Der Wellenberg ruft

Im globalisierten Segelsport hat ein schweizerisches Team den America’s Cup gewonnen und löst eine alpenländische Segeleuphorie aus. von christian stock

Mit dem Graffitispruch »Nieder mit den Alpen – freie Sicht auf’s Mittelmeer!« wollten die Schweizer Spontis in den jugendbewegten achtziger Jahren nichts anderes als den schweizerischen Nationalstolz veralbern. Doch die Zeiten ändern sich. Während das schweizerische Alinghi-Segelteam dabei war, mit dem America’s Cup die wichtigste, teuerste und prestigeträchtigste Segeltrophäe der Welt zu gewinnen, wünschen sich die Schweizer tatsächlich nichts sehnlicher als eine eigene Küste. Denn dass der America’s Cup im Hausrevier des Alinghi-Teams nicht vernünftig ausgetragen werden kann, sehen selbst die glühendsten Patrioten ein: Zu unsicher wären auf dem Genfer See die Windbedingungen. Und so wurde, noch bevor der Cup endgültig gewonnen war, schon über mögliche Austragungsorte für das Jahr 2006 spekuliert. Die Cote d’Azur und Sardinien sind ebenso im Gespräch wie die portugiesische Atlantikküste.

Die Begeisterung der Schweizer für das Regattasegeln kennt derzeit keine Grenzen. Zu Recht, denn ein schweizerischer Sieg beim America’s Cup ist eine absolute Weltsensation. Noch nie in der 152jährigen Geschichte dieser ältesten kontinuierlich ausgetragenen Sportveranstaltung der Welt hat ein Team den Cup nach Europa gebracht. Und jetzt schafft dies ausgerechnet ein Binnenland. Und noch nie hat ein Herausforderer es geschafft, die »Kanne« dem Verteidiger gleich im ersten Anlauf abzunehmen. Entsprechend brüskiert sind die Neuseeländer, die den Cup 1995 und 2000 gewannen und somit das Recht hatten, die Regatta bereits zum zweiten Mal vor Auckland auszutragen.

Jene Segelbegeisterung, die in der Schweiz erst mit dem grandiosen Aufstieg des Alinghi-Teams ausbrach, gehört in Neuseeland bereits seit längerem zum Alltag. Die Hauptstadt Auckland gilt als »City of Sails«, alle Medien berichten permanent über den America’s Cup. Nicht zuletzt ist die mehrere Monate dauernde Austragung der Regatta ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für das kleine Land. Kein Wunder, dass die neuseeländische Regierung die Cup-Verteidigung nach Kräften unterstützte.

Doch die Segelverrücktheit hat auch ihre negativen Seiten. Als die beim letzten Mal erfolgreichen neuseeländischen Segelprofis den hoch dotierten Angeboten von US-amerikanischen und europäischen Herausforderern nicht mehr widerstehen konnten, brach ein Sturm der Entrüstung los. »Landesverrat«, schallte es den Abtrünnigen entgegen. Am stärksten betroffen war das Alinghi-Team. Denn dessen Hauptgeldgeber, dem Schweizer Milliardär Ernesto Bertarelli, war es gelungen, neben Steuermann Russell Coutts und dem Taktiker Brad Butterworth noch vier weitere Schlüsselfiguren des erfolgreichen neuseeländischen Teams einzukaufen. Ihnen schlug ein derartiger Hass bis hin zu Morddrohungen entgegen, dass Coutts sich in seinem Heimatland nur noch in Begleitung von Bodyguards bewegen kann.

Der Alinghi-Boss Bertarelli kann diesen »eigenartigen Patriotismus« nicht verstehen, denn »die Segelei auf höchster Ebene ist doch schon lange eine internationalisierte Sache«. Der Mann hat gut reden. Seine Bio-Tech-Firma Serena ist ein prosperierender Global Player. Der erst 38jährige Bertarelli kann es sich mit einem Vermögen von acht Milliarden Euro leisten, die Besten der Besten in sein Team zu holen. Und das sind derzeit eben vor allem die neuseeländischen Profis. Insofern hat jener Segelfan aus Auckland Recht, der im Gästebuch der Alinghi-Internetseite nüchtern feststellte, dass Neuseeland in jedem Fall den America’s Cup gewinnt – sei es mit dem Team New Zealand oder mit Bertarelli.

