Der Comandante lädt zur Disko

Die Zapatisten riefen zum Rave. Alle kamen, außer Marcos. von wolf-dieter vogel, san cristóbal

There must be a better world somewhere … Vielleicht hier in Oventic, etwa eine Autostunde nördlich von San Cristóbal de las Casas? Jedenfalls erläutert ein Schild schon wenige Kilometer vor der Ortschaft: »Hier regiert das Volk, und die Regierung gehorcht.« Dazu die Zeichnung einer schwarzen Kappe, damit auch wirklich klar ist, wer hier das Sagen hat.

Vor dem niedrigen Metallgatter, hinter dem die bessere Welt beginnt, stehen mehrere Männer. Ihre Gesichter verstecken sie hinter roten Tüchern oder jenen schwarzen Mützen, mit denen die Zapatisten aus dem südmexikanischen Chiapas berühmt geworden sind. Links reihen sich meist junge Leute in eine Schlange ein, an deren Ende ein Schild auf den Eingang für die »sociedad civil«, die »Zivilgesellschaft«, verweist. Rucksack-Touristen und Politkader aus Mexiko-Stadt stehen hier und warten.

Wer aus den indigenen Gemeinden kommt, den lassen die Maskierten in der Mitte durchgehen. Und das sind die meisten der rund 20 000 Menschen, die zum Fest der Zapatisten gekommen sind: die Indigenas aus Palenque, Ocosingo oder Altamirano, aus Oxchuc, Huixtán oder Chilón, aus den Montes Azules oder dem südlichen Grenzgebiet zu Guatemala – eben die zapatistische Basis, die etwa ein Drittel der Bevölkerung des Bundesstaates Chiapas ausmacht.

Die einzige befestigte Straße, auf der Tacos und Coca-Cola ebenso angeboten werden wie indigener Schmuck und kleine vermummte Stoffpuppen, führt steil nach unten direkt zur Bühne. Dort dröhnt am Samstagmittag die Disko des Subcomandante Marcos. B.B. Kings »There must be a better world somewhere« zählt zu den Favoriten des »Sub«, des wohl bekanntesten Kämpfers der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN). Auf der Suche nach »einer Welt, in der viele Welten Platz haben«, habe er »weder bei Groucho noch Carlos Marx, noch bei Lenin, Che oder den Zapatisten« das Richtige gefunden. Also sei er eben bei B.B. King gelandet, sagt die Stimme aus den Lautsprechern.

Dass sich Marcos als DJ betätigt, kommt nicht bei allen gut an. »Ich habe eine politische Botschaft erwartet«, sagt ein etwa 40jähriger bärtiger Mann mit dunkler Brille, der wohl auch aus Mexiko-Stadt, Monterrey, Guadalajara, Puebla oder einer anderen Metropole angereist ist. Andere finden die Mischung aus Cumbias, Crosby, Stills Nash and Young, B.B. King und indigenen Klängen gut. Und überhaupt hat der Sub schon im Juli angekündigt, er werde im zapatistischen Radio Insurgente eine Sendung machen, in der »Musik, Märchen und Erzählungen« vorgestellt würden (Jungle World 03/33).

Mit der Musik hält Marcos Wort, nur aus der »Sendung« wird erst einmal nichts. »Bringt Batterien mit«, hat es vorher geheißen, »für die Radios.« Auch die internationale Zivilgesellschaft von Rom bis Buenos Aires solle sich drauf vorbereiten: Am 9. August um 14 Uhr nimmt »Radio Insurgentes, die Stimme der EZLN«, ihren Sendebetrieb über Kurzwelle auf dem 49-Meter-Band auf. Ob die Sub-Disko jenseits des Atlantiks oder in San Francisco rechtzeitig zu hören ist, lässt sich von hier aus nicht ausmachen. Im Dorfzentrum von Oventic jedenfalls kommen die ersten Signale erst Stunden später an – via Kassette.

»Die Bundesregierung hat unsere Frequenz gestört, wir können also die Sendung nicht übertragen«, erklärt Kommandant Tacho, nachdem das Publikum etwa drei Stunden in der Sonne ausgeharrt hat. Marcos habe sein Programm deshalb auf dem zapatistischen Postweg auf Band rübergeschoben. Dann richtet Tacho in aller mexikanischen Ruhe und Freundlichkeit die Grüße des Sub aus: »An alle Compañeros und Compañeras der Unterstützungsbasen der EZLN, an die autonomen Regierungen, an die aufständischen Kommandanten, an die aufständischen Kommandantinnen, an die Militanten der EZLN, an die nationale und internationale Zivilgesellschaft und an die nationale und internationale Presse«. Subcomandante Insurgente Marcos könne leider nicht kommen, informiert Tacho noch nebenbei. »Er hat Bauchschmerzen. Vom vielen Lachen.«

