Sozialpolitik der Bundesregierung

Gesundheit!

Auch am Gesundheitswesen muss die Bundesregierung sparen. Ist die medizinische Versorgung in Gefahr?

Deutschland befindet sich in der Rezession. Seit geraumer Zeit schon geben die Wirtschaftsdaten keinen Anlass mehr zur Hoffnung. Die Zahl der Arbeitslosen liegt konstant über vier Millionen, eine Änderung ist nicht in Sicht. Die Schuld an der Misere wird einmal der Weltwirtschaft, dann dem Euro und schließlich immer wieder den Lohnnebenkosten in Deutschland angelastet. Sie seien zu hoch, darin sind sich die Opposition und die Regierung einig. Ihre Senkung scheint viele neue Arbeitsplätze zu garantieren.

Enthalten sind in den Lohnnebenkosten auch die Beiträge für die Krankenkassen, die von den Lohnabhängigen und den Unternehmern bezahlt werden. Seit den Sozialgesetzen Bismarcks ist die gesetzliche Krankenversicherung ein Bestandteil des deutschen Sozialsystems. Zahlten die Arbeitgeber bei der Einführung des »Gesetzes betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter« im Jahre 1883 zunächst nur ein Drittel der Beiträge, so wurde nach dem Zweiten Weltkrieg festgelegt, dass sie fortan die Hälfte zu übernehmen hatten.

Doch schon bald zeigte sich, dass das System nur in Zeiten eines prosperierenden Kapitalismus funktioniert. Bereits am Ende der siebziger Jahre wurde eine ganze Reihe von Gesetzen zur Rduktion der Kosten im Gesundheitswesen verabschiedet. In den neunziger Jahren kam es zu einem umfassenden Abbau von Leistungen bei steigenden Beiträgen.

Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums stiegen die Beiträge zu den gesetzlichen Krankenkassen von 1980 bis zum Jahr 2002 von im Schnitt 11,4 Prozent auf über 14 Prozent. Gleichzeitig schnellten die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen in die Höhe: von 25 auf 261 Milliarden Mark im Zeitraum von 1970 bis 2000.

Das Gesundheitswesen wird Jahr für Jahr teurer. Allein die Krankenhausbehandlung schlug im Jahr 2000 mit 87 Milliarden Mark zu Buche. Und auch in der Verwaltung verzeichneten viele gesetzliche Krankenkassen eine enorme Kostensteigerung. Seit 1989 sind nach Angaben der Welt die Verwaltungskosten allein im Westen um 50 Prozent gestiegen. Der Ärzteverband Marburger Bund warf den Kassen vor, zu den »schlimmsten Preistreibern im Gesundheitssystem« zu gehören.

Die Krankenkassen reagierten auf ihre Weise auf die desolate ökonomische Lage. Beitragserhöhungen waren immer wieder ein Thema solcher Institutionen. Derzeit gibt es über 370 von ihnen in Deutschland. Die Großen unter ihnen, wie die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) und die Barmer Ersatzkasse, diskutieren offen über die Möglichkeit einer Beitragserhöhung. Doch sie würde zu einer weiteren Steigerung der Lohnnebenkosten führen. Und diese Steigerung wäre wiederum hinderlich für den Abbau der Arbeitslosigkeit. Wie soll es also weitergehen?

In Krisenzeiten halten die Deutschen stets zusammen. Darauf vertraut auch die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Angesichts der Probleme mahnt sie zur nationalen Einheit. Von allen Menschen in Deutschland erwarte sie Opfer, »damit diese schwierige Zeit überwunden werden kann«. Im Eiltempo entwickelte ihr Ministerium nach der Bundestagswahl ein so genanntes Notpaket, das am vergangenen Freitag mit einer Mehrheit von 303 zu 271 Stimmen im Bundestag verabschiedet wurde und am 1. Januar in Kraft treten soll.

Mit den beschlossenen Maßnahmen soll der befürchtete Anstieg der Krankenkassenbeiträge verhindert werden. Und zwar nicht zu Lasten der Mitglieder, sondern durch Sparmaßnahmen, die vor allem die Apotheken, die Krankenhäuser und die Ärzte betreffen. Insgesamt will Schmidt knapp 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2003 einsparen.

