Konstantin Wecker über die Anti-Globalisierungsbewegung

»Es ist an der Zeit, Netzwerke zu bilden«

Schon immer hat sich Konstantin Wecker politisch artikuliert. In seinen Songs und Gedichten. Auf der Straße bei einer Demo hat man ihn jedoch selten gesehen. Seit einigen Jahren sympathisiert Wecker mit der Antiglobalisierungsbewegung. Inzwischen ist der 54jährige Mitglied bei Attac. Sein Programm »Vaterland«, mit dem er zuletzt tourte, war so politisch wie lange keines mehr. Auch nach dem 11. September stellte er sein Programm nicht um und verzichtete auch nicht auf US-kritische Songs. Wecker bezieht in seinen Konzerten vehement Stellung gegen den Krieg und die Militarisierung der deutschen Politik, er streitet gegen Rassismus, Hunger und die globalisierte Weltordnung. Bei den Protesten gegen die Nato-Sicherheitstagung in München am vergangenen Wochenende war Wecker, der in München lebt, unter den Demonstranten.
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Es ging ja heiß her in München, hatten Sie keine Angst mal wieder mit der Justiz in Kontakt zu geraten?

Zwei Freunde, die hinter mir gegangen sind, haben eine interessante Diskussion unter zwei oder drei Zivilpolizisten mitgekriegt. Der eine sagte: »Da isser ja scho wieda, der Wecker«. Darauf der andere: »Ja dann sollnse ihn halt einbuchten.« Aber im Ernst. Es ist eine Ungeheuerlichkeit, was hier passiert ist. Ich habe es immer wieder gesagt, auch in meinem Aufruf im Internet, dass ich hier als Pazifist hingehe. Ich bin Pazifist und ich werde auch nicht mit irgendeiner Form von Gewalt gegen Krieg demonstrieren, weil das für mich ein Widerspruch wäre. Es waren hier unglaublich viele junge friedliche Menschen. Die einzigen Ausschreitungen, die es gab, wurden - soweit ich das beurteilen kann - von der Polizei provoziert. Und wenn man bedenkt, wie Wochen vorher eine Dämonisierung betrieben wurde, dass hier 3000 Terroristen kämen. Das ist heute alles ad absurdum geführt worden.

Waren Sie über das Verhalten der Polizei erschrocken?

Jeder, der hier war, hat über das unglaubliche Polizeiaufgebot den Kopf geschüttelt. Ich bin wirklich erschrocken, was hier für ein Einsatz befohlen worden ist, was hier für eine Stärke gezeigt worden ist. Und es hätte eine so schöne, angenehme Demonstration werden können, bei der man auf Kundgebungen auch Inhalte hätte vermitteln können. So ist man gar nicht dazu gekommen. Man wurde dauernd irgendwohin gejagt. Es gab keine Möglichkeit zu sagen, wofür man eigentlich demonstriert. Und sie haben fast nur die jungen Leute festgenommen, 17jährige, 18jährige, ganz viele. Und das finde ich besonders traurig, weil es ganz wichtig ist, dass gerade die demonstrieren.

Es gab Polizeikessel, Festnahmen, Schlagstockeinsätze. Und vorher gab es Reiseverbote und Hausdurchsuchungen, viele Busse wurden auf dem Weg nach München abgefangen. Wird aus Deutschland ein Polizeistaat?

Wenn man die Bilder von diesem Wochenende sieht, diese martialische Polizeipräsenz, dann könnte man durchaus auf solche Gedanken kommen. Auf jeden Fall ist es ersichtlich, dass wir in einem Land leben, das sich im Krieg befindet. Und das spürt man, das wirkt sich auch nach innen aus. Mit dem Argument, mit dem man die Demonstration verboten hat, dass es unter Umständen zu Gewalt kommen könnte, müsste man jedes Fußballspiel verbieten. Und die NPD hat man hier durch München marschieren lassen. Das darf man nicht vergessen.

Was hat Sie eigentlich auf die Straße getrieben?

Ich sehe es nicht mehr ein, dass man stillschweigend alles hinnehmen muss, was die Nato und unsere Brioni-Brüder beschließen. Das geht doch nicht. Die drehen doch alle durch seit dem 11. September. Es ist kein vernünftiger Gedanke mehr zu hören. Es herrscht ein Mainstream, der einer Gleichschaltung nahe kommt. Auch diese Dämonisierung, dieser Kampf gegen »das Böse«, das ist ein Rückfall in voraufklärerische Zeiten.

