Hans Koschnick, ehemaliger EU-Administrator in Mostar

»Bosnien ist eine Scheindemokratie«

Wie kaum ein anderes Bauwerk stand die Alte Brücke von Mostar für den Traum vom friedlichen Zusammenleben aller Nationen des sozialistischen Jugoslawien. Doch der in der vergangenen Woche begonnene Wiederaufbau der von bosnisch-kroatischer Artillerie am 9. November 1993 zerstörten Brücke hat kaum mehr als symbolische Bedeutung. Denn sieben Jahre nach dem Ende des Bosnien-Krieges ist das Land de facto immer noch gespalten in die Einflusssphären der muslimischen, kroatischen und serbischen Eliten. Hans Koschnick, 72, war von Juli 1994 bis Februar 1996 EU-Administrator in Mostar.

Ist der Wiederaufbau der Alten Brücke in Mostar für Sie ein Zeichen der Versöhnung?

Selbstverständlich nicht. Die Wiederherstellung eines internationalen Kulturerbes ist doch kein Versöhnungwerk. Unbestritten ist jedoch, dass die Einwohner diese Brücke als ihr Symbol betrachten. Als Symbol dafür, dass Mostar eines Tages wieder eine gemeinsame Stadt von bosnischen Muslimen und Kroaten sein kann. Aber ob die einzelnen Menschen viel Freude daran haben werden, wollen wir erst einmal sehen.

Das klingt nicht so, als ob sich seit Ihrem Abschied aus Mostar vor sechs Jahren viel verändert hätte.

Eindeutig nicht. Bei der HDZ, der wichtigsten Partei der bosnischen Kroaten, hat sich kein wesentlicher Umschwung vollzogen. Dennoch nehmen in Zentralbosnien die dortigen kroatischen Vertreter inzwischen andere Positionen ein als die Hardliner in der Herzegowina. Das gleiche gilt auch für die Republika Srpska, wo die alten Freunde von Karadzic noch da sind, gleichzeitig aber die Bereitschaft zur gesamtstaatlichen Verständigung wächst.

Der Leiter der Uno-Mission in Bosnien, Jaques Klein, sprach Ende Juni von einer »kriminellen Elite« in Mostar, die den Gesamtstaat weiterhin bedrohe.

Immerhin erhalten die Kroaten in der Herzegowina in der Frage der Auflösung des Staates keine Hilfe mehr aus Zagreb. Ich kann aber nicht sagen, dass die kriminelle Energie in Mostar bei der HDZ größer ist als bei den Serben in Banja Luka. Jaques Klein ist dort vor einem Jahr bei der Grundsteinlegung einer Moschee mit Steinen empfangen worden. Wenn die internationale Gemeinschaft entschieden genug gegen die Hardliner auftritt und gleichzeitig die moderaten Kräfte unterstützt, sind die Perspektiven keineswegs aussichtslos.

Ohne die Präsenz internationaler Institutionen hätten die Nationalisten also weiterhin das Sagen?

Jedenfalls insoweit, dass sie das Funktionieren des Gesamtstaates verhindern könnten. Auflösen können sie diesen zwar nicht mehr, aber seine Handlungsfähigkeit entsprechend minimieren.

Demnach müsste man der lokalen Bevölkerung den Zugang zu den politischen Entscheidungen möglichst lange verwehren.

Ehrlich gesagt glaube ich, dass es ein Fehler war, in Bosnien so früh zu wählen. Eine formale Demokratie, in der zwar Wahlen stattfinden, aber keine Demokraten da sind, ist eine Scheindemokratie. Das ist auch im Kosovo ein Problem. Zu glauben, man müsse bloß die Uniformen ausziehen und dann kommt der Frieden, ist illusorisch.

Die militärische Erfahrung des neuen Hohen Repräsentanten in Bosnien, Paddy Ashdown, könnte demnach nützlicher sein als die diplomatische Praxis seines Vorgängers Wolfgang Petritsch?

Ich glaube nicht, dass man mit Protektorats- oder Kolonialansätzen weiterkommen kann. Die entscheidende Frage ist, ob man lediglich eine formale Staatsstruktur demokratischer Art aufbaut, oder ob man darauf achtet, dass die, die zur Wahl antreten, nicht völlig verhetzt sind. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben nach der Beendigung des Bürgerkrieges den Bewohnern der Südstaaten auch nicht gleich das volle Wahlrecht gegeben.

