Antifaschisten fahnden nach gewalttätigen Polizisten

Unübliche Verdächtige

Mit Plakaten fahndet die Antifaschistische Aktion Berlin nach gewalttätigen Polizisten. Bei einer Verurteilung gibt es 1 000 Euro Belohnung.

Auch noch im Herbst erinnern Fahndungsplakate an den 1. Mai in Berlin. Das ist nicht zum ersten Mal so. Doch diesmal sind die sonst so klaren Zuordnungen, wer zu den »duften« und wer zu den »doofen« Berlinern gehört, durcheinander geraten.

Auf Fahndungsplakaten, die seit der vergangenen Woche aushängen, sieht man Polizisten anstelle der üblichen Verdächtigen. Beamte in Uniform, zumeist behelmt und in Kampfmontur, die Menschen zu Boden drücken, schlagen, treten oder abführen. Auf die wegen zum Teil schwerer Straftaten gesuchten Beamten ist ein Kopfgeld von 1 000 Euro ausgesetzt, zahlbar nach einer rechtskräftigen Verurteilung des Straftäters. Verantwortlich für die Plakate zeichnet die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB).

Nur wenige Stunden nach der Vorstellung der Kampagne bemühte sich der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch, die Verhältnisse wieder in Ordnung zu bringen und deutlich zu machen, wer die Straftäter sind. Auf den Fotos sei nicht zu erkennen, dass die abgebildeten Beamten Straftaten begingen. Hingegen würden »die Persönlichkeitsrechte der Beamten in nicht hinnehmbarer Weise verletzt«. Der zuständige Inspektionsleiter des Landeskriminalamts, Klaus Gäth, spricht von »gemein strafbarem Verhalten«, das den Tatbestand der Verleumdung und üblen Nachrede erfülle. Wegen des Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz seien Ermittlungen eingeleitet worden.

Denn die von der Bild-Zeitung am darauf folgenden Tag »Rache der Chaoten« genannte Aktion karikiert die von der Polizei eine Woche zuvor gestartete öffentliche Fahndung nach mutmaßlichen Steinewerfern und Plünderern des vergangenen 1. Mai. Auf den Polizeiplakaten werden allerdings nur 500 Euro für eine erfolgreiche, d.h. zu einer Verurteilung führende Denunziation geboten.

Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Berliner Polizei nach dem 1. Mai zum ersten Mal Plakate im Stile der Terroristenfahndung der siebziger Jahre. Nach der Auffassung des Inspektionsleiters Gäth handelt es sich um ein »enorm effektives Verfahren«. Von 85 gesuchten Personen hätten 35 wegen Hinweisen aus der Bevölkerung »namhaft gemacht« und angeklagt werden können. In bisher acht Fällen hätten sich die »Hinweisgeber« ihre Belohnung abholen können. Die anderen 27 Verfahren seien noch nicht abgeschlossen. In jedem Fall beeindruckend ist die Anzahl der bei der Polizei eingegangenen Hinweise, es waren mehr als 500.

Ob die Aktion der AAB vergleichbare Resultate zeitigen wird, ist fraglich. Zwar gibt es nach Aussage der AAB zu jedem der Fotos Protokolle der Ereignisse und Zeugenaussagen, doch ist es unwahrscheinlich, dass die Identität der beschuldigten Beamten ermittelt werden kann. Erfahrungsgemäß haben Anzeigen gegen Polizeibeamte nur äußerst geringe Erfolgschancen; die Einstellung der Ermittlungsverfahren oder Freisprüche sind die Regel. Der häufigste Grund für die Einstellung eines Verfahrens ist eben, dass die Identität der Täter nicht festgestellt werden kann.

Die AAB will mit ihrer Kampagne Aufmerksamkeit auf die Diskussion über die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte im Dienst lenken. In der Kennzeichnung der Einsatzkräfte sieht Michael Kronwetter, der Pressesprecher der AAB, einen wichtigen Schritt, »um kriminelle Energien gerade in der Berliner Polizei einzudämmen«.

Doch unter den so genannten »geschlossenen Einheiten«, die üblicherweise bei Demonstrationen eingesetzt werden, sei der Widerstand gegen eine Kennzeichnungspflicht am vehementesten, meint der Pressesprecher der Berliner Polizei, Karsten Gräfe. Die größte Angst der Kollegen sei es, »unberechtigt denunziert« zu werden. Der Polizeipräsident spreche sich zwar für eine Kennzeichnung aus, möchte jedoch nichts gegen den Willen der Beamtenschaft und der Berufsverbände unternehmen. Er favorisiere daher eine Kennzeichnung »auf der Basis von Freiwilligkeit«. Daher ist es wohl nicht zu erwarten, dass die Beamten demnächst Namensschilder oder Kennzeichnungscodes tragen.

Optimistischer klingen jedoch Äußerungen der PDS. Steffen Zillich, ein Mitglied des Innenausschusses, glaubt, dass die Kennzeichnungspflicht noch in diesem Jahr kommen werde. Ihre Einführung sei schließlich ein Teil der Koalitionsvereinbarungen des rot-roten Senats.

Die AAB rechnet mit der Mitarbeit der PDS, wie Kronwetter es formuliert. Nicht ohne Grund ist auf den Plakaten neben der Antifa-Kontaktadresse auch die Telefonnummer der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus angegeben. Dass das nicht abgesprochen war, scheint dort nicht weiter zu stören. Auch dass die CDU-Opposition seine Partei des »Schulterschlusses mit Linksextremisten« bezichtigt, sieht Steffen Zillich gelassen. Er halte zwar die Aktionsform für fragwürdig, sei jedoch mit ihren Inhalten einverstanden.

Ein Aufruf zur Denunziation ist tatsächlich ein merkwürdiges Vorgehen für eine Antifaschistische Organisation. Während die Aktion in einer Pressemitteilung lapidar damit begründet wird, dass sich »Täter aus Polizeikreisen sowohl durch Vermummung, als auch durch Uniformierung und fehlende Kennzeichnung der rechtsstaatlichen Verfolgung entziehen«, vergisst Kronwetter nicht, auf die »unsägliche Tradition der Denunziation in Deutschland« hinzuweisen. Selbstkritisch bemerkt er, es handele sich um eine Aktionsform, »die eigentlich widerlich ist, die nicht fortschrittlich, nicht emanzipatorisch ist. Dennoch halten wir sie für hilfreich«.

Sie soll dabei helfen, auf Polizeiübergriffe aufmerksam zu machen. Denn oft scheitert eine Verfolgung im Dienst verübter Straftaten schon vor einem Prozess. Der AAB sind aus diesem Jahr 43 Anzeigen gegen Polizeibeamte bekannt, von denen jedoch nur eine zur Verurteilung geführt hat. Dem Berliner Ermittlungsausschuss liegen mehr als 100 Meldungen von Übergriffen vor. »Kennzeichnungspflicht sofort!«, lautet deshalb die Forderung, die das Plakat von der ansonsten stilgetreu nachempfundenen offiziellen Version unterscheidet.

Die Kampagne der Polizei wertet Kronwetter als »eine Strategie, den 1. Mai als Manifestation von grundsätzlichem, linkem Widerspruch zu entpolitisieren«. Mit der öffentlichen Fahndung finde eine Kriminalisierung des Widerstandes statt, die Demonstranten pauschal als »gewalttätige Chaoten« diffamiere. Die Strafverfolgung werde so zum Instrument politischer Interessen. Ob sich aber die Kopie der polizeilichen Vorgehensweise als repolitisierendes Moment bewähren wird, ist mehr als fraglich.