Der segelverrückte Milliardär ist beim America’s Cup keine Ausnahmeerscheinung. Schon immer war der Cup ein beliebtes Vergnügen der Superreichen. Der britische Teebaron Sir Thomas Lipton wollte in den zwanziger und dreißiger Jahren den US-Amerikanern die »Kanne« gar derart fanatisch abjagen, dass er sich bei seinen fünf vergeblichen Anläufen beinahe ruinierte. Auch bei der diesmaligen 31. Auflage des Cups las sich die Liste der Geldgeber wie ein Auszug aus der Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt. Der Oracle-Gründer Larry Ellison war ebenso von der Partie wie der Microsoft-Mitbegründer Paul Allen und der Modezar Patrizio Bertelli (Prada).

Doch selbst für Milliardäre wird der finanzielle Aufwand einer America’s-Cup-Kampagne langsam zu groß. Bis 120 Millionen Euro haben die einzelnen Teams diesmal ausgegeben. Kein Wunder, dass die Sponsorensuche immer wichtiger wird. Diese lassen sich nicht mehr lange bitten: Je spektakulärer und populärer der Cup wird, desto lohnender wird das Investment in ein Team. BMW zum Beispiel ist alles andere als unglücklich, das Team von Larry Ellison unterstützt zu haben. Denn obwohl »Oracle BMW Racing« im Finale der Herausforderer der »Alinghi« unterlag, verbuchte es eine kaum bezahlbare weltweite Medienpräsenz. Und nicht nur davon profitierte BMW. Auch in Sachen Computersimulation konnten die Autobauer von den Boots- und Segeldesignern noch einiges lernen. So wird aus der legendenumrankten Segelveranstaltung zunehmend ein Big Business der Konzerne.

Doch je mehr der America’s Cup sich den Verhältnissen beim Formel-1-Motorsport annähert, desto deutlicher wird auch, dass ein neues Format der Veranstaltung nötig ist. Die rund 24 Meter langen High-Tech-Rennyachten sind derart überzüchtet, dass sie schon ab fünf Windstärken – also bei prächtigen Segelbedingungen – am Limit der Belastbarkeit sind. Im ersten Rennen des Finales, als es etwas stärker wehte, löste sich das Boot von Team New Zealand nahezu in seine Bestandteile auf und musste aufgeben. Da zu wenig Wind einem regulären Rennablauf ebenfalls abträglich ist, können die Rennen mit den derzeit verwendeten Booten nur bei bestimmten Windstärken ausgetragen werden.

Die vor Auckland exzessiv betriebenen Startverschiebungen trieben nicht nur TV-Programmdirektoren zur Weißglut, sondern spannten auch die wartenden Segelfans auf die Folter. Es gilt jedoch als sicher, dass dieser Entwicklung künftig ein Riegel vorgeschoben wird. Denn nur verlässliche Startzeiten garantieren jene Medienpräsenz, ohne die der America’s Cup nicht mehr auskommt.

Das wachsende öffentliche Interesse am Regattasegeln dürfte zur Folge haben, dass beim nächsten America’s Cup auch ein deutsches Team dabei ist. Dieses Mal war der Düsseldorfer Unternehmer Michael Illbruck noch gescheitert. Ermutigt vom Sieg seines Teams bei der wichtigsten Hochseeregatta der Welt, dem Volvo Ocean Race, hatte Illbruck bereits ein Boot für den Cup bauen lassen. Doch mangels Sponsoren musste er aufgeben. Dabei gäbe es genug Geld in Deutschland, siehe BMW. Mit Jochen Schümann, der derzeit bei Alinghi als Sportdirektor eine wichtige Rolle spielt, mit dem Alinghi-Chefdesigner Rolf Vrolijk und mit dem Hamburger Segelprofi Tim Kröger stehen außerdem erfahrene deutsche Regattaexperten zur Verfügung.

Dass der Segelsport in Deutschland jemals solche Blüten treibt wie in der Schweiz, ist jedoch unwahrscheinlich. Bertarellis Idee, den America’s Cup nach seinem Sieg mit Bergsteigern auf das Matterhorn zu bringen, stieß dort auf größte Begeisterung. Die Alpen sind und bleiben in der Schweiz eben doch das Höchste.