Bosnische und jugoslawische Rüstungsliferungen an den Irak

Nichts als Waffen

Die Rüstungsgeschäfte bosnischer und jugoslawischer Unternehmer mit dem Irak bescheren den Regierungen in Sarajevo und Belgrad Ärger mit den USA.

Als der Genosse Josip Broz noch die Geschicke der jugoslawischen Nationen lenkte, stand der Proporz zwischen den sechs Republiken stets an erster Stelle. In sämtlichen staatlichen Institutionen entschied nicht zuletzt die Nationalität der Bewerber über die Besetzung der höchsten Posten, im aufgeblähten militärisch-industriellen Komplex war das nicht anders.

Zur Nutznießerin von Titos ausgetüfteltem System der politökonomischen Machtverteilung avancierte auf militärischem Gebiet schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die kleinste der sechs jugoslawischen Republiken: Bosnien-Herzegowina. Die tiefen Täler und steilen Schluchten des waldigen Landes waren wie geschaffen, um Waffenfabriken vor Einblicken aus der Luft zu schützen. Selbst in den Jahren nach dem Tod des gelernten Schlossers im Jahr 1980 blieb Bosnien so etwas wie die Waffenschmiede der jugoslawischen Republiken.

Auch die Waffenbrüderschaft, die Tito bald nach dem Bruch mit Josef Stalin mit den Führern der blockfreien Staaten einging, sollte seinen Tod überdauern. Slobodan Milosevic unterhielt bis zu seinem Sturz gute Beziehungen zum Irak, die Kontakte bosnischer Rüstungsproduzenten blieben während der Balkankriege der neunziger Jahre ebenfalls intakt. Zum Teil bestehen sie bis heute, allerdings nur, insoweit das in einem von der Nato, der Uno und der EU verwalteten Protektorat überhaupt möglich ist.

Schließlich ist die von der Nato geführte Schutztruppe Sfor seit der Verabschiedung des Dayton-Friedensvertrages Ende 1995 in allen militärischen Fragen die uneingeschränkte Macht im Land. Der berühmt-berüchtigte Annex B etwa, der der Nato eine vollständige Bewegungsfreiheit in ganz Jugoslawien zusichern sollte und dessen Ablehnung bei den Verhandlungen im Frühjahr 1999 in Rambouillet Milosevic das Bombardement der Nato erst bescherte, ist inzwischen ein fester Bestandteil der bosnischen Verfassung.

So gesehen, sind die Skandale um die Lieferung von Militärgütern und die Entsendung von Ausbildern in den Irak, die in der vorigen Woche zum Rücktritt des bosnisch-serbischen Verteidigungsministers Novica Simic und seines Generalstabchefs Slobodan Bilic führten, nichts weiter als ein letzter absurder Abschiedsgruß des vielleicht besten Sozialismus, der je existierte. Tatsächlich sind auch serbische Unternehmer und Politiker in den Fall verwickelt. Als Schaltzentrale der militärischen Zusammenarbeit mit Bagdad, die in Belgrad bereits eine Woche zuvor zum Rücktritt des stellvertretenden Verteidigungsministers Ivan Djorik führte, entpuppte sich die ehemalige staatliche Rüstungsagentur Jugoimport.

Aus der Nähe betrachtet, bescheren die maßgeblich vom US-Außenministerium betriebenen Ministerrücktritte der bosnischen Regierung allerdings den größten Ärger mit der Schutzmacht in Washington seit dem Ende des Krieges vor sieben Jahren. So nutzte der erst im Oktober neu ernannte Oberkommandierende der Sfor, der US-General William Ward, in der vorigen Woche seine Premiere vor der internationalen Presse in Sarajevo, um klar zu machen, wer in Bosnien militärisch das Sagen hat. »Wir haben die bosnisch-serbischen Stellen sehr genau im Visier«, verkündete der Befehlshaber über 14 000 internationale Soldaten, nachdem Angehörige der Sfor bei einer Razzia Mitte Oktober Dokumente sicher stellten, die belegen, dass aus der Orao-Fabrik im bosnisch-serbischen Bijeljina Ersatzteile für Militärflugzeuge in den Irak geliefert wurden.

