Auflagen für die Kneipen in der Simon-Dach-Straße

Wählt Stoiber!

Berlin braucht eine Revolution. Dringend. Die Freilufttrinkkultur der Hauptstadt ist bedroht. Zumindest teilweise. Den Wirtsleuten in der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain stehen harte Reglementierungen ins Haus. Und das alles, weil die AnwohnerInnen der Meinung sind, dass die Kneipengäste, die im Sommer draußen auf den Bierbänken herumlungern, zu viel Lärm machen.

Die Simon-Dach-Straße entwickelte sich in den neunziger Jahren zu einem Riesenbiergarten mit Verkehrspassage und wird längst in einschlägigen Reiseführern als Ausgehmeile angepriesen. Schon seit dem vorigen Jahr darf dort wegen zahlreicher Beschwerden nur noch bis 22 Uhr draußen getrunken werden, am Wochenende bis 23 Uhr. Trotzdem gingen weiterhin Klagen beim Bezirksamt ein.

Darauf reagierte die Behörde nun mit einem originellen Vorschlag. Ab 20 Uhr sollten künftig vor jeder Kneipe nur noch sechs Gäste Bier trinken dürfen. Und auch nicht länger als bis 22 Uhr. Für die Zeit vor 20 Uhr hatte man sich noch zusätzliche Auflagen ausgedacht. Zum Beispiel sollte sich die Zahl der Freiluftplätze der »Dachkammer« auf 66 beschränken. Erfahrungsgemäß machen dort 66 Gäste wohl so viel Lärm wie beliebig viele Gäste jeder anderen Kneipe.

Was passierte daraufhin? Erhob sich eine Welle der Empörung, standen die unzähligen passionierten TrinkerInnen auf für die Ausübung ihres Hobbys unter freiem Himmel? Wurden Pamphlete verfasst, Unterschriften gesammelt, die Messer gewetzt? Spürte man auch nur einen Funken revolutionäres Potenzial?

Immerhin, die Kneipiers taten sich zusammen und gründeten die Initiative »Wir(te) in Friedrichshain«, fest entschlossen, »in den nächsten Tagen (zu) überlegen«, was man unternehmen könne. Baustadtrat Franz Schulz von den Grünen nahm sich der Sache an. Er rief am vergangenen Mittwoch Vertreter der Konfliktparteien zu sich. Die Absurdität der neuen Regel, wonach nur sechs Gäste draußen sitzen dürfen, wurde offensichtlich erkannt, die Wirte entwickelten sogar eine gewisse Hartnäckigkeit und gaben sich mit dem Kompromissvorschlag, im gesamten Kiez den Freiluftausschank um 22 Uhr zu beenden, nicht zufrieden. Sie fordern eine Schankerlaubnis bis 23 Uhr, weil das Geschäft nach der Milchkaffee- und Apfelschorlenzeit erst so richtig brummt. Das Gespräch wird fortgesetzt.

Sicher ist: In Bayern wäre der Konflikt anders gelöst worden. Als den Münchener Biergärten 1995 ein Ausschankverbot ab 21.30 Uhr drohte, rebellierten die Bürger. Die Webseite des Biergartenvereins, dessen Mitglieder auch heute noch von sich behaupten, dass sie für den Erhalt ihrer Biergartenkultur zu Revolutionären würden, dokumentiert die Ereignisse. Über 200 000 Unterschriften wurden innerhalb kürzester Zeit für das »Heiligtum der bayerischen Lebensqualität« gesammelt, 20 000 Menschen beteiligten sich an einer Demonstration zum Marienplatz.

Der Kampf fürs Trinken unter freiem Himmel mobilisierte und politisierte die Massen: »Auch wer noch nie demonstriert hat, nimmt daran teil. Blasmusik und Trachtengruppen begleiten uns.« Frontmann der Bewegung war Edmund Stoiber, der bayerische Ministerpräsident (CSU), der »mit geballter Faust« seine »Initiative zum Schutz aller Biergärten« startete.

Zum Schutz aller Biergärten? Da können die Berliner nur hoffen, dass der Wies'n-Edmund seinen Elan für die gute Sache mit in die Hauptstadt bringt, falls er hier ab September zu tun haben sollte. Dann steht der Revolution nichts mehr im Wege.