Bitte alle mal aufstehen!

Die Proteste nach der Räumung der Wagenburg Bambule in Hamburg weiten sich aus. Schill muss weg, lautet inzwischen die Forderung.

Viele haben es geahnt, einige haben es immer gewusst: Die Kicker vom FC St. Pauli sind schon nette Kerle. Beim letzten Heimspiel gegen den Karlsruher SC am Montag der vergangenen Woche liefen die Fußballer mit einem großen Transparent aufs Spielfeld. Die Losung lautete: »Unsere Fans sind keine Gewalttäter.« Es war eine Anspielung auf die seit Wochen nach den Heimspielen des FC St. Pauli stattfindenden Demonstrationen für die geräumte Wagenburg Bambule.

Es gab lang anhaltenden Jubel im Stadion, Sprechchöre der Fans, Schilder mit der Aufschrift »Viva Bambule« wurden hochgehalten. Die Stimmung war gut. Denn der Protest gegen die Räumung der Wagenburg wird größer und erfährt eine Solidarisierung, die über die linke Szene hinausgeht.

Am 4. November wurde die Wagenburg Bambule von der Polizei geräumt. (Jungle World, 49/02) Ein Versuch der »Bambulisten«, mit ihren Wagen und ein paar hundert BegleiterInnen vom ehemaligen Standort der Bambule im Karoviertel zur Universität zu ziehen, wo ihnen der Asta Stellplätze angeboten hatte, misslang. Die Polizei verhinderte das Betreten des Geländes. Die beiden Wagen, die bereits angekommen waren, wurden wieder abtransportiert.

»Damals waren wir entrüstet, wir haben jedoch nicht geglaubt, dass der Protest so lange anhalten würde«, sagt Bernd vom Infotelefon der Wagenburg. Vier Wochen dauern die Proteste gegen die Räumung inzwischen an, und der von der CDU, der FDP und der Schill-Partei gebildete Senat bestärkt sie sogar noch. Bei fast jeder Demonstration kam es bislang zu Übergriffen der Polizei. Besonders nach den Heimspielen des FC St. Pauli reagierte die Polizei mit einer extremen Härte auf die spontanen Proteste. Einige Dutzend DemonstrantInnen wurden verhaftet, Wasserwerfer fuhren auf und viele Unbeteiligte kamen zu Schaden.

»Ich wollte eine Freundin besuchen und gar nicht zur Demo gehen, ich stand einfach kurz rum und habe zugesehen«, berichtet die Studentin Stefanie. Sie stand zur falschen Zeit am falschen Ort und fand sich im Gefängnis von St. Georg wieder. Dort musste sie die Nacht verbringen und wurde erst gegen vier Uhr entlassen. Ein Irrtum ohne weitere Folgen, meinte der diensthabende Beamte.

Vor drei Wochen kesselte die Polizei nach einem Fußballspiel mehrere Stunden lang DemonstrantInnen in der Hein-Hoyer-Straße auf St. Pauli ein. Obwohl die Demonstration völlig friedlich verlief, knüppelten die Beamten auf vermeintliche DemonstrantInnen ein und verletzten dabei einen Kellner, der in einem nahe gelegenen Restaurant arbeitete und nur kurz einen Blick auf das Geschehen werfen wollte. Der Mann wurde mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert.

Auch die Pressefreiheit wird eingeschränkt. Zwei Redakteure des freien Radios FSK - Freies Sender Kombinat wurden während einer Sendung verhaftet. Sie berichteten gerade live von einer Demonstration im Schanzenviertel. Und live konnte man auch die Ingewahrsamnahme miterleben. »Wir stehen in der Karolinenstraße und werden verhaftet«, verkündete der Journalist. Und auch den Kommentar eines Polizeibeamten konnte man vernehmen: »Jetzt geht's los.«

Die letzten großen Auseinandersetzungen gab es am Montag der vergangenen Woche nach dem Heimspiel gegen den Karlsruher SC. Nachdem St. Paulis Torwart Tihomir Bulat, der von den Fans seit geraumer Zeit liebevoll »Bambulat« genannt wird, wieder zwei Treffer hatte hinnehmen müssen, versammelten sich mehrere hundert DemonstrantInnen auf der Feldstraße vor dem Stadion. »Einige hundert Meter entfernt standen schon die ersten Wasserwerfer«, erzählt Chrissi, der im zweiten Semester Journalistik studiert. Er ist 22 Jahre alt und geht nach »fünf Jahren das erste Mal wieder auf eine Demo«.

