Antirassismus in der Schule

Eine Brücke nach Luanda

Gibt es im Osten nur Rassisten? Nein. Im brandenburgischen Eberswalde pflegt eine Schülerinitiative die Partnerschaft mit einer Schule in Angola.

Begeistert singt Mufua den Refrain des angolanischen Hits mit, zu dem seine Mitschüler und die Eberswalder Gymnasiasten tanzen. Die Rebita ist einer der beliebtesten Tänze in Angola. Mufua genießt die Musik, obwohl er selbst nicht tanzen kann. Denn der 16jährige hat Kinderlähmung.

Die Körpersprache ist das wichtigste Mittel zur Verständigung mit den angolanischen Schülern während ihres Besuchs in Deutschland im September dieses Jahres. Bei der Rebita und beim Wiener Walzer kommen sich die Jugendlichen aus Luanda und Eberswalde näher, denn mehr als einige Brocken Portugiesisch kann kaum einer der deutschen Schüler. Englisch oder Deutsch spricht hingegen kaum jemand der Gäste aus Angola, außer Mufua. Über ihn läuft ein großer Teil der Kommunikation und zu ihm kommen alle, wenn sie nicht mehr weiter wissen.

Rosa, die Jüngste der Gruppe aus dem Straßenkinderzentrum Alegría, führt vor, wie man den »Danza de la familia« tanzt, und sie erhält viel Beifall. Im Vergleich zu der 15jährigen wirken die deutschen Jugendlichen ungelenk. Doch wenig später sind es die Freunde aus Angola, die sich verständnislos anblicken, auch der Walzer hat seine Tücken.

Zustande gekommen ist der Kontakt zwischen den Schulen so: Als die Cabaret-AG am Finow-Gymnasium wegen mangelnder Beteiligung der Schüler eingestellt zu werden drohte, setzte sich die Deutschlehrerin Carola Kluger mit den Jugendlichen zusammen und diskutierte über Alternativen. Sie wurden überraschend schnell gefunden. Viele der Schüler aus der Oberstufe wollten mehr über Afrika erfahren.

So entstand vor vier Jahren die Arbeitsgemeinschaft »Multikulturelle Interessen«. Über die unabhängige Entwicklungsorganisation Oikos kam der Kontakt zum Straßenkinderprojekt der methodistischen Kirche (Posoca) in Luanda zustande, so erzählt es der Schuldirektor Hartmut Mahling. Mit der Partnerschaft wollten die Schüler auch ein Zeichen gegen den Rassismus setzen.

Denn Eberswalde gilt seit dem November des Jahres 1990 als ausländerfeindlich. Damals wurde der angolanische Vertragsarbeiter Amadeu Antonio von rechtsextremen Jugendlichen zu Tode geprügelt. Der Ruf dieser Tat haftet der nahe Berlin gelegenen Kleinstadt bis heute an. Nicht ganz zu Unrecht, findet die 17jährige Franziska Lübke, die seit über einem Jahr in der AG arbeitet. »Ärger mit Rechten haben Freunde und auch ich selbst immer wieder gehabt, so zum Beispiel im 'Jugendkeller'«, berichtet sie. Sie macht einen Bogen um die Wohngebiete, in denen die Rechten leben, und verkehrt lieber im Leibnitzviertel, das als links gilt.

Hier leben auch die meisten der ehemaligen angolanischen Vertragsarbeiter, die in Eberswalde geblieben sind. Augusto Jone Munjunga gehört zu ihnen. Er engagiert sich im afrikanischen Kulturverein »Palanca«, der 1994 gegründet wurde. »Nicht zuletzt, um Amadeu nicht zu vergessen«, sagt Munjunga. Zehn ehemalige Vertragsarbeiter aus Angola, aber auch Kubaner, Mosambikaner, Spanier und Portugiesen treffen sich in den Räumen des Zentrums.

Nach dem Fall der Mauer waren die Vertragsarbeiter mit einem Mal überflüssig. Plötzlich seien sie von Skinheads, aber auch von Kindern attackiert worden, erinnert sich Munjunga. »Wir konnten nur noch in Gruppen unterwegs sein, weil es allein viel zu gefährlich wurde.« Viele seiner Freunde, die mit ihm Angola verlassen hatten, um in der ehemaligen DDR eine Ausbildung zu machen und im Schlachtkombinat landeten, entschieden sich zurückzugehen. »Der Mord an Amadeu war ein Schock, der vielen die Entscheidung erleichtert hat«, berichtet Munjunga beim Besuch der angolanischen Schülergruppe.

Armenia da Conceição, die Direktorin des Straßenkinderprojekts Alegría, ist schockiert. »Hat sich eure Situation denn verbessert?« fragt sie. »Rassismus ist in der Mitte dieser Gesellschaft vorhanden«, antwortet ihr Munjunga. Doch vieles sei auch besser geworden. »Der öffentliche Raum ist nicht wie früher von den Rechten besetzt«, sagt Matthias Dachner, der seit einem Jahr in der AG mitmacht. »Die waren mal stärker.« Bisher sei kein böses Wort gefallen, wenn sie mit dem Besuch aus Angola in Eberswalde unterwegs gewesen seien, die Resonanz an der Schule sei groß.

