellung, Jugoslawien könne als Gesamtstaat noch gerettet werden. Die erst im Zuge der deutschen Anerkennungspolitik erfolgte Aufwertung des Ethnonationalismus zur international akzeptierten Norm ermöglichte dem Selbstbestimmungsrecht in den Neunzigern seine blutige Karriere - vom Kosovo bis in den Kaukasus.

Grausamer als durch die Balkan-Kriege hätte die zu Beginn des Jahrzehnts von George Bush sr. halluzinierte friedliche neue Weltordnung nicht widerlegt werden können. Die Bombardierung Jugoslawiens wäre ohne das Primat des ethnischen Prinzips nicht möglich gewesen. Und auch die Ankündigung der albanischen Separatistenarmee UCK vom Wochenende, ihren Kampf um nationale Selbstbestimmung in Mazedonien wieder aufzunehmen, zeigt, dass die Parzellierung Südosteuropas noch lange nicht zu Ende ist.

Aufzuhalten war der Zerfall des Tito-Staats allerdings schon Anfang 1992 nicht mehr. Um die Sezession Kroatiens zu verhindern, hatte die Jugoslawische Volksarmee Osijek und Vukovar zu diesem Zeitpunkt bereits in Schutt und Asche gelegt. Und beseelt vom völkischen Selbstbestimmungsrecht war man auch südlich von Zagreb und Ljubljana. Ebenfalls im Januar 1992 proklamierte Radovan Karadzic die Gründung der Serbischen Republik Bosnien-Herzegowina, drei Monate später begannen seine Einheiten mit der Vertreibung der nichtserbischen Bewohner aus den von ihnen besetzten Gebieten. Das Ziel der so genannten ethnischen Säuberungen war die völkische Homogenisierung der Bevölkerung des bosnisch-serbischen Territoriums.

Dafür jedoch, dass die Wiederkehr des ethnischen Prinzips keine deutsche Erfindung war, hat sich in der linken Publizistik hierzulande erstaunlicherweise kaum jemand interessiert. Das Bündnis Slobodan Milosevics mit dem faschistischen Vorsitzenden der Radikalen Partei, Vojislav Seselj: Schwamm drüber. Die Tausenden von Toten von Srebrenica in weniger als fünf Tagen: eine Erfindung Rudolf Scharpings. Aufgeschrieen wurde in konkret, in der jungen Welt und später auch in der Jungle World meist nur dann, wenn die vermeintlichen deutschen Hilfsvölker ihre Finger im Spiel hatten: 1995 bei der Vertreibung der kroatischen Serben aus Westslawonien und der Krajina, 1999 bei der Flucht von Roma und Juden aus dem Kosovo.

Die Tatsache aber, dass die Väter und Mütter jener serbischen Soldaten, die ein paar Monate vorher unter umgekehrten Vorzeichen gegen ihre kosovo-albanischen Landsleute vorgingen, vor 50 Jahren vielleicht von der Wehrmacht verfolgt wurden, macht deren Vorgehen nicht besser. Denn die deutsche Armee ging auf ihrer Suche nach willigen Vollstreck-ern ihres völkischen Vernichtungswahns gezielter vor als der essenzialistische Blick so mancher antideutscher Deutscher vermuten lässt - und war deshalb durchaus zu haben für die Kollaboration mit antikommunistischen, nationalistischen Serben. Was zählte bei der Ermordung von Juden und Roma, war das völkische Prinzip. Dem fühlten sich schließlich auch die Nachfolger von Ustaschas und Tschetniks in den neunziger Jahren verpflichtet. Ganz unabhängig vom Wappen auf der Uniform.