Ob die »Internationalen« mit ihren Dreadlocks in der Mittagshitze durchgehalten haben, um einmal den Sub zu erleben? Ob die Tzotziles, Tzeltales, Choles, Zoques, Mames und Tojolabales unter ihren Plastikplanen nun enttäuscht sind, ihren »Sprecher« nicht zu sehen? Die zahlreichen Kameras und in die Luft gestreckten Aufnahmegeräte lassen jedenfalls vermuten, dass zumindest die Presse auf den Hype gesetzt hat. Dabei war nie öffentlich davon die Rede, dass Marcos erscheint.

Dass sich der Sub nicht blicken lässt, bietet dennoch viel Gesprächsstoff. Will er sich zukünftig mehr zurückhalten? »Viele verwechseln die zapatistische Sache mit dem Subcomandante Marcos,« sagt ein Student. Was wenig verwundert. Nur Marcos ist in den letzten Monaten im Namen der EZLN an die Öffentlichkeit getreten. Ende letzten Jahres ließ er durch einen Streit mit den baskischen Separatisten der ETA von sich hören, im Frühling beschrieb er in zwölf Kommuniqués die Situation der Indigenas in den mexikanischen Bundesstaaten.

Seit Mitte Juli machte der Sub durch mehrere Statements publik, worüber die Zapatisten in Oventic in den letzten vier Wochen diskutiert haben.Es ging darin um den »Tod der Aguascalientes«, das Ende der fünf bekannten regionalen Versammlungsorte, die zugleich als Kontaktstelle für die Unterstützer dienten, und die »Geburt der Caracoles«, der »Schneckenmuscheln«, wie die neuen regionalen Sammelpunkte genannt werden. Diese organisatorische Veränderung ist der Anlass, in der Zeit vom 8. bis 10. August zu feiern. Bislang waren die Aguascalientes eine Art Anlaufstelle für Solidaritätsbewegte aus aller Welt. Doch die schlechten Erfahrungen mit Nichtregierungsorganisationen, denen Marcos Paternalismus und ein »Aschenputtelsyndrom« bescheinigt, hat die Zapatisten eines Besseren belehrt. »Für uns ist Mitleid eine Kränkung, und Almosen sind ein Schlag ins Gesicht.«

»Stellen Sie sich die Verzweiflung einer Gemeinde vor, die Trinkwasser braucht und mit einer Bibliothek geschlagen wird. Oder eine, die eine Schule für die Kinder braucht, und stattdessen einen Kurs in Heilpflanzen kriegt«, erklärt Marcos und erinnert sich an einen rosafarbenen »hochhackigen Damenschuh, importiert, Größe 6 1/2«, dessen Gegenstück nie ankam. Mit den jetzt geschaffenen Caracoles wurde nicht nur der Kontakt zur Außenwelt neu definiert, auch innerhalb der zapatistischen Welt sollen sie eine bedeutende Rolle spielen. Probleme zwischen zapatistischen und nicht zapatistischen Gemeinden wollen die Rebellen dort ebenso verhandeln, wie sie für eine gerechtere Verteilung der Hilfsgelder sorgen wollen. In jeder der »Muscheln«, die sich auf die fünf von der EZLN kontrollierten Regionen verteilen, wird eine »Junta der guten Regierung« gebildet. Nicht etwa weil man der Meinung sei, »unsere Regierung sei per se gut«, erklärt ein Mann auf der Bühne, aber die andere, die des Präsidenten Vicente Fox, sei auf jeden Fall schlecht. Wie auch immer, die Guten werden sich jedenfalls aus jeweils einem bis zwei Delegierten der Autonomen Räte der zapatistischen Kommunen zusammensetzen. Letztlich erhoffen sich die Rebellen eine gleichberechtigtere Struktur zwischen der bislang dominanten EZLN und den Räten. Armeen seien schließlich zur Verteidigung da, so Marcos lakonisch, »nicht zum Regieren«.