Die Krankenkassen sollen im nächsten Jahr ihren Beitragssatz beibehalten. Dabei sind aber so weit reichende Ausnahmen vorgesehen, dass es faktisch doch zu einer Erhöhung kommen kann. Das bestätigte auch Rainer Daubenbüchel, der Präsident des Bundesversicherungsamtes (BVA), der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: »Der durchschnittliche Beitragssatz muss auf 14,2 oder 14,3 Prozent angehoben werden, das ist unausweichlich.«

Auch die Kosten für die Ärzte und die Krankenhäuser werden auf dem Stand von 2002 fixiert. Den Ärzten in Krankenhäusern droht somit im Jahr 2003 eine Nullrunde. Ihre Vertreter reagierten empört. Der Präsident der Bundesärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Dietrich Hoppe, drohte im Bayrischen Rundfunk: »Die können beschließen, was sie wollen. Wenn diejenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, das nicht akzeptieren, dann findet das zum großen Teil nicht statt.«

Hoppe befürchtet den Abbau von 100 000 Stellen im Gesundheitssektor. Die Bundesregierung verscherzt es sich mit 4,2 Millionen Beschäftigten, die in diesem Bereich tätig sind. Denn die Arbeit im Krankenhaus führt wegen Unterbesetzung und einer Höchstzahl von Überstunden schon heute zum Unmut der Belegschaften. Ein weiterer Personalabbau und Leistungskürzungen könnten den Kollaps des traditionellen Krankenhausbetriebs bedeuten.

Die Anhebung der Bemessungsgrenze für den Übergang in die private Krankenversicherung ist da schon eher vom sozialen Gedanken geleitet. Schließlich wird damit die Abwanderung von den gesetzlichen Krankenkassen erschwert, was eine Stärkung des Solidarprinzips bedeutet.

Auch gegen die hohen Preise zahntechnischer Leistungen wendet sich Schmidt. Sie sollen um fünf Prozent gesenkt werden. Dagegen protestierten in der vorigen Wochen mehrere tausend Zahntechniker in Berlin. Des Weiteren wurde beschlossen, dass Apotheken, Pharmafirmen und Arzneimittelgroßhändler den Kassen großzügige Rabatte in einem Volumen von 1,37 Milliarden Euro gewähren sollen. Die Vorsitzende des Bundesverbandes der Angestellten in Apotheken, Monika Oppenkowski, beklagte in der Süddeutschen Zeitung, dass als Folge dieser Maßnahme jedem fünften in ihrer Branche Beschäftigten im kommenden Jahr die Entlassung drohe.

Alle diese Maßnahmen sollen für Beitragssicherheit sorgen, um die Lohnnebenkosten niedrig zu halten. Denn die werden bereits durch die beschlossene Anhebung des Rentenbeitragssatzes auf 19,5 Prozent erhöht. Die finanziellen Probleme im Gesundheitssektor sind unübersehbar geworden. Die Maßnahmen, so will es Schmidt, sollen noch erweitert werden. Geplant ist eine umfassende Reform der Krankenversicherung, die in zwei Jahren in Angriff genommen werden soll. Bis dahin erarbeitet eine Kommission unter dem Vorsitz des Finanzwissenschaftlers Bert Rürup Reformvorschläge, die zu einer tief greifenden Veränderung im deutschen Gesundheitssystem führen könnten.

Denn der Sozialdemokrat Rürup ist bereits mit anderen unsozialen Ideen aufgefallen. Die Abschaffung des Prinzips der paritätischen Beitragszahlung forderte er ebenso wie die Einführung einer Praxisgebühr für jeden Arztbesuch, da die Zahl der Konsultationen in Deutschland schließlich »außerordentlich hoch« sei. Seine Forderung, »Bagatellkrankheiten wieder verstärkt selbst zu behandeln«, führte auch unter Abgeordneten der SPD zu Unmut.

Sollte Rürup mit seinen Ideen Erfolg haben, droht in Deutschland tatsächlich der Übergang von einer umfassenden medizinischen Versorgung zu einer marktwirtschaftlichen, privat organisierten Medizin. Man sollte sich also bemühen, schnell einen privaten Versicherungsvertrag abschließen. Der Gesundheit zuliebe.