Fußball in Bosnien-Herzegowina

Ärger in der Kabine

Sieben Jahre nach dem Kriegsende spielen in Bosnien muslimische, kroatische und serbische Fußballclubs wieder in einer gemeinsamen Liga. Doch manchmal verstehen sich nicht einmal die Spieler eines Teams.

Nenad fummelt an seinem Handy. »F.K. Zeljo« blinkt es auf dem Display unter dem Namen des bosnischen Netzbetreibers GSMBIH. Eigentlich wollte Nenad schon längst im Kosevo-Stadion sein, wo sein Verein, der FK Zeljeznicar, abends gegen Newcastle United um den Einzug in die Champions League spielt. Doch der 20jährige hat nicht genug Geld für den Besuch im alten Olympiastadion von 1984 zusammenbekommen. In einer Kneipe, eine halbe Stunde Fußweg vom Kosevo entfernt, trinkt er stattdessen ein kleines Bier, bis das Spiel endlich im Fernsehen übertragen wird.

Mario dagegen hat das Geld irgendwie aufgetrieben. Acht Konvertible Mark (KM) kostet die Karte für die Fankurve im Süden des Stadions, wo der 18jährige stehen will, obwohl sein Herz eigentlich für den FC Sarajevo schlägt. Mit ihm sind 40 000 Einwohner Sarajevos heute Abend zu dem Ort unterwegs, wo 1984 die Olympischen Winterspiele eröffnet wurden, so viele wie seit über drei Jahren nicht mehr. Wegen der vereinsübergreifenden Solidarität mit dem FK Zeljeznicar erinnert der »YUG«-Block vielleicht auch deshalb an die glücklichen Zustände im ehemaligen sozialistischen Einheitsstaat.

Mario, der aus Provokation, wie er sagt, das rot-weiße Schachbrettmuster von Hajduk Split auf der Brust trägt, interessiert sich an diesem Abend nicht für die alten Fanfeindschaften. Wenn schon eine Weltmeisterschaftsteilnahme des bosnischen Nationalteams so fern liegt wie ein gut bezahlter Job, dann könnten doch wenigstens die Großen des europäischen Vereinsfußballs öfter mal im Kosevo-Stadion auflaufen. Von Manchester United, Real Madrid und Bayern München träumen Mario und seine Freunde, und ob die nun gegen Zeljo oder den FC spielen, ist wirklich egal.

Das findet auch Munib Usanovic, Generalsekretär des bosnischen Fußballverbandes NSBiH. Seit dem Saisonauftakt vor drei Wochen steht er erstmals an der Spitze einer ungeteilten Fußballföderation, sechs Vereine aus der serbisch dominierten Republika Srpska spielen nach Jahren getrennter Ligen erstmals gemeinsam mit ihren 14 Konkurrenten aus der muslimisch-kroatischen Föderation um den nationalen Titel.

»Wir haben mit dieser Vereinigung viel erreicht«, sagt Usanovic. »Auf keinem anderen Sektor in Bosnien ist bislang so viel auf die Beine gestellt worden.«

Doch der Schein glücklicher Sportseligkeit inmitten eines Meers von Nationalisten trügt. Seit dem Friedensschluss von Dayton Ende 1995 ist das ganze Land von einem Netz paritätisch besetzter Institutionen und Organisationen überzogen worden, die wortgewaltig das friedliche Bosnien der drei Nationen preisen. Selbst der kleinste Verein besteht auf der Gleichberechtigung seiner serbischen, kroatischen und muslimischen Mitglieder, und am Ende blockieren sich die Funktionäre doch nur gegenseitig. So bleibt auf dem Papier der schon zu Titos Zeiten immer stärker ethnifizierte Gründungsmythos von Einheit und Brüderlichkeit gewahrt, während sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen das Ethnonationale als Ordnungsprinzip durchsetzt.