Von allen 800 Schülern des Finow-Gymnasiums wurde die Gruppe aus Luanda empfangen. »Ich bin mir vorgekommen wie eine bedeutende Persönlichkeit, als ich durch das Spalier von klatschenden Schülern geschritten bin«, erzählt die 17jährige Magdalena, die schon während des Besuchs der deutschen Reisegruppe in Luanda Freundschaft mit einigen Schülern schloss. Mit Marian Schwarz zum Beispiel, der im Mai sein Abitur gemacht hat und doch weiter an der AG teilnimmt. »Mich hat der Besuch in Luanda geprägt, vor allem der krasse Unterschied zwischen Arm und Reich hat mir zu denken gegeben«, sagt der 19jährige.

Gut ein Jahr liegt der Besuch in Luanda nun zurück, der von mehreren Stiftungen, vom Land Brandenburg und von Spenden ermöglicht wurde. Mit dem Schuldirektor Mahling und der AG-Leiterin Kluger reisten fünf Schüler in das Land, in dem damals noch der Bürgerkrieg tobte. Nach der Dämmerung durften die Eberswalder das Areal des Gästehauses der methodistischen Kirche nicht mehr verlassen. Tagsüber besuchten sie die neuen Freunde vom Projekt Alegría, wo rund 100 Schüler morgens unterrichtet und nachmittags auf einen Beruf vorbereitet werden.

Alegría ist ein Teil des Netzwerks der methodistischen Kirche zur Reintegration von Straßenkindern und seit dem Besuch ganz offiziell der Schulpartner des Gymnasiums Finow. Der Kontrast könnte kaum größer sein. Auf der einen Seite die Oberstufenschüler aus dem reichen Deutschland, auf der anderen die angolanischen Schüler, die von Armenia da Conceição und den Lehrern buchstäblich von der Straße in die Schule geholt wurden. Viele der Kinder und Jugendlichen hatten in den Bürgerkriegswirren ihre Familie verloren, lebten auf der Straße, bettelten oder prostituierten sich, um zu überleben.

Vielen Schülern hat der Kontakt etwas gebracht. »Wir haben in der AG gelernt, den Reichtum zu reflektieren. Der zweite Fernseher ist egal, wenn man weiß, dass Mufua oft mit leerem Magen zur Schule geht«, sagt Franziska Lübke. Auch das Verhältnis zur Schule hat sich für viele der Gymnasiasten, die die Gruppe zwei Wochen lang begleiteten, verändert.

Für die Besucher aus Luanda ist Bildung der Schlüssel zu einer besseren Zukunft. Mufua, der derzeit die achte Klasse besucht, hofft, dass die methodistische Kirche ihm es mit einem Stipendium ermöglicht, bis zur elften Klasse zur Schule zu gehen. Dann könnte er studieren und wäre seinem Traum, Lehrer zu werden, ein Stück näher. Magdalena will Journalistin werden und fürs Fernsehen arbeiten. Genauso wenig wie Mufua kann sie verstehen, dass Jugendliche in Deutschland ihre Bildungschancen nicht wahrnehmen. Kopfschüttelnd erinnern sich die beiden an die Begegnung mit einigen Eberswalder Punks, von denen einer die Schule abgebrochen hat.

Mufua will nebenbei auch sein Englisch verbessern, um die Kontakte zu halten. Endlich hat er eine eigene E-Mail-Adresse. Doch die Verbindung nach Eberswalde bestehen zu lassen, ist alles andere als einfach. Die Zukunft des Alegría-Projekts ist ungewiss. Es fehlt an Milch und warmen Mahlzeiten, auch die Unterrichtsmaterialien sind knapp. Die Regierung des Landes hat alle Hände voll zu tun, die vom Krieg zerstörte Infrastruktur wieder aufzubauen.

»Unabhänige Schulprojekte haben da keine Priorität«, sagt Rita, die einzige Lehrerin, die Englisch spricht. An eine direkte Kommunikation war ohnehin seit dem Beginn des Projekts nicht zu denken. Im Zentrum Alegría gibt es kein Telefon. Internetfähige Computer sind zwar vorhanden, aber die Bewilligung eines Telefonanschlusses ist auch nach dem Ende des Bürgerkriegs ein kleines Wunder. Nur über die E-Mail oder das Fax des Bischofs der methodistischen Kirche ist es derzeit möglich, zu kommunizieren. Auf die Post ist wenig Verlass, berichtet Marian, dessen Briefe nur selten ankamen.

Direktor Mahling denkt darüber nach, wie seine Schule helfen könnte, dass Alegría endlich einen Telefonanschluss erhält. »Ohne regelmäßigen Kontakt droht die Partnerschaft einzuschlafen, und Reisen von Schülergruppen werden kaum öfter zu finanzieren sein«, klagt er.

Wichtiger für die lokale Brandenburger Politik ist der Austausch mit dem Nachbarland Polen, denn er ist wesentlich billiger. Vielleicht hat deshalb kein Landespolitiker die Reisegruppe aus Luanda begrüßt. Dabei wurde die AG bereits vor einem Jahr im Wettbewerb »Demokratie leben« für ihre Partnerschaft mit Alegría ausgezeichnet. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) hatte die Urkunde überreicht. »Urkunde hin oder her«, ärgert sich Marian, »nicht einmal der Bürgermeister von Eberswalde hat unsere Gäste persönlich begrüßt.«

Er will unbedingt den Kontakt halten und hat deshalb begonnen, Portugiesisch zu lernen. Nach dem Zivildienst will er Landschaftsbau und Entwicklungshilfe studieren. Sein erster Besuch in Angola dürfte nicht sein letzter gewesen sein.