Ist die Entscheidung der Uno, sich zum Jahresende aus Bosnien zurückzuziehen, nicht der falsche Schritt?

Es könnte sein, dass sich die politischen Kräfte in Bosnien-Herzegowina nach den Wahlen im Oktober auf eine bessere Kooperation verständigen. Wenn nicht, war das mit Sicherheit nicht das letzte Wort der Uno.

Ohne die Präsenz der Bosnien-Schutztruppe Sfor könnten weder die Uno noch der Hohe Repräsentant viel ausrichten.

Wenn die Sfor sich zurückziehen würde, dann hätte der Hohe Repräsentant nur die Möglichkeit, mit guten Worten und mit Vernunft einzuwirken. Gute Worte und Vernunft reichen auf dem Balkan nicht, aber sie allein würden auch in anderen Teilen Europas nicht helfen.

Das klingt nicht so, als ob die Europäische Union die angestrebte Rolle als Schutzmacht in Bosnien übernehmen kann. Liegt es daran, dass der Hohe Repräsentant zu wenig Einfluss auf die Finanzhilfe hat, die nach Bosnien fließt?

Wenn hier die Strukturen stärker gebündelt würden, dann wäre die Macht des Hohen Repräsentanten auch sehr viel größer.

Ist das ein Plädoyer für den Abzug anderer internationaler Organisationen und eine alleinige Präsenz der EU?

Ich spreche nicht vom UNHCR und anderen an der Flüchtlings- und Rückkehrbetreuung beteiligten Organisationen. Aber die anderen Fragen könnten von Europa gelöst werden, wenn es endlich eine geschlossene europäische Konzeption gäbe, wie die vorhandenen Mittel eingesetzt werden sollen und wer gefragt wird, bevor Zusagen erfolgen.

Soll die EU dann eines Tages etwa auch das Kommando über die Sfor erhalten?

Nein. Schließlich sind die EU-Truppen zum Teil gar nicht in der Lage, ohne die entsprechenden Hilfen im Rahmen der Nato die Führungsfunktion sicherzustellen. Deshalb muss die internationale Sicherheitskompetenz über die EU hinausgehen.

Ich bin ohnehin der Auffassung, dass eine gut ausgebildete Polizei viel wichtiger ist als die Frage, ob wir nun wieder eine neues Militärkontigent in das Land schicken.

Während die Uno 2 000 Beamte zur Ausbildung der Polizei bereitstellte, schickte die EU Anfang Januar nur knapp 500 Mann nach Bosnien.

Es gibt einen Widerspruch zwischen der militärischen und der allgemeinen Sicherheitsplanung. Und es gibt einen zweiten Widerspruch zwischen den Zusagen nationaler Regierungen und deren Realisierung. Ich denke dabei auch an den Einsatz im Kosovo, wo sich die militärischen Planungen über Wochen hinzogen, aber erst hinterher nachgedacht wurde, was wir polizeilich machen können. Das Versagen der europäischen Regierungen bei der konkreten Hilfe kann also gar nicht bestritten werden. Aber das muss man ja morgen nicht wiederholen.

Endet mit dem Amtsantritt Ashdowns und der Übernahme der Polizeimission durch die EU nun die Pax Americana?

Es wäre völlig töricht zu glauben, wir könnten die großen Fragen im internen Club der Europäer klären. Wir werden, was die militärischen Einsätze anbelangt, immer auf die Amerikaner angewiesen sein. Es sei denn, die europäischen Länder wären bereit, wesentliche Mittel zum Aufbau von Kommunikationsmitteln zur Verfügung zu stellen.

Halten Sie eine Emanzipation von den USA auf militärischem Gebiet für erstrebenswert?

Die Europäer sollten nicht immer nach dem großen Bruder rufen. Denn der hat seine eigenen internationalen Interessen, die nicht immer mit den europäischen identisch sein müssen. Nur müssen dann die Europäer wirklich eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitk betreiben, die bislang nur in Ansätzen existiert.