Im Sport ist das nicht anders. Bis zum letzten Sommer etwa pochte der bosnisch-serbische Fußballverband auf die internationale Anerkennung als eigenständige Organisation, und das, obwohl die gesamtbosnische Vereinigung schon 1996 in die Fifa und die Uefa aufgenommen wurde. Auch die bosnisch-kroatische Fußballföderation Herceg-Bosna konnte sich erst im Frühahr 2000 zur Zusammenlegung mit den muslimischen Clubs entschließen, vier Jahre nach Kriegsende. So gesehen ist der Zusammenschluss aller drei Verbände unter einem Dach vielleicht wirklich ein Fortschritt in Richtung republikanischer Prinzipien, wenn auch nur auf dem sportlichen Sektor.

Denn dass die Spieler sich vom ethnischen Wahn der Kriegszeit gelöst hätten, glaubt selbst Almir Gredic nicht, einer der wenigen bosnischen Stars, die trotz der verlockenden Angebote aus den renommierten Ligen in Italien, Spanien oder Deutschland im Land geblieben sind. »Die Balkan-Mentalität«, nicht mit anderen zusammenarbeiten zu wollen, komme immer wieder durch, sagt Gredic, sodass »starke Egos« in gemischten Mannschaften weiterhin für Ärger sorgten.

Das sei für bosnische Spitzenspieler wie Hasan Salihamidzic einer der Gründe gewesen, irgendwann die Flucht ins Ausland zu ergreifen. Und auch für den Stürmer von Zeljo dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, dass er auf seine 15 000 Euro Jahresgehalt zugunsten einer zehn oder hundert Mal höheren Gage verzichtet. Seit über einem Jahr wird der Jungstar von Spielbeobachtern aus ganz Europa umworben.

Die Chancen, dass Mario und seine Freunde Zeljo im Kosevo-Stadion eines Tages wirklich gegen den FC Bayern, Manchester United oder Olympique Marseille auflaufen sehen, steigen durch den möglichen Ausverkauf der Talente nicht gerade. Archie Tuta etwa, der seit 1998 in der Protektoratsbehörde des Hohen Repräsentanten Paddy Ashdown mit der Zusammenlegung der drei bosnischen Verbände befasst ist, klagt über einen »Talent-Drain«, der die Jungen und Talentierten wie in anderen Bereichen auch erfasst habe. Fast alle Nationalspieler verdienen in der Ferne ihr Geld, auf der aktuellen Weltrangliste belegt Bosnien gerade mal Platz 72. Von Erfolgen wie denen des kroatischen Teams gegen Italien bei der WM können die Fußballfans in dem Vier-Millionen-Einwohnerstaat nur träumen.

Obwohl Fifa-Präsident Sepp Blatter die gemeinsame Bewerbung Bosniens und Kroatiens um die Austragung der Europameisterschaft 2008 unterstützen will, hält sich die Hoffnung auf mehr internationale Gäste auch nach den beiden Zeljo-Siegen in der Champions League-Qualifikation in Grenzen. Daran, dass allein die Zusammenlegung der Ligen zu neuem internationalem Niveau führen könnte, glaubt in Sarajevo kaum jemand. Wie auch, wenn die Strukturen des vereinigten Verbandes exakt jenen in der Staatsverfassung verankerten gleichen, durch die das nationalistische Ethnoproporzsystem zum Ersatz für ein auch nur formal republikanisch verfasstes Gemeinwesen wurde.

So wie im dreiköpfigen Staatspräsidium Bosniens rotiert im Fußballverband der Vorsitz zwischen dem amtierenden bosnischen Präsidenten, seinem zum Saisonstart neu eingeführten serbischen Stellvertreter sowie einem weiteren, kroatischen Vize.

Nenad langweilen die Diskussionen um die Zukunft der vereinten Liga. Zwei Stunden nach Spielende sitzt er immer noch in der Kneipe in der Nähe des Kosevo-Stadions, statt Fußball flimmert nun eine bosnische Rockband über den Bildschirm. Für ein zweites Bier hat Nenad das Geld vorhin noch irgendwie zusammenbekommen, doch jetzt ist auch das alle. Na ja, wenigstens an etwas Gras zum Kiffen sei er in der Zwischenzeit gekommen, lächelt er müde. Dass Zeljo das Spiel gegen Newcastle 0:1 verloren hat, interessiert ihn inzwischen gar nicht mehr. Gegen die Großen aus Europa hätten die ängstlichen einheimischen Stürmer doch eh keine Chance gehabt, ist er sich sicher.