Hannah Crafts' »The Bondwoman's Narrative«

Die Sklavin ist ein Snob

»The Bondwoman's Narrative« schildert die Sklaverei aus der Sicht einer Leibeigenen. Das nun aufgetauchte Manuskript gilt als der erste Roman einer schwarzen Amerikanerin.

Es war ein unauffälliges Papierbündel, das vor gut zwei Jahren bei einer Versteigerung von African American Artifacts im New Yorker Auktionshaus Swann angeboten wurde. 300 handbeschriebene Seiten, eingeschlagen in braunes Leinen. Im Auktionskatalog wurde es als »unveröffentlichtes Originalmanuskript« annonciert, »eine fiktionalisierte Biografie, verfasst in einem überschwänglichen Stil, die vorgibt, die Geschichte, das Leben und die Flucht einer Hannah Crafts« zu erzählen, »einer Mulattin, geboren in Virginia«. »The Bondwoman's Narrative« lautete der Titel des Manuskripts (»Bondwoman« übersetzt sich mit »Leibeigene«), und als Herkunft wurde »New Jersey, zirka 1850« angegeben.

Dass dieser Text 150 Jahre nach seiner Entstehung einer der literarischen Überraschungserfolge des Jahres wurde, ist Henry Louis Gates Jr. zu verdanken, dem Leiter des Instituts für African American Studies an der Harvard Universität. Durch die Beschreibung im Auktionskatalog neugierig geworden, erwarb er das Manuskript, um schon bald zu der Überzeugung zu gelangen, einen sensationellen Fund in den Händen zu halten. »The Bondwoman's Narrative« dürfte nicht nur einer der ersten Romane sein, der von einer geflohenen Sklavin geschrieben wurde, es ist wahrscheinlich der erste Roman einer schwarzen Amerikanerin überhaupt.

Erzählt wird die Geschichte von Hannah Crafts, einer Sklavin auf einem Gut in Virginia, die ihrer Herrin als Kammermädchen dient, flieht, wieder gefangen wird und anderen Herrinnen dient. Auch in Washington bringt sie eine Zeit zu, um schließlich ein weiteres Mal zu fliehen. Am Ende lebt sie als Lehrerin in einer Community geflohener Sklaven in New Jersey. Hannah erzählt von ihrem Hunger nach Bildung, von den unmenschlichen Bedingungen der Sklaverei, von ihrem Glauben an Gott, und immer wieder flicht sie Betrachtungen über eine Gesellschaft ein, in der nichts richtig sein kann, weil sie mit der Sklaverei auf einem großen Falschen aufbaut.

Nun ist »The Bondwoman's Narrative« kein literarisches Meisterwerk. Es ist im Ton seiner Zeit gehalten und borgt sich seine Mittel beim Schauer- und beim Bildungsroman. Ganze Passagen sind aus Dickens' »Bleakhouse« übernommen. Da schlägt von einem Augenblick auf den anderen das Wetter um, wenn sich neuerliche Schicksalsschläge ankündigen, ein Baum, an dem vor langer Zeit eine Sklavin gefoltert und gehängt wurde, knarzt, wann immer Unheil droht, Kinder werden nach der Geburt vertauscht, Geister wandern durch Häuser, und wann immer sich die Heldin in Sicherheit wähnt, taucht mit dem Sklavenhändler Trappe ein schwarz gekleideter und herzloser Bösewicht auf, um sie in die Unsicherheit ihrer rechtlosen Existenz als Sklavin zurückzureißen, die Geschichte nimmt die unwahrscheinlichsten Drehungen und Wendungen.

Wer war diese Hannah Crafts? Gates' ausführliches Vorwort liest sich manchmal spannender als die Erzählung selbst. An der Authentizität des Manuskripts besteht kein Zweifel. Stilanalysen sowie Untersuchungen zum Alter des Papiers und der Tinte deuten darauf hin, dass es tatsächlich in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts verfasst wurde, kurz vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs also, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tatsächlich von einer entlaufenen Sklavin.

Obwohl es Gates trotz ausführlicher Recherchen nicht gelang, die Identität der Autorin festzustellen, fördert er allerhand Interessantes zutage. (Und ein wenig freut es einen ja auch, dass die Autorin ihre Spuren anscheinend so perfekt verwischen konnte, dass sie nicht nur ihren damaligen Häschern entging, sondern auch 150 Jahre später durch nichts anderes bekannt wird als durch das, was sie der Öffentlichkeit mitteilen wollte.)

