Diskussion über »Empire«

Ein Reich komme

»Empire« befriedigt das Bedürfnis nach linker Welterklärung, erklärt aber wenig.

Mit ihrem Buch »Empire« haben Antonio Negri und Michael Hardt anscheinend ein Standardwerk für die Antiglobalisierungsbewegung geschrieben. Das Buch erfüllt ein linkes Bedürfnis. Schließlich gibt es kaum noch Wälzer, die den Anspruch einer globalen Kapitalismuskritik erheben. Außerdem erscheint Hardt/Negris Beschreibung der »Neuen Weltordnung« origineller als das, was auf diesem Gebiet üblicherweise noch geboten wird.

»Empire« enthält sich des offenen Antiamerikanismus und wird so auch abseits des regressiven Antiimperialismus traditioneller Linker rezipierbar. Das ist leider keine Banalität mehr angesichts des bis ins vormals antideutsche Spektrum reichenden Backlash einer Linken, die den antiamerikanischen und antisemitischen Terror der Islamisten spontan als Reaktion auf die Verbrechen der US-Außenpolitik und generell auf das Elend, das die kapitalistische Weltordnung jeden Tag produziert, deutete. Fragt sich also, ob es sich bei der Begeisterung, die Negri und Hardt für die Proteste gegen die »Globalisierung« hegen, nur um ein Missverständnis handelt, oder ob die Übereinstimmungen auf einer tieferen Ebene liegen.

Hardt/Negri vertreten mit »Empire« den Anspruch, die Emphase des kommunistischen Manifests 150 Jahre später wieder aufzunehmen. Der von ihnen konstatierte Paradigmenwechsel vom klassischen nationalstaatlichen Imperialismus zum transnationalen Imperium/Empire, der nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden habe, stelle die Frage der kommunistischen Aufhebung des Kapitalismus neu.

Die Geschichte der Nationalstaaten, des Kolonialismus, der Faschismen - alle partikularen Phänomene der bürgerlichen Moderne sind für Hardt/Negri lediglich Durchgangsstadien auf dem Weg zur im Wortsinne grenzenlosen kapitalistischen Vergesellschaftung: »Im Gegensatz zum Imperialismus etabliert Empire kein territoriales Zentrum der Macht, noch beruht es auf von vornherein festgelegten Grenzziehungen und Schranken. Es ist dezentriert und deterritorialisierend, ein Herrschaftsapparat, der Schritt für Schritt den globalen Raum in seiner Gesamtheit aufnimmt, ihn seinem offenen und sich weitenden Horizont einverleibt. (...) Die unterschiedlichen Nationalfarben der imperialistischen Landkarte fließen zusammen und münden in den weltumspannenden Regenbogen des Empire.«

Ähnlich linear erscheint der Antagonismus des Empire, die »Multitude«. Sie ist das »neu zusammengesetzte und erweiterte postmoderne Proletariat«. Quantitativ umfasst die Multitude »fast die gesamte Menschheit, die entweder in die Netzwerke kapitalistischer Ausbeutung integriert oder ihnen unterworfen ist«. Qualitativ ist die Multitude der general intellect - Marx' Aussicht auf das gesellschaftliche Wissen als unmittelbare Produktivkraft werde durch die Informatisierung der Produktion greifbar.

Die technische Entwicklung erfordere Autonomie und Kooperation statt Zentralisierung und Disziplinierung. Dadurch erweitern sich nach Ansicht von Hardt und Negri die Potenziale für eine kommunistische Vergesellschaftung enorm. Schließlich werde die Multitude von der kapitalistischen Entwicklung in immer größerem Maße dazu befähigt, eine Produktion ohne kapitalistisches Kommando zu organisieren.