Die DemonstrantInnen sind sehr jung und unorganisiert. »Anstatt in der Kneipe verabreden wir uns im Augenblick zur Demo«, sagt Monique, eine Freundin von Chrissi. Doch das Ganze ist nicht nur spaßig. 16 Festnahmen und elf Ingewahrsamnahmen waren das Ergebnis dieser Nacht.

Die Demonstrationen laufen eher spontan, ohne Konzept, vielfach ohne Transparente und gewaltfrei ab. Und die Unterstützung anderer gesellschaftlicher Gruppen scheint sich auch einzustellen. »Wir erleben eine unglaubliche Zunahme an Solidarität«, sagt Anke von der Bambule.

Die konservative Bürgerinitiative zur Beruhigung der Stresemannstraße etwa hat die »Bambulisten« zu ihrer wöchentlichen Demonstration eingeladen, die Einzelhändler im Karoviertel zeigen sich ebenfalls solidarisch. Sie hängten am vergangenen Samstag Transparente in ihre Schaufenster und informierten ihre Kunden über die Vertreibung der Bambule. »Die Leute sehen langsam die Gemeinsamkeiten«, erklärt Bernd vom Infotelefon. »Sie erkennen einen Zusammenhang zwischen der Räumung der Wagenburg und dem Sozialabbau in der Stadt.«

Unter dem Motto »Aufstehen für eine solidarische Stadt« zogen dann am 5. Dezember mehr als 6 000 Menschen auf einer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten Demonstration durch die Hamburger Innenstadt bzw. knapp an ihr vorbei. Denn eine Demonstrationsroute durch die Innenstadt wurde bislang nicht genehmigt. Der Innensenator Ronald Schill hatte zuvor die Angst vor einer »Entglasung« der Geschäfte geschürt. Zu der Demonstration der Gewerkschaft kamen auch die ehemaligen BewohnerInnen der Wagenburg. Die Forderung »Bambule und Olympia - beides ist möglich«, die auf einem Transparent von GewerkschafterInnen zu sehen war, war zwar fragwürdig, doch der gemeinsame Protest wurde von allen Beteiligten begrüßt.

»Der Senat muss weg« oder »Schill muss weg«, lauten mittlerweile die klaren und einfachen Forderungen. Mit der größeren Aufmerksamkeit, die die Proteste erlangen, verändert sich auch der Ton und das Verhalten der Polizei. Die jüngsten Demonstrationen, wie etwa das öffentliche Sleep-In am vergangenen Freitag, verliefen friedlich. Die Polizei hielt sich auffallend zurück.

Und auch der Ton des Senats verändert sich. Bürgermeister Ole von Beust (CDU) machte den »Bambulisten« im Hamburger Abendblatt Ende November ein Gesprächsangebot. Auch die Gespräche zwischen dem Staatsrat Walter Wellinghausen (SPD) und den Bambulisten seien »konstruktiv verlaufen«, bestätigt Bernd vom Infotelefon. Offensichtlich sollen mit einer Strategie der Besänftigung die Proteste wieder eingedämmt werden.

Doch sie gehen erst einmal weiter. Zunächst findet am kommenden Samstag eine Protestaktion statt. Der Sender FSK ruft zu einem öffentlichen Radiohören in der Innenstadt auf. Wenn es nach den Wünschen der VeranstalterInnen geht, sollen viele hundert Menschen mit ihren Ghettoblastern radiohörend durch die Straßen tingeln.

Auf dem Programm stehen nicht die üblichen Sendungen, sondern Beiträge von Gruppen, die der Sparkurs des Senats besonders hart trifft, und Informationen rund um den Sozialabbau in der Stadt. Und gute Musik soll die Leute in Bewegung halten. Wie der Senat und die Polizei auf eine solche Störung des Weihnachtsgeschäftes reagieren, wird interessant zu beobachten sein. Bislang jedenfalls war in der Innenstadt jeder Protest verboten.

An einer Strategie gegen die Demonstrationen nach den Spielen des FC St. Pauli arbeitet der Senat offenbar auch. So soll die Leitung der Polizei um eine Verlegung des nächsten Heimspiels des FC St. Pauli von einem Freitagabend auf einen Sonntagvormittag gebeten haben.