im Interview mit Susanne Thaler

»Ich wollte die Zahl 18 beflecken«

susanne thaler gehört der Jüdischen Gemeinde in Berlin an. Im Mai trat sie wegen der Möllemann-Affäre aus der FDP aus

Was geht heute in Ihnen vor, wenn Sie die FDP im Wahlkampf beobachten?

Ich fühle mich erleichtert, dass ich keine Pflichten mehr in dieser Partei habe und ihr keine Solidarität schulde. Von Möllemann brauchte ich nicht enttäuscht zu werden, denn ihn habe ich schon zuvor mehr als kritisch gesehen. Aber von Guido Westerwelle und anderen bin ich enttäuscht, vor allem von Westerwelle. Ich bin froh, nicht mehr in dieser Partei zu sein. Wahlkampf zu betreiben und solidarisch zu sein, da hätte ich große Bedenken, auch wenn das politische Programm der FDP durchaus akzeptabel ist.

Was werfen Sie Westerwelle vor?

Seine laue Haltung gegenüber Möllemann. Er ist auf dieser Welle mitgeritten, er hat diese dummen Äußerungen unterstützt, etwa wenn er sagte, man müsse Israel doch kritisieren dürfen. Das Behaupten eines Tabus, wo keines ist, das hat er ja alles mitgemacht. Ich fand auch sein Auftreten in Israel mehr als dürftig. Israel scheint ihn nicht nachhaltig beeindruckt zu haben.

Er ist mir so unglaublich fremd geworden, dass ich meinen Schritt auf gar keinen Fall bereue. Ich weiß nicht, wie sich diese Partei verhalten würde, wenn hier kritischere Zeiten anbrechen würden. Ich habe überall diesen schwelenden Antisemitismus vorgefunden, nicht nur in dieser Partei, aber der gehörte ich nun mal an, und deswegen ist das besonders enttäuschend. Dass der Antisemitismus so tief drin sitzt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Diese Distanz zu jüdischen Menschen. Man hat das offenbar so mitbekommen, mit der Muttermilch eingesogen und wird es nun nicht mehr los.

Was erwarten Sie für den Fall, dass die FDP nach der Bundestagswahl an die Regierung käme und Westerwelle Außenminister würde?

Ich glaube nicht, dass er Außenminister wird. Wenn, dann wird es Wolfgang Gerhardt. Westerwelle hat nicht das Zeug dazu. Was das Ausland betrifft, da hat er einfach überhaupt nichts drauf. Ich war ja überrascht zu sehen, was der alles gar nicht weiß.

Was denken Sie über ehemalige Parteikolleginnen und -kollegen wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Hildegard Hamm-Brücher oder Gerhart Baum, die zwar Kritik an Möllemann und Westerwelle übten, aber nicht aus der FDP ausgetreten sind und heute wieder Wahlkampf machen, als sei nichts geschehen?

Wenn man sich so weit aus dem Fenster lehnt wie Frau Hamm-Brücher, dann erwarte ich eigentlich mehr. Ich versuche es mir zu erklären. Sie hat ihr Leben mit der FDP verbracht, das war ihr politisches Zuhause. Und Frau Leutheusser-Schnarrenberger ist eben im politischen Geschäft, sie will es sich nicht verderben.

Aber dass im Präsidium honorige Leute eine Person wie Möllemann dulden, das kann ich nicht akzeptieren. Das ist ein Niveau, das die anderen doch gar nicht nötig haben.

Warum wird er denn geduldet?

Na gut, der nordrhein-westfälische ist der größte Landesverband, Möllemann ist ein hochbegabter Medienstar und auch ein hervorragender Wahlkämpfer, das ist überhaupt keine Frage. Nur ist er charakterlos, ein Mann, den man eigentlich nicht mehr vorzeigen kann. Das war ja nicht das erste Mal, dass er sich unakzeptable Dinge leistete.

Man hatte den Eindruck, die FDP erklärte einfach den so genannten Antisemitismusstreit für beendet, Möllemann trat noch einmal kurz nach und das war's dann.

Ich glaube, diese Leute können gar nicht ermessen, was dieser Streit Michel Friedman persönlich angetan hat. Friedman ist wirklich tief getroffen. Was mich schockierte, ist das, was durch Möllemann offensichtlich wurde: der Hass auf Friedman. Die Leute hassen ihn.

Man kann ja sagen, Friedman als Moderator, diese Art, das kann ich nicht ausstehen, aber so wird ja nicht argumentiert. Ich sage immer zu den Leuten: Warum sehen Sie sich denn das an, um Gottes Willen? Ich sehe mir Stefan Raab auch nicht an, ich finde den Kerl grässlich. Da kucke ich doch nicht hin, um mich danach zu erregen. Dann frage ich die Leute: Würden Sie sich eigentlich auch so aufregen, wenn Friedman nicht aussehen würde, wie er eben aussieht, sondern wie Westerwelle? Da sind sie dann etwas überrascht und geben keine Antwort. Aber genau das ist es. Die Leute geifern richtig. Das war eine entsetzliche Erfahrung.

Hat die jüngste Entwicklung der FDP auch damit zu tun, dass die Partei nach dem Krieg ein Auffangbecken für ehemalige Nazis war?

Wenn man sich die Herkunft und die Familiengeschichten ansehen könnte, dann könnte es durchaus Hinweise auf alte antisemitische Ressentiments geben.

Sie haben auf einer Kundgebung vor der FDP-Zentrale in Berlin im Juni darauf hingewiesen, dass die Zahl 18 in der rechtsextremen Bewegung für den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet steht, für A und H, und damit für Adolf Hitler. Spielte die FDP mit dem »Projekt 18« bewusst mit dieser Symbolik?

Ich wollte mit diesem Hinweis provozieren. Ich möchte Möllemann und anderen nicht unterstellen, dass sie das wussten. Aber es ist, wie es ist. Ich wollte diese Zahl beflecken.

In Deutschland erreicht der Antisemitismus alle paar Monate einen neuen Höhepunkt: von der Paulskirchenrede Martin Walsers bis zu Möllemanns Attacken gegen Friedman. Gleichzeitig werden jüdische Friedhöfe geschändet und Synagogen angegriffen. Was könnte man dagegen tun?

Das ist doch alles irreal. Diese hunderttausend Juden in Deutschland, gegen die sich das richtet, das ist doch geradezu ein Witz. Ich glaube, dass die Menschen hier etwas abarbeiten und ganz andere Ängste damit sublimieren. Ich kann es mir gar nicht anders vorstellen. Friedhofschmierereien kommen aus einer anderen Ecke. Aber Martin Walser gehört einer Generation an, die den Antisemitismus verinnerlicht hat. Er stößt bei vielen auf Zustimmung.

Es ist eine Illusion zu glauben, dass man 2000 Jahre Antijudaismus und Antisemitismus in 50 Jahren ausrotten kann. Das steckt so tief drin in den alten Geschichten und Vorurteilen, in diesen Phänotypen, die man mit den Juden verbindet.

Wenn ich Herrn Möllemann einen Antisemiten nenne, und das tue ich, dann glaube ich nicht, dass er die Juden in die Gaskammer schicken würde, sondern dass er ein Antisemit ist, wie es sie vor 1933 auch schon gab. In den USA sagt man: Ein Antisemit ist einer, der die Juden noch weniger mag, als es an sich natürlich ist. Das ist es.