»Sollte es erneut zum Bruch internationaler Verträge kommen, bin ich jederzeit bereit, die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten«, warnte der Dreisterne-General die bosnischen Stellen vor weiteren Provokationen der Protektoratsmacht Nummer eins. Einen Bruch des UN-Embargos will sich die Regierung des US-Präsidenten George W. Bush kurz vor einem möglichen Waffengang gegen den Irak nicht bieten lassen. Schon vor seinem Amtsantritt kündigte Bush an, die US-Truppen auf dem Balkan drastisch zu reduzieren. Bis zum Ende des Jahres soll allein ein Drittel der im Kosovo und in Bosnien stationierten GI abgezogen werden.

General Wards ziviler Gegenpart an der Spitze des Protektorats, der Hohe Repräsentant Paddy Ashdown, stimmte in Brüssel ebenfalls ein in die Drohungen gegen die bosnische Regierung. Wie Tony Blair zu Bush, so zuvorkommend verhält sich auch Ashdown gegenüber den Amerikanern. Wards Vorgänger als Oberkommandierender der Sfor, den General John Sylvester, bezeichnete er in der vorigen Woche vor Offiziellen der Nato und der EU als »unschätzbare Quelle reinster texanischer Weisheit«, ehe er eine Zwischenbilanz der Waffenaffäre zog. »Ich bin überzeugt, dass sie sehr weit reicht, die Region betrifft und sich auf Bereiche erstreckt, die uns überraschen werden.« Nur Stunden später verhängte das bosnische Außenhandelsministerium ein unbefristetes Aus- und Einfuhrverbot für militärische Bauteile aller Art.

Die Pax Americana und der schleichende Einzug der Europäischen Union in das Mandatsgebiet zu Beginn des nächsten Jahres aber könnten durch die Waffengeschäfte zwischen Bagdad, Belgrad und Banja Luka ebenfalls einen erheblichen Dämpfer erhalten. Ashdowns Andeutung, die Affäre habe längst regionales Ausmaß angenommen, zeigt deutlich, dass die Protekoratsmächte die Regierungen weit weniger im Griff haben als gedacht. So berichtete das Belgrader Magazin Reporter in der vergangenen Woche, dass allein in Serbien zwischen zwölf und 19 Firmen mit Militärausrüstung und Waffengeschäften befasst sein sollen. Ob sie ebenfalls in den Irak geliefert haben, wird jetzt untersucht.

Darüber hinaus unterstützten serbische Experten einem Bericht der Washington Post zufolge den Irak und Libyen bei der Entwicklung eigener Marschflugkörper. Washington habe Belgrad bereits im Mai entsprechende Beweise übergegeben und gegen den Vertrag protestiert, der im Februar des Jahres 2000, also noch zur Amtszeit Milosevics, geschlossen wurde. Hohe Diplomaten wie Ashdown befürchten inzwischen, die vor dem Zerfall Jugoslawiens nicht nur im Irak, sondern in der ganzen Welt aktiven Rüstungsunternehmen könnten sich ohne ausreichende politische Kontrolle erneut zusammenfinden.

Denn selbst vor der gegenüber der EU und den USA loyal eingestellten Regierung in Zagreb macht die Affäre nicht Halt. So fanden Grenzbeamte in der letzten Woche 200 Tonnen militärischen Sprengstoff auf einem aus Montenegro stammenden Frachtschiff im Hafen von Rijeka. Da die Frachtlisten für die Containerladung weder den Zielort noch den Inhalt erkennen ließen, untersuchen die Behörden jetzt, ob die Lieferung ebenfalls mit der Entwicklung der Cruise Missiles im Irak zusammenhängt.

So könnte nicht nur das von Ashdown in der vergangenen Woche in Brüssel in den höchsten Tönen gelobte internationale Protektoratsregime in Bosnien noch einige Erschütterungen erleiden. Dass der Abzug von 6 000 Sfor-Soldaten bis zum Jahresende der Nato eines Tages aber noch Probleme bereiten würde, das hätten sich die Militärstrategen in Brüssel und dem Pentagon vor dem Bekanntwerden der Waffenlieferungen sicherlich nicht träumen lassen. Der Genosse Tito jedenfalls hatte das jugoslawische Imperium zu seinen Zeiten noch besser im Griff.