Hardt/Negri formulieren ihre Geschichtsphilosophie, die keine sein will, in expliziter Abgrenzung gegen jegliche Dialektik, die als »teleologisch« abgelehnt wird. An deren Stelle sollen zwei methodische Zugänge treten. Der erste sei »kritisch und dekonstruktiv«, auf die »Subversion hegemonialer Sprache und gesellschaftlicher Strukturen« gerichtet. Dadurch werde die »ontologische Grundlage, die sich in der schöpferischen und produktiven Praxis der Menge bietet«, aufgedeckt. Sie müsse nun »konstruktiv und ethisch-politisch« fundiert werden. So stehen sich Empire und Multitude schließlich völlig unvermittelt gegenüber. Die Praxen der proletarischen Menge konstituieren zwar das Empire, aber nur negativ, indem es die ganze Zeit den Widerstand der Multitude bricht. Unter der Oberfläche des Empires verschieben sich die Gewichte zum Ende hin unaufhaltsam in Richtung der Befreiung der Multitude.

So wie die Relativierung nationalstaatlicher Grenzen schon als ihr Ende gedeutet wird, so erübrigt die Informatisierung bei Hardt/Negri die Frage nach den hierarchischen Formen, in denen sie sich vollzieht. Schließlich sind z.B. sowohl der einheimische postoperaistische Chef als auch die illegalen ausländischen »freien MitarbeiterInnen« einer Weltmarktklitsche nach den Kriterien Hardts und Negris Teil der Multitude.

Die Tendenz des Kapitals, die Schöpfung des Reichtums von der auf sie angewandten Arbeitszeit unabhängig zu machen, die unmittelbare Arbeit zurückzudrängen, kann sich nach Marx nur krisenhaft, als prozessierender Widerspruch gegen die Notwendigkeit vollziehen, »diese so geschaffenen riesigen Gesellschaftskräfte (zu) messen an der Arbeitszeit und sie ein(zu)bannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffenen Wert als Wert zu erhalten«.

Für Hardt/Negri dagegen ist die Auflösung des kapitalistischen Zeitmaßes gemäß ihrer antidialektischen »Befreiungsphilosophie« bereits positive Tatsache. Der Zwang der scheinselbständigen Kreativen oder des Heimarbeiters, den Akkord zu verinnerlichen bzw. die an der gesellschaftlich durchschnittlich notwendigen Arbeitszeit gemessene mangelnde eigene Produktivität durch die Ausweitung des Arbeitstags zu kompensieren, erscheint Hardt/Negri als Verheißung. Arbeiten diese Subjekte doch, »befreit« von der unmittelbaren Befehlsgewalt der kapitalistischen Fabrik an der »Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebens«. Das Proletariat erfindet »die gesellschaftlichen Formen und die Formen der Produktion, die das Kapital für die Zukunft zu übernehmen gezwungen ist«. Kapital und Staat werden zum äußerlichen Widerspruch der Produktion, die die vereinigte Multitude in Händen hält: »reine Ausübung des Kommandos, ohne jeden angemessenen Bezug zur Lebenswelt«.

Hier setzen auch die meisten Kritiken von »Empire« an. Hardt/Negri reproduzierten den Produktivitätsfetisch und die Teleologie der Arbeiterbewegung, ihre Forderungen an Staat und Kapital (das Recht auf eine grenzüberschreitende »Weltbürgerschaft« und eine weltweite soziale Grundsicherung) seien naiv. Aber selbst ein so vehementer Kritiker des »Arbeiterbewegungsmarxismus« wie Robert Kurz träumte bereits vor zehn Jahren davon, die Menschheit sei »hinter ihrem Rücken« bereits kommunistisch vergesellschaftet worden, »freilich in verkehrter, negativer Form innerhalb der kapitalistischen Hülle des warenproduzierenden Weltsystems: nämlich als verkehrter Kommunismus der Sachen, als globale Vernetzung des Inhalts der menschlichen Reproduktion«. Während der Kommunismus der Krisis vor ihrem kulturpessimistischen Turn in den technischen Aggregaten abgelagert war, sitzt er bei Hardt/Negri in den Köpfen und (unter positiver Wendung des Foucaultschen Begriffs der »Biopolitik«) in den Körpern.