Die Flut von Papieren der letzten Wochen wurde in der mexikanischen Linken mit Skepsis aufgenommen, nicht zuletzt, weil der Sub »vorübergehend« zum Sprecher aller 30 Gemeinden ernannt wurde. Man befürchtete Zentralisierung, Hierarchisierung und eine Abkapselung von der Solidaritätsbewegung. In bürgerlichen Kreisen hielt die Kritik auch an, als Marcos bereits in Oventic wieder wissen ließ, ab sofort sei er »nicht mehr Sprecher der Zapatistischen Autonomen Bezirke in Rebellion«. Die bundesweit erscheinende Tageszeitung Milenio bezeichnete ihn als »kleinen Diktator«, der die indigene Bevölkerung für seine »revolutionären Wünsche« missbrauche. Ähnlich äußert sich der Sozialwissenschaftler Juan Pedro Viqueira in der chiapenekischen Tageszeitung Cuarto Poder. Die Umstrukturierung der EZLN habe nur den Zweck, die Macht über die Gemeinden wiederzuerlangen, die den Zapatisten abhanden gekommen sei, schimpft der Akademiker.

Wer tatsächlich was zu sagen hat, lässt sich in Oventic nicht auf den ersten Blick herausfinden. Überall tauchen kleine Trupps Vermummter auf, die ein kleines handgeschriebenes Schildchen »de la seguridad« an ihren Hemden hängen haben. Sie sollen für Sicherheit sorgen und treten meist dann in Erscheinung, wenn in absehbarer Zeit etwas Wichtiges passieren könnte: die Rede eines Kommandanten, die Eröffnung eines Radiosenders oder der Beginn der Tanzparty mit musikalischer Begleitung der Cumbia-Gruppe »Maquey« aus der autonomen Gemeinde Polhó. Auch auf der Bühne treibt sich ein Sammelsurium von Menschen herum, das kaum den Anschein besonders autoritärer Ordnung abgibt: Männer und Frauen mit bunt gestreiften Hüten, andere mit kurzen weißen Röcken, wieder andere schwarz vermummt in Treckingstiefeln und gefälschten Marken-T-Shirts.

Nur die Förmlichkeiten der Kommandanten und Kommandantinnen des Klandestinen Revolutionären Indigenakomitees (CCRI) lassen erahnen, dass der Kampf im mexikanischen Dschungel kein Ringelpietz zum Anfassen ist. In ihren Reden wenden sich die Mitglieder dieses höchsten zapatistischen Gremiums an alle, die für die Rebellion von Bedeutung sind: Comandante Tacho an die mexikanischen Bauern, Comandante David an die nicht zapatistischen Gemeinden, Comandanta Esther an die anderen Indigenas in Mexiko, Comandante Omar an die Jugendlichen, Comandanta Fidelia an die Frauen, Comandanta Rosalinda an die zapatistische Basis in Chiapas.

Comandante Zebedeo widmet sich dem internationalen Publikum. Die Globalisierung, die Freihandelsverträge, die Welthandelsorganisation, all das diene zur »Ausrottung des Erbes jedes Landes, der Souveränität und der Kultur«. Dann grüßt er die Globalisierungskritiker, die sich am gleichen Wochenende im Süden Frankreichs treffen. Und den »politischen und kulturellen Kampf des baskischen Volkes«, dessen Delegation sich unweit der Bühne unter zwei baskischen Fahnen tummelt. Nicht die ETA, »den politischen und kulturellen Kampf«, betont Zebedeo ein zweites Mal.

Einen speziellen Gruß schickt er dem »nordamerikanischen Volk«, das sich aus den »Trümmern der Twin Towers« gegen den Krieg erhoben habe. »Trotz des Schmerzes und der Wut, den die Attentate des 11. September 2001 hervorgerufen haben.« Verständnis für die Gringos? Solche Sätze stoßen bei vielen Zivilgesellschaftlern nicht auf Zustimmung und werden folglich kaum mit Beifall bedacht. Schon die zahlreichen Stände, auf denen Indigenas Coca-Cola-Flaschen aufgereiht haben, beäugt so mancher »Internationalista« mit Argwohn.

Auf der Straße ist indes kaum mehr ein Durchkommen, die indigene Welt und die der nationalen und internationalen Städter stoßen in einem betriebsamen Nebeneinander zusammen. Kleine Frauen in bunten Kleidern, das Halstuch über die Nase gezogen, drängeln sich mit blonden Europäern um einen Wassertank. Männer in Stoffanzügen bieten die neueste revolutionäre Literatur an, ein paar indigene Kinder beobachten mit verständnislosen Blicken zwei Hellhäutige, die sich mit dem Aufbau ihres Zelts abkämpfen. Vor dem Krankenhaus, dessen Mauern riesige Che- und Zapatisten-Konterfeis schmücken, spielen Vermummte auf einem Xylophon, nebenan preist der örtliche Friseur mit den Fotos US-amerikanischer Schauspieler seine Haarschnitte an.

