Zensierte Sportarten I

Tanzen in Säcken

Fans des Eistanzes werden sich bei den diesjährigen Olympischen Winterspielen auf jeden Fall verarscht vorgekommen sein. Denn die Sportart, in der es im Gegensatz zum Kunstlaufen nicht so sehr auf ausgeklügelte Drehungen, Sprünge und Spiralen ankommt, sondern mehr auf ausdrucksvolle tänzerische Elemente, wurde ihrer virtuosen erotischen Momente beraubt.

Schluss ist daher mit Schmachten, Verlangen, Hingabe, Exzess, denn die Eistänzer dürfen nur noch als asexuelle Wesen übers Eis kringeln.

Der Grund für die Ausklammerung der Libido bei den Spielen im mormonisch-christlichen Salt Lake City waren jedoch nicht etwa Auflagen der dort herrschenden Allesverbieter, sondern Interventionen schwer schockierter Preisrichter.

Sie hatten bei den jüngsten Eiskunstlauf-Europameisterschaften im schweizerischen Lausanne schwere erotische Entgleisungen feststellen müssen und waren entsprechend empört. In einem internen Memo hatten sie erklärt, auf keinen Fall noch einmal so viele »exotische Hebungen« sehen zu wollen, und daher generell dem »dirty dancing« den Kampf angesagt.

»Wenn ich einen jungen Mann sehen will, der mir die Geschlechtsteile seiner Partnerin ins Gesicht hält, dann kann ich genauso gut einen Pornofilm ausleihen«, beschwerte sich etwa die US-amerikanische Preisrichterin Nancy Meiss. Zudem sähen die Teilnehmer der Männerkonkurrenz »samt und sonders aus wie Zuhälter«.

Andere hatten »gynäkologische Bewegungen« bei den beteiligten Paaren ausgemacht, die im Zusammenhang mit extrem knapp geschnittener Sportkleidung die Phantasie der Zuschauer wohl unzulässig beflügeln könnten. Jedenfalls, so die Richter, gehörten derartige Auswüchse auf der Stelle verboten. Schließlich seien bei internationalen Wettkämpfen ja auch Pressefotografen anwesend, die gemeinerweise immer dann auf den Auslöser drückten, wenn die Unterwäsche zu sehen sei oder sich ein anderer spektakulärer Anblick biete. Und sie trügen dann dazu bei, das Bild vom Eistanz als unmoralischer Sportart rund um die Welt zu verbreiten. Was auf keinen Fall toleriert werden könne.

Dass erwachsene Menschen trotz strikter Regelbefolgung tun, was sie wollen, könne man auf gar keinen Fall dulden. Schließlich gehe es um das internationale Renommee und um den Eindruck, den zahllose unschuldig vor dem Fernsehen sitzende Kinder haben könnten. Und um das sittliche Empfinden der schweigenden Mehrheit. Jedenfalls müsse es mit dem erotischen Gebahren sofort ein Ende haben. Ansonsten käme es zu ernsthaften Konsequenzen.

Einzig Nick Russell, ebenfalls Eistanzrichter, versuchte noch, gegen die generelle Inkriminierung der Erotik vorzugehen. Die erotischen Bewegungen seien schließlich einigen völlig veralteten Regeln geschuldet, nach denen zum Beispiel beim Paarlauf die Partnerin auf keinen Fall über den Kopf des männlichen Tänzers gehoben werden dürfe; anspruchsvollere Figuren seien deshalb von vornherein ausgeschlossen. »Sie wollen nicht schockieren«, erklärte Russel, »die Paare wollen doch im Wettkampf nur zeigen, wie stark sie sind. (...) Der Eistanz ist erst durch seine Reglementierungen so physisch geworden, wie er jetzt ist.«

Russell hatte jedoch keine Chance. Und das Eistanzen ist auf seine Basics reduziert: Menschen schlittern zu scheußlicher Musik halt so herum. In langen Unterhosen und nicht richtig abgehoben.