»Empire« kann so als subjektiv-politische andere Seite der in Politik und Ökonomie zerteilten Kritik der politischen Ökonomie gelesen werden. Kurz' Kommunismus der Sachen findet seine Entsprechung in Hardt/Negris Kommunismus der Subjektivitäten, der sich quasi automatisch einstellt. Weder die konkrete Stellung der zur Multitude gerechneten Individuen im Produktionsprozess noch die Qualität der zum general intellect entwickelten menschlichen Produktivkräfte interessieren Hardt/Negri. Kaum gestreift werden die realen politischen Artikulationen des postmodernen Proletariats, das z.B. in Norditalien, wo der so genannte Operaismus in den sechziger Jahren entstand, eher die rassistische Lega Nord wählt, als sich revolutionär zu betätigen.

Zum Verständnis und zur Kritik von Hardt/Negris »Empire« sind die Auslassungen nicht weniger wichtig als die Ausführungen. Im Gegensatz zum bewegungslinken Mainstream, der sich die nationalsozialistische Konterrevolution solange zurecht interpretiert, bis sie den eigenen Traditionalismus nicht mehr bedroht, ist diese Bedrohung bei Negri/Hardt zumindest zu erahnen, und zwar in ihrem offen zur Schau gestellten Dezisionismus, der Faschismus und Nationalsozialismus aus der Analyse ausklammert: »Diese Geschichte wollen wir anderen Gelehrten und der Schande der Geschichte überlassen.«

Mit dieser Entscheidung haben Hardt/Negri - die doch sonst fast alle wichtigen Imperialismustheorien der letzten 100 Jahre referieren und kritisieren - auch zwei Werke aus ihrem Buch verbannt, in deren Zentrum das Verhältnis von westlichem und nationalsozialistischem Imperialismus steht: Hannah Arendts »Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft« und Franz Neumanns »Behemoth«.

Dabei ist es keineswegs so, dass Hardt/Negri die AutorInnen nicht kennen. Arendt wird als Ontologin des Politischen und als Kronzeugin für die positive Originalität der amerikanischen Demokratie gewürdigt. Und Neumanns Kollegen Horkheimer und Adorno wird immer wieder artig für ihre Analysen von Disziplinarität und Kulturindustrie (die aber die ganze Vielfalt des Geschehens nicht erfassen könnten) auf die Schulter geklopft.

Der Nationalsozialismus als übernationales politisches Projekt kann von Hardt/Negri nicht thematisiert werden, denn er würde ihr Heldenlied des deterritorialisierenden Kapitalismus in Frage stellen.

Franz Neumann konstatierte in der faschistischen Imperialismuskritik des Staatsrechtlers Carl Schmitt 1944 eine klare Frontstellung zwischen dem Faustrecht des nationalsozialistischen »Regionalismus« und dem angloamerikanischen und sowjetischen Universalismus: »Hinter der Fassade der allgemeinen Normen (des internationalen Rechts) stehe in Wirklichkeit das System des angelsächsischen Weltimperialismus, sagt Carl Schmitt. (...) Da die Staaten nicht mehr im Mittelpunkt des Völkerrechts stehen, müssen die Begriffe staatliche Souveränität und Gleichheit verschwinden. An die Stelle des Universalismus muss das Denken in konkreten Ordnungen treten, die konkreteste aller bestehenden Ordnungen aber ist das 'Großdeutsche Reich'.«

Diese Dichotomie scheint sich heute zu wiederholen, jedoch unter umgekehrten Vorzeichen. Seit 1989 konnte Deutschland in Osteuropa ethnisch definierte »konkrete Ordnungen« gegen die traditionelle multinationale Staatssouveränität z.B. Jugoslawiens oder der Tschechoslowakei durchsetzen. Während dies anfangs noch im Alleingang geschah, ist die EU mittlerweile auf die deutsche Linie eingeschwenkt. Spätestens seitdem Deutschland und Europa in diesem Sinne im Nahen Osten verstärkt intervenieren, wird ihnen auch in den Ländern der Peripherie große Sympathie entgegengebracht, wo vom antiimperialistischen Befreiungsnationalismus anscheinend nur noch der Nationalismus übriggeblieben ist.

Hatte schon Hannah Arendt beobachtet, dass es garantierte Menschenrechte außerhalb des Rahmens staatlicher Souveränität offensichtlich nicht gibt, so wird unter den Bedingungen der »Abkopplung« immer größerer Regionen vom Weltmarkt ein ethnisch oder religiös definiertes »Selbstbestimmungsrecht« selbst zum zentralen Menschenrecht, so scheinhaft die Selbständigkeit auch immer sein mag.