Auf der Bühne stimmen mittlerweile die Musiker von Maquey ihre Instrumente, denn mit den Reden der Kommandanten und Kommandantinnen geht am Samstagabend der formale Akt zu Ende. Langsam zieht wieder Nebel zwischen den Hügeln auf. Zwei Tage lang hat der Regen das Dorf verschont, eine Seltenheit in dieser Jahreszeit. Und ein Glück, denn die tropischen Wassergüsse hätten das Gelände in ein Schlammloch verwandelt. Die Plastikplanen, unter denen die meisten hier die Nacht verbringen, hätten kaum Schutz geboten.

Alejandro, der jedem, der will oder nicht, seine linksradikale Zeitung aus der Hauptstadt andrehen will, ist überzeugt: »Für die mexikanische Linke ist diese Veranstaltung von großer Bedeutung. Fox gerät weiter unter Druck.« Tatsächlich zeigt sich die Regierung verunsichert. Vorab ließ Innenminister Santiago Creel wissen, man werde das Treffen respektieren. Und gemeinsam mit Pablo Salazar Mendiguchía, dem Gouverneur von Chiapas, sinniert der Minister jetzt darüber, ob die »Juntas der guten Regierung« nicht kompatibel mit der Verfassung und als Ansprechpartner denkbar seien.

Die Zapatisten wollen von solchen Angeboten nichts mehr hören. Seit ihrem bewaffneten Aufstand im Januar 1994 warten sie auf glaubwürdige Gesprächsangebote, seit sieben Jahren fordern sie erfolglos die Umsetzung des Abkommens von San Andres, eines zwischen der EZLN und der Regierung ausgehandelten Vertrags, der den Indigenas mehr Rechte zugesteht. »Mit dem Warten ist nun Schluss, denn mit ihrer ›guten Regierung‹ schaffen die Zapatisten Tatsachen. Sie setzen das Abkommen von San Andres faktisch um«, sagt Alejandro.

»Wir haben nicht vor, uns mit irgendeinem Vertreter der politischen Klasse zu treffen«, sagte Marcos jüngst. Schon im Frühjahr stellte er klar, dass man mit den Parteien nichts mehr zu schaffen habe. Auch nicht mit der gemäßigt linken PRD, die früher aus ihrer erklärten Nähe zu den Zapatisten Kapital schlagen konnte. »Kein Wunder, dass heute die angereiste Zivilgesellschaft anders aussieht als früher«, erinnert sich eine Freundin aus Mexiko-Stadt an vorhergehende Treffen der Rebellen. Viele Intellektuelle, die der PRD nahe standen, hätten der EZLN nach den scharfen Angriffen des Sub den Rücken gekehrt.

Mit ihrem Misstrauen stehen die Zapatisten nicht allein: Nur knapp 40 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung schleppten sich Anfang Juli zu den Wahlurnen, als es galt, ein neues Bundesparlament zu wählen. Viele soziale und indigene Organisationen haben sich von den Parteien abgewendet. Der vom Kommandanten Brus Li vorgestellte »Plan La Realidad – Tijuana« dürfte also durchaus auf Interesse stoßen. Unter Achtung der jeweiligen Autonomie rufen die Zapatisten dort Arbeiter und Bauern, Frauen, Schwule, Lesben und Transsexuelle, Künstler, Prostituierte und alle möglichen anderen zur Vernetzung des Widerstandes von unten auf.

There is a better world somewhere? Die armseligen Hütten auf dem Weg nach Oventic sprechen nicht dafür. Die Menschen im mexikanischen Südosten leben unter katastrophalen Bedingungen, auch wenn bunt bemalte Krankenhäuser, Gemeindezentren und kollektive Läden andere Erwartungen wecken. Das konnten die Zapatisten bislang nicht ändern. Im Gegenteil, der Preis für die Autonomie ist hoch. Dass die Rebellen staatliche Gelder ablehnen, führt zu wirtschaftlichen Problemen und zu Schwierigkeiten innerhalb der Gemeinden. »Die Zahl der Armen ist hier gewachsen«, so Marcos, »weil die Zahl der Zapatisten gewachsen ist, und das eine geht mit dem anderen einher.«

Für falschen Zweckoptimismus bietet die Realität hier keinen Platz. Mit Blick auf die Debatten und Gemeindearbeiten in Oventic, die an diesem Wochenende mit der Fiesta zu Ende gehen, schreibt der Subkommandant: »Es sieht so aus, als ob eine neue Welt inmitten dieses geschäftigen Treibens aufgebaut wird. Vielleicht nicht. Vielleicht sind es in Wirklichkeit doch nur ein paar Gebäude, und es war nur der Effekt von Licht und Schatten, den die Dämmerung über die Gemeinden schickt, wo die ›Caracoles‹ aufgestellt werden, der mich denken ließ, dass hier eine neue Welt gebaut werde.«