Wieso engagieren Sie sich gerade gegen die Nato-Tagung? Sie haben sich immer stark gemacht gegen Rassismus und Neonazis, bei Antifa-Demos hat man sie aber zum Beispiel noch nicht gesehen.

So ist es nicht, ich war in den letzten zwei Jahren in München auch bei Antirassismus-Demonstrationen dabei. Aber der eigentliche Grund ist, dass ich erst seit drei, vier Jahren wieder einen genügend klaren Kopf habe, um mich wieder voll einbringen zu können, sie verstehen?

Bewerten Sie die Proteste in München trotz der Verbote als Erfolg?

Sicherlich. Vor allem weil so viele Leute gekommen sind. Weil man gesehen hat, dass es ganz viele Menschen gibt, die gerne ihre Meinung kund tun würden. Erschreckend ist aber die Vorstellung, dass diese Antwort des Staates Schule machen könnte. Dann müssen wir uns fragen: Kriegen wir überhaupt noch irgendeine Demonstration durch.

Mal eine Frage an den Bayern: Wird es denn mit einem Kanzler Stoiber schlimmer? Oder sind Gerhard Schröder und Joseph Fischer nicht zu toppen?

So richtig zu toppen sind die eigentlich nicht, vor allem wenn man noch den Schily dazu nimmt. Auf der anderen Seite muss ich sagen, dass schon sehr viele Bayern Angst haben, dass Stoiber auch noch in die Bundespolitik eingreift. Aber wenn sie mich jetzt nach einer richtigen Alternative fragen, fällt mir eigentlich keine ein.

Ich denke, dass es an der Zeit ist, Netzwerke zu bilden. Es wird Zeit, dass sich die Leute sammeln, die bereit sind, vernünftig zu denken. Es muss wieder ein politisches Denken von unten geben. Das von oben hat sich verfahren. Es hat sich auch wirtschaftlich verfahren. Und da sind so viele Lügen dabei, von einem Wirtschaftswachstum etwa, dass es überhaupt nicht mehr geben kann. Außer wir beuten hemmungslos die Dritte Welt aus. Es muss ein neuer, klarer Denkansatz her. Und ich weiß nicht, wo der im Moment in der Politik zu finden ist.

Auf der anderen Seite der Polizeiabsperrungen tagte bei der Nato-Sicherheitskonferenz Ihr alter Freund Rudolf Scharping. Wie ist das eigentlich? Hat die Freundschaft zwischen ihnen gelitten, seit er Verteidigungsminister ist?

Es ist schon verdammt schwer, wenn der Freund eines Pazifisten Verteidigungsminister wird. Bei dieser Aussage würde ich es gerne belassen.

Wird man die Eindrücke von diesem Wochenende in irgendeiner Form auf Ihrer nächsten Platte wiederfinden?

Das ist durchaus möglich. Ich habe seit dem letzten Herbst bei meiner Tournee gemerkt, wie sehr sich Leute wünschen, dass es Künstler gibt, die auf der Bühne etwas sagen, die sich politisch einmischen. Natürlich ist für mich die Musik und die Poesie nach wie vor das Wichtigste. Aber es hat keinen Sinn, in der heutigen Zeit die Politik auszuklammern. Das geht auch nicht. Ich kann das einfach nicht. Ich muss mir das gar nicht groß vornehmen. Ich habe zu viel Wut, um nichts dazu zu sagen.

Und hat sich diese Wut nach diesen Erlebnissen mit der Polizei noch gesteigert?

Einerseits schon. Andererseits habe ich viele schöne Begegnungen gehabt. Es waren so viele tolle Leute da. Es ergeben sich Kontakte und man tauscht Informationen aus. Das ist ganz wichtig. Wir müssen immer auch fragen, wie kommen wir an Informationen heran? Es ist ja nicht so, dass alle Informationen einfach zugänglich wären, dass jeder darauf Zugriff hätte. Ich habe mich durchs Internet wühlen müssen, um mich nicht nur einseitig zu informieren. Deshalb ist es auch ganz wichtig, dass wir uns treffen. Insofern war das hier nicht nur ein negatives Erlebnis.