Natürlich sind die USA als Schutzmacht der kapitalistischen Weltordnung für diesen Prozess mitverantwortlich. Da dort die Verstaatung der Gesellschaft jedoch weniger entwickelt ist, können Rassismus und Antisemitismus nicht im selben Maß unmittelbar mit einem neoliberalen Etatismus verschmelzen wie im europäischen politischen Spektrum. Das macht die USA, die noch dazu der letzte wichtige Bündnispartner Israels sind, zum gemeinsamen Feindbild rechter und linker Nationalisten und der Antisemiten aller Fraktionen in der Welt. In Deutschland konnte dagegen vor dem Hintergrund des als nationalen Projekts begangenen Verbrechens - der Shoah - die Volksgemeinschaft in die Demokratie integriert werden. So bleibt auch der postnazistische Staat auf ideologischer Ebene die »konkreteste aller bestehenden Ordnungen« und gleichzeitig universeller Garant von Volksgruppen- und Heimatrechten.

Als Beispiel für die Oberflächlichkeit der Prämissen von »Empire« könnte der aktuelle Streit um die Forderung der USA nach einer Immunität ihrer Soldaten vor dem internationalen Strafgerichtshof dienen. Für Hardt/Negri sind internationale Gerichte nur die logische und unproblematische Fortsetzung des Empire, sie sollen den globalen Interventionismus rechtlich absichern.

Dass aber ein internationales Gericht, dessen Exekutivgewalt nicht eindeutig definiert ist, über kurz oder lang zum Objekt zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen werden würde, war bereits in den neunziger Jahren abzusehen. Im Gegensatz zur Darstellung in »Empire« ist es gerade die EU, die das vehementeste Interesse an einem permanenten internationalen Gerichtshof zeigt, um ihre ökonomische und militärische Unterlegenheit »ethisch« zu kompensieren. Bei den Deutschen kommt das Motiv hinzu, den juristischen Sonderfall der Nürnberger Prozesse gegen Nazideutschland mittels eines Gerichts zu kaschieren, auf dessen Anklagebank eines Tages auch die ehemaligen Alliierten des Zweiten Weltkriegs sitzen könnten.

Auch die antizionistische Einigkeit von Staaten und NGO auf der Antirassismuskonferenz von Durban oder die antiamerikanischen Reaktionen auf den 11. September verdeutlichen, dass jetzt die universalistische Macht USA und Israel - die staatliche Reaktion auf den nationalsozialistischen Rassenimperialismus - auf der Anklagebank sitzen; als despotische Partikularisten, die dem demokratischen Recht auf Volk, Heimat und Religion im Wege stehen.

Zwar verzichten Hardt/Negri weitgehend darauf, ihre positive Ontologie revolutionärer Subjektivität durch Abgrenzung von den üblichen Obsessionen des linken Alltagsverstands - Amerikanismus und Zionismus - herzustellen. Die Form ihrer Darstellung, das düstere Raunen über eine »Korruption«, welche der »grundlegenden, durch die biopolitische Produktion definierten Gemeinschaft und Solidarität entgegensteht«, bedient jedoch ein Ressentiment, das normalerweise antisemitisch und rassistisch artikuliert wird. Je mehr die Multitude ihre kapitalistische Selbstverwertung und deren staatliche Absicherung als zweite Natur verinnerlicht hat, desto weniger kann Ausbeutung als etwas anderes denn als äußerliche und personalisierte Machenschaft eines parasitären Finanzkapitals oder ausländischer Schmarotzer wahrgenommen werden.

Hardt/Negri definieren den »Nicht-Ort der Macht« namens Empire als Konglomerat von Mächten und Institutionen ohne Zentrum. Dieser Nicht-Ort, dem Hardt/Negri die Multitude entgegensetzen, ist aber der Wert selbst, der sich durch die als subversiv bejubelten Praxen der Multitude hindurch als automatisches Subjekt durchsetzt. Das im Wesentlichen unpersönliche kapitalistische Zwangsverhältnis wird von Hardt/Negri jedoch in die Entgegensetzung einer Autonomie der Selbstverwertung und der Kontrollmacht des Empire aufgelöst. Die demokratische Menge soll Widerstand gegen den allgegenwärtigen Despotismus des Empire leisten, ohne jedoch ihre eigene Zurichtung auf die Erfordernisse des Marktes anzugreifen.