Gates fand jedoch heraus, dass es für Hannahs letzten Besitzer ein historisches Vorbild gab: John Wheeler, einen Plantagenbesitzer und erfolglosen Politiker. Interessanterweise wurde Wheeler 1855 für einen kurzen Augenblick zu einer landesweiten Berühmtheit, als ihm eine Sklavin namens Jane Johnson in aller Öffentlichkeit entlief. Und vermutlich war es Hannah Crafts, die Johnsons Nachfolgerin wurde und als Dienstmädchen bei Wheeler arbeitete. Wann sie floh, welche Route sie nahm und wo sie ihren Roman niederschrieb, bleibt allerdings ungeklärt. Einige Spuren führen zu einer Frau, die in New Jersey lebte, andere zu einer Frau aus New Orleans. Von beiden Frauen fehlen Bilder oder Zeugnisse.

Dass der Roman von einer entlaufenen Sklavin geschrieben wurde, daran besteht allerdings kaum ein Zweifel. Aus ihren Beschreibungen spricht eine genaue Kenntnis der Sklaverei und der diversen Abhängigkeiten, in die sie die Menschen zwang. Im Unterschied zu vielen Texten, die in jener Zeit erschienen und die oft von weißen Abolitionisten geschrieben waren, ist »The Bondwoman's Narrative« frei von weltanschaulichen Grundsätzen, sieht man einmal von Crafts' christlichem Glauben ab.

Sowohl die sexuellen Beziehungen zwischen Herr und Sklavin sind ein ständiges Thema als auch die Eifersucht der Herrin auf diese Beziehungen. Crafts schildert aber auch die menschliche Nähe, die es zwischen Herrin und Sklavin mitunter gab, genauso wie den Neid unter den Sklavinnen, das Buhlen um die Gunst der Herrin. Auch lässt sie ihrem Ressentiment gegenüber den Sklaven freien Lauf, die zur Feldarbeit gezwungen waren. Hannahs Entschluss zur Flucht gegen Ende des Buchs ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass ihre Herrin sie mit einem Feldsklaven verheiraten möchte.

Gut möglich, dass es diese Freiheiten der Erzählung waren, die einer Veröffentlichung im Wege standen. Denn eine Beschreibung der Feldsklaven als »kaum menschlich« wird den Abolitionisten wohl kaum gefallen haben, selbst wenn die Erzählerin darauf hinweist, dass es die äußeren Umstände sind, die die Menschen zu dem gemacht haben.

Nun mag die Erzählerin zwar ein Snob sein - Gates nennt sie die »Großmutter der schwarzen Bourgeoisie« -, sie ist jedoch keine Rassistin, und das ist es, was an »The Bondwoman's Narrative« vielleicht am meisten erstaunt. Die Charakterisierungen der einzelnen Personen gehen nie von der Hautfarbe aus. Im Gegenteil, sie ist aus Sicht der Erzählerin, einer hellhäutigen Frau, ein Merkmal unter vielen, erst die Gesellschaft macht es zu einer Schicksalsfrage. Hannahs erste Herrin ist zwar weiß, aber die Tochter einer schwarzen Sklavin. Hannah selbst flieht, indem sie sich als weißen Mann verkleidet. Und das Unglück ihrer Herrin Mrs. Wheeler fängt damit an, dass ein Kosmetikmittel ihren Teint schwärzt, sie sich damit auf die Straße begibt und deshalb zum Gespött von Washington wird.

An einer zentralen Stelle des Buches heißt es, das Schlimmste an der Sklaverei sei nicht das physische Leid, es sei die Willkür, der man ausgeliefert sei. Es gebe keine Sicherheit, kein Vertrauen, alles könne einem im nächsten Augenblick genommen werden. Tatsächlich ist das Bedrückendste an »The Bondwoman's Narrative« - einmal abgesehen von realistischen Schilderungen, wie Mütter von ihren Kindern getrennt oder wie flüchtige Sklaven von Bluthunden zerrissen werden - die Konsequenz, mit der Hannah Crafts diesen Gedanken zu Ende beschreibt. Trappe, der allgegenwärtige Bösewicht des Buchs, verdient sein Geld damit, Menschen zu erpressen und zu versklaven, die zwar als Weiße leben, aber von Sklaven abstammen, über wie viele Ecken auch immer. So lange ein Mensch unfrei ist, sind alle Menschen unfrei, ob schwarz oder weiß.

Henry Louis Gates Jr. (Hrsg.): Hannah Crafts: The Bondwoman's Narrative. Warner Books, New York 2002, 336 S., 24,95 Dollar