Der Kanzler

Chefsache Deutschland

Erst krempelte Schröder die Ärmel hoch und half der Holzmann AG, dann kam die Flut und half Schröder.

Nun regiert er fast sechzehnmal so lange wie Friedrich III., und nach Otto III. hat nur er in zwei Jahrtausenden regiert. Sein Vorgänger, der zwar manchmal noch in der Kantine des Reichstags gesehen wird, ist längst eine entrückte historische Gestalt, wie Stresemann oder Barbarossa. Die Vierjährigen unter uns erinnern sich an keinen Helmut Kohl, noch weniger vermögen sie sich vorzustellen, es könnte jemals einen anderen Bundeskanzler geben als Gerhard Schröder. Er regiert und regiert, Deutschland steckt im Reformstau.

Es wäre also hohe Zeit für einen Wechsel. Doch leider ist die Lage so, wie Günther Jauch sie beschreibt, ein kluger Kopf, der unter vier vorgeschlagenen Antworten auf jede beliebige Frage immer die richtige erkennt: Die Politiker wissen wohl, was zu tun ist, aber allesamt trauen sie sich nicht. Und vor der Alternative, Stoiber zu verhindern oder Schröder zu beenden, gibt es kein Argument. Der eine will den mittelständischen Unternehmern geben, was der andere ihnen schon gegeben hat, der eine möchte das Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, das der andere verabschieden ließ, nun auch so nennen, beide versprechen, mit den Arbeitslosen und den Empfängern von Sozialhilfe übel umzuspringen, zu sparen und gleichzeitig zu investieren, beide waren für den einen Krieg und sind nun gegen den anderen. Zwar wollen die Deutschen eigentlich immer von der CDU regiert werden, aber nur widerwillig stürzen sie ihre Regenten. Deshalb wird auch diesmal der so genannte Kanzlerbonus die entscheidenden drei Prozent einspielen.

Was für Kohl die Konjunktur war, die immer wieder rechtzeitig ansprang, ist für Schröder die Jahrhundertflut. Im April vor den Wahlen stürzt das Politbarometer den amtierenden Kanzler in die Hoffnungslosigkeit, doch siehe, plötzlich wächst das Sozialprodukt um ein oder zwei Prozent oder die Elbe steigt aus ihrem Bett. Und dann heißt es, mit der Vollbeschäftigung werde es jetzt aber sofort losgehen, oder die Rettung der Ertrinkenden wird zur Chefsache erklärt.

Seit ein paar Wochen entspricht Schröders ganzem Auftritt wieder die rhetorische Figur, die er vorm Beginn seiner Kanzlerschaft so gern benutzte: »Ich will, dass« jeder Jugendliche einen Ausbildungsplatz hat, die Lohnnebenkosten sinken, morgen früh um fünf die Sonne aufgeht. Noch vor kurzem schien vielmehr der Satz zu gelten, den Schröder sprach, als nicht er, sondern Rudolf Scharping zum Vorsitzenden der SPD gewählt worden war: »Wenn das so ist, will ich das auch so haben.«

Dass die Mehrheit der Wähler zwar ihn, aber nicht seine Partei haben will, und schon gar nicht in einer Koalition mit den Grünen, scheint ihm inzwischen auch nicht mehr zu schaden. Den Ruf eines »Medienkanzlers« verdankt er einigen wenigen albernen Gesten; seiner Popularität als »Mann aus dem Volk«, der sich aus ärmlichen Verhältnissen in die höchsten Staatsämter emporkämpfte, war auch das Gehabe des Parvenüs nicht abträglich, der sich in teuren Klamotten und mit mehrzölligen Zigarren fotografieren ließ. Vor allem aber gilt er als »Macher«, der in Gummistiefeln durch Grimma stapft und die Existenz des Holzmann-Konzerns mit ein paar Milliarden um ein paar Monate verlängert.

Dabei sollte er wahrheitsgemäß der Kanzler der leeren Versprechen heißen. »Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit signifikant zu senken, dann haben wir es nicht verdient, wieder gewählt zu werden«, hieß es 1998. Allerhand Programme, die offenbar nicht in den zuständigen Ministerien, sondern in Werbeagenturen ausgedacht wurden, sollten die Arbeitslosenzahl unter 3,5 Millionen drücken.

Sie hatten aber keine größere Wirkung als die glorreiche Idee aus den späten Tagen des Kanzlers Kohl, endlich auch die private Jobvermittlung zu erlauben; nach einem Jahr hatte jeder neue Makler der Arbeitskraft sich selbst zu einem Arbeitsplatz verholfen, aber sonst niemandem. Während Kohl, mit den neuesten deprimierenden Zahlen konfrontiert, regelmäßig darauf hinwies, er habe aber doch auch eigenhändig mehrere hunderttausend Arbeitsplätze geschaffen, gibt Schröder nun der schwachen Wirtschaftskonjunktur in den USA die Schuld daran, dass die Arbeitslosen partout nicht weniger werden.

Was die Sozialpolitik betrifft, so erkannte der Dissident Oskar Lafontaine schon im ersten Jahr der Ära Schröder: »Die Bürgerinnen und Bürger erfuhren aber, dass diese Regierung eine 'lame dug' war - eine lahme Ente.« Statt die Geldspeicher von Dagobert Krupp anzubohren, privatisierte sie die Rente von Donald Krause.

»Der alte Satz Mao Tse-tungs, 'nicht nur die Hälfte des Himmels, auch die Hälfte der Erde gehört den Frauen', der muss mal praktisch werden«, verlangte einst der Feminist Schröder. Immerhin soll ihnen im Jahr 2005 wenigstens ein Fünftel der Universitäten gehören. Das glaubt zumindest die von ihm so genannte Ministerin für »Frauen und das ganze andere Gedöns«. Derweil gibt seine Doris das Kanzlerweibchen mit dem sozialen Tick.

Nun verspricht er blühende Landschaften im Osten. Niemandem, der vom Wasser heimgesucht wurde, solle es wirtschaftlich schlechter gehen als vor der Flut.

Wahr wurde in Schröders bisheriger Amtszeit aber nur, was er niemandem versprochen hatte. Der Spiegel beschreibt es so: »In der Außen- und Sicherheitspolitik leitete Schröder eine 'Zeitenwende' ein, die noch wenige Jahre zuvor in der deutschen Öffentlichkeit undenkbar gewesen wäre. Ausgerechnet unter einer rot-grünen Regierung wurden zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg wieder Bundeswehrsoldaten zu internationalen Militäreinsätzen geschickt. Obwohl SPD und Grüne als Opposition heftig gegen solche 'Out of Area'-Missionen gekämpft hatten, mussten sie in der Regierung ihre Vorstellungen an die Realität anpassen. Und so nahmen deutsche Soldaten an Nato-Einsätzen im Kosovo, Mazedonien und Afghanistan teil. Deutschland sei eine erwachsene Nation, die sich niemandem über-, aber auch niemandem unterlegen fühlen muss, erklärte Schröder vorm Bundestag.«

Und deshalb gibt es doch ein einziges triftiges Argument, das für Edmund Stoiber spricht. Es heißt Joschka Fischer.