Kurz vor Schluss ziehen Hardt/Negri schließlich die Konsequenz, verknüpfen den Wert mit dem Heideggerschen Sein und bringen beides gegen die korrupte Macht in Anschlag. »Korruption (...) ist Zeichen für die Unmöglichkeit, Macht und Wert miteinander zu verbinden, und ihre Verurteilung ist somit die unmittelbare Erkenntnis, dass es an Sein mangelt. Korruption trennt Körper und Geist von dem, was sie zu leisten imstande sind. Da Wissen und Dasein in der biopolitischen Welt immer darin bestehen, Wert zu produzieren, erscheint dieser Mangel an Sein als Wunde, (...) als eine Entfernung des Seins aus der Welt.«

Nach einem vierhundertseitigen Durchgang durch die Geschichte des 20. Jahrhunderts, nach dem Lob der kapitalistischen »Deterritorialisierung« und der Kritik des linken Antiimperialismus sind Hardt/Negri schließlich bei einer philosophischen Begründung der Forderung angekommen, die Attac im Namen trägt. Damit die Wertproduktion gerecht weitergehen kann, müssen Korruption und Spekulation bekämpft werden. Hardt/Negris Kommunismus entpuppt sich als religiös inspirierter Kommunitarismus.

Die Brisanz von »Empire« steckt nicht in der Aneinanderreihung philosophischer Theorien und linker Geschichte, sondern im Willen, die disparaten Teile zu einer gemeinschaftsstiftenden, affirmativen Synthese zusammenzuführen. Genau diese Synthese macht den spektakulären Erfolg des Buchs aus, zentrale Begriffe sind auf sie ausgerichtet. Wenn man »den christlichen Impetus, den fröhlichen Operaismus, die Verschiebung des Emanzipatorischen auf eine autonome Subjektivität wieder abzieht«, wie Katja Diefenbach vorschlägt (Jungle World, 25/02), bleibt von der Konstruktion nicht mehr viel übrig, und die, gelinde gesagt, eigenwillige Neuinterpretation von Marx, Debord oder Foucault springt sofort ins Auge.

Walter Benjamin, als Kommunist und Jude von den Nazis gejagt, schrieb 1940 kurz vor seinem Suizid an der französisch-spanischen Grenze in den Thesen »Über den Begriff der Geschichte«, es gebe »nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat wie die Meinung, sie schwimme mit dem Strom. Die technische Entwicklung galt ihr als das Gefälle des Stromes, mit dem sie zu schwimmen meinte. Von da war es nur ein Schritt zu der Illusion, die Fabrikarbeit, die im Zuge des technischen Fortschrittes gelegen sei, stelle eine politische Leistung dar.«

Nach 1968 haben radikale Linke ihre eigene ökonomische Existenz im Kampf für das Proletariat, die Natur, den Frieden etc. meistens verdrängt und ideologisiert. Hardt und Negri bieten nun die Gelegenheit, das meist prekäre und ohnmächtige eigene Dasein als »immaterielle« ArbeiterInnen auch noch als »politische Leistung« zu sehen und sich im Geiste nochmal mit der Geschichte stromabwärts Richtung »Kommunismus« treiben zu lassen.

Hardt/Negris Werk liefert keinen Beitrag zur notwendigen Konfrontation des Scheiterns des »realen Sozialismus« mit seinen reaktionären Konsequenzen. »Empire« produziert stattdessen revolutionäre Bilder für eine Linke, die den Anspruch aufgegeben hat, durch eine radikale Kritik ihres Konformismus und ihrer Kollaboration mit der faschistischen und antisemitischen Konterrevolution in Geschichte und Gegenwart erst einen Zustand zu schaffen, in dem Optimismus wieder eine Berechtigung hätte.