Neues Album von Radian

Autonom im Abseits

Mit ihrem neuen Album schliddern Radian haarscharf am digitalen Paradigma vorbei.

Vor nicht ganz fünf Jahren gründet sich in Wien das Trio Radian. Die Besetzung ist denkbar reduziert, Martin Brandlmayr spielt Schlagzeug und Sampler, John Norman E-Bass und Stefan Nemeth bedient den Analogsynthesizer. Anfang des Jahres 1998 nehmen sie ihren ersten Tonträger auf, der kurze Zeit später auch erscheint. Inmitten der Euphorie für abstrakte elektronische Musik, die damals an den Rändern der internationalen Popkultur herrscht, erscheint ihr Umgang mit Elektronik fast schon archaisch, ist doch die überwiegend analoge Elektronik in einen richtigen Band-Kontext eingebettet.

Aber Radian spielen so konzentriert und reduziert, umgehen dabei so zielsicher Songgerüste und Improvisationskonzepte, dass man ihre Musik nur als extrem eigenständige wahrnehmen kann. Weder Postrock noch Minimaltechno, vielleicht die Kreuzung von beiden Genres, erdacht im österreichischen Abseits.

Von da an gibt's kein Halten mehr. Österreich ist ein kleines Land mit einer bescheiden ausgeprägten Popkultur, dafür aber mit überproportional gut ausgestatteten Fördertöpfen für Avantgardekunst (diese Fördertöpfe sind umstritten und irgendwann wird sie Haiders FPÖ auch »rationalisiert« haben, aber die alte Kulturbürokratie ist zäh).

Radian spielen in den Jahren 1998 und 1999 auf nahezu jedem kulturellen Großereignis, erspielen sich darüber hinaus in ganz Europa einen veritablen Ruf, einen dritten, eigentlich schon einen vierten Weg zu gehen. Anfang des Jahres 2000 erscheint ihre zweite CD, kryptisch »tg 11« betitelt, natürlich auf dem legendären Wiener Glitch-Label Mego (ohne aber allzu viel mit dem sonstigen Programm des Labels zu tun zu haben).

Man ahnt, wie viel Arbeit in diesem Album steckt. Das Schlagzeug hört sich so an, als sei es auf einer technischen Ebene mit dem Synthesizer verkoppelt, als würde das Bestreichen der Snare automatisch ein feinkörniges Rauschen des Korg MS 20 auslösen. Doch das Interface ist rein kommunikativ. Die Gruppe ist so gut aufeinander eingestellt, dass die Aktionen des einen sofort in Aktionen der jeweils anderen überführt werden.

Warum aber die Mühe, wenn man diese Synchronität auch mit einem guten Sequencerprogramm erzielen könnte? Kann man aber nicht. Diese Art von Zusammenspiel, von Energie und Klangfarbenmelodie (ein Begriff Schönbergs, der, auf Radian angewendet, überhaupt nicht prätentiös ist) ist gruppenspezifisch und allein auf die Kommunikationsverhältnisse der Musiker untereinander zurückzuführen. Die Musik bewegt sich haarscharf am digitalen Paradigma entlang, ohne ihm zu folgen. Diese feine Differenz, korrespondierend mit der überaus fein gezeichneten Musik, wird in Radians Praxis zu einer Unterscheidung ums Ganze.

In den letzten zwei Jahren ist dann nicht mehr viel passiert. Man hörte, dass Stefan Nemeth sein Studium beendet habe und dass Martin Brandlmayr, der sich mittlerweile auch als Improvisator und Interpret Neuer Musik einen Namen gemacht hat, nach Berlin gezogen sei. Hätten sich Radian also friedlich und in aller Stille aufgelöst, sie hätten das Schicksal mit so vielen hoffnungsvollen bzw. »spannenden« und »innovativen« Elektronik- und Postrock-Acts aus der zweiten Hälfte der neunziger Jahre geteilt.

Radian haben sich aber nicht aufgelöst. Im Januar dieses Jahres lud sie der Schlagzeuger und Produzent John McEntire (Tortoise, The Sea & Cake, Stereolab etc.) zwei Wochen in sein Chicagoer Studio ein, um für das renommierte Postrock-Label Thrill Jockey eine neue CD einzuspielen. Die Zeit ist schnelllebig, gerade in der kleinen Avant-Pop-Szene; man kann also »Rec. Extern«, das im September 2002 erscheint, ohne weiteres ein Comeback-Album nennen.

Die gute Nachricht - oder die schlechte, je nachdem - ist: Der Sound von Radian hat sich nicht merklich geändert. Das verwundert, ist doch McEntire dafür bekannt, Bands, die in seinen Soma Electronic Music Studios aufnehmen, seinen federnden, runden, bei aller Leichtigkeit doch sehr präzisen Sound zu verpassen. Dem konnte sich das Trio offensichtlich entziehen, die Änderungen, die es in der musikalischen Interaktion tatsächlich gegeben hat, sind ganz der der Band eigenen Immanenz zuzurechnen.

Ihre erste CD zeichnete sich durch eine verblüffend souveräne Linearität aus, die zweite war demgegenüber fragmentierter und dissoziierter. »Rec. Extern« arbeitet noch stärker an der Unübersichtlichkeit, wohl gemerkt, bei größter Klarheit der einzelnen Soundelemente. Wo es einen Groove gibt, ist der Groove sehr prägnant, fast physisch; wo ihre musikalische Arbeit nur um ein paar Fragmente kreist, sind die Fragmente noch dünner, noch ausgezehrter und unscheinbarer. Und alles scheint stärker aufeinander bezogen, verschachtelter. Man nimmt das beim Hören nicht vielseitig und abwechselungsreich wahr, sondern als Forcierung der Konzentration.

In einer Zeit, wo es wieder um fette Sounds geht und wo, um Klartext zu sprechen, Sonic Youth, nachdem sie den Avant-Star Jim O'Rourke angeheuert haben, eben nicht ausgefreakter, sondern gefasster und rockiger denn je daherkommen, klingen die Soundentwürfe Radians idiosynkratisch, versponnen.

Vor vier, fünf Jahren begannen sie in einer euphorisch experimentierenden Szene. Die Szene gibt es immer noch, aber sie ist mittlerweile schon viel weniger interessant, als sie es noch in den Neunzigern war. Radian sind nun nicht einfach selbstgenügsam mit der Szene und in der Szene gewachsen, sie sind auch nicht »hinausgewachsen« (was bedeuten würde, dass sie heute einen Groove wie To Rococo Rot spielten).

Sie haben sich ganz nach ihren eigenen Kriterien entwickelt und haben das Ergebnis dabei immer noch sehr hörenswert und nachvollziehbar gestaltet. Die Eigenständigkeit, die man ihnen von Anfang an attestierte, verifiziert sich erst jetzt.

Radian: Rec. Extern. Thrill Jockey