Arm, aber alt

Arbeiter erhalten durchschnittlich weniger Rente als Angestellte, Frauen weniger als Männer. Die Grenzen verlaufen überall und nicht zwischen jung und alt. von diana auth

Was gegenwärtig in der Frage der Renten geplant wird, bricht mit einem jahrzehntealten Konsens in der Bundesrepublik. Im Rahmen der großen Rentenreform des Jahres 1957 wurde das Umlageverfahren, die Grundlage des Generationenvertrags, über den heute so vehement gestritten wird, eingeführt. Dieses Verfahren bedeutet, dass mit den Rentenbeiträgen der Versicherten und der Unternehmer sofort die Ausgaben für die gegenwärtig zu zahlenden Renten bestritten werden, d.h. die Beiträge werden nicht etwa für die künftigen Renten angesammelt.

Vorausgegangen waren dieser Rentenreform zwei gescheiterte Versuche einer kapitalgedeckten Altersvorsorge. Zunächst ging das Deckungskapital durch die Inflation in der Frühphase der Weimarer Republik fast vollständig verloren; die Konsolidierung der Rentenversicherung gelang nur durch die Anwendung des Umlageverfahrens und mit staatlichen Zuschüssen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs waren die mühsam aufgebauten Rücklagen der Rentenversicherung erneut weg: Mit dem in Reichsanleihen angelegten Deckungskapital war nämlich u.a. der Krieg finanziert worden.

Wegen dieser Erfahrungen mit der privaten Vorsorge wurde die Umlagefinanzierung eingeführt. Außerdem wurde die Rente seit 1957 nicht mehr als Zuschuss zum Lebensunterhalt im Alter betrachtet, sondern als Lebensstandardsicherung konzipiert. Wer 45 Jahre lang Beiträge gezahlt hat, soll 70 Prozent seines Nettoeinkommens als Rente erhalten, so lautete der rentenpolitische Konsens der vergangenen vier Jahrzehnte.

Nachdem dieser Rentensatz mit der so genannten Riester-Reform im Jahr 2001 auf 67 Prozent bzw. wegen der Änderung der Berechnungsformel sogar auf 64 Prozent gesenkt wurde, steht heute das gesamte Konzept der Sicherung des Lebensstandards in Frage. Nun geht man nicht mehr vom Netto-, sondern vom Bruttostandardrentenniveau aus, das derzeit 48 Prozent beträgt und nach den Vorschlägen der Rürup-Kommission nur noch 40 Prozent betragen soll. Nach den Vorstellungen der Kommission soll die Lebensarbeitszeit von 65 auf 67 Jahre angehoben werden, zudem soll ein Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt werden, der bei veränderten Bedingungen Rentenkürzungen bedeuten würde.

Hatte der damalige Arbeitsminister Walter Riester die Kürzung der Renten noch mit der Einführung der zusätzlichen privaten Altersvorsorge gerechtfertigt, so wird sie nun mit der angestrebten Stabilisierung des Beitragssatzes der Lohnabhängigen begründet und als ein »Beitrag zur Verbesserung der Generationengerechtigkeit« bezeichnet.

Doch die Rentner sind sowieso schon an der Konsolidierung der Rentenfinanzen beteiligt. Seit 1957 werden die Renten dynamisiert, das heißt, sie werden jährlich an die Entwicklung der Löhne angepasst, um die Renter an der allgemeinen Wohlstandsentwicklung teilhaben zu lassen, auch wenn es nach unten geht. Um Geld zu sparen, wurde die Rentenanpassung in der Vergangenheit oft gekürzt, verschoben oder gar ausgesetzt.

Die Renteneinbußen treffen nicht alle Rentner gleichermaßen, denn die Höhe der Altersrenten ist extrem unterschiedlich. Während die durchschnittliche Altersrente bei westdeutschen Arbeitern im Jahr 2002 bei 853 Euro lag, erhielten Angestellte 1174 Euro. Die Altersrente der ostdeutschen Arbeiter lag bei 953 Euro, die der Angestellten dort bei 1206 Euro. Die Einkommensunterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten spiegeln sich im Rentenniveau ebenso wider wie die etwa fünf Jahre längeren Versicherungszeiten der Ostdeutschen.

Die Altersrenten der Frauen hingegen betragen generell fast nur die Hälfte der Renten der Männer. Die westdeutschen Arbeiterinnen erhalten im Jahr 2002 mit 369 Euro durchschnittlich die niedrigsten Altersrenten. Wegen ihrer üblichen Vollzeit-Erwerbsbiografien erhielten die Arbeiterinnen in Ostdeutschland immerhin 591 Euro. Auch bei den Frauen liegen die durchschnittlichen Angestelltenrenten höher als die der Arbeiterinnen.

Im Jahr 2001 bezogen knapp 50 Prozent der westdeutschen Arbeiterinnen nur eine Rente unter 300 Euro. Bei den ostdeutschen Arbeiterinnen erhielten knapp 60 Prozent Renten zwischen 500 und 750 Euro. (Quelle: Bundesministerium für Arbeit 2002)

Aber die Höhe der individuellen Rente ist nicht automatisch gleichzusetzen mit der tatsächlichen Einkommenssituation der Rentner. Zum einen können noch weitere Einkommensbezieher mit im Haushalt leben, was in 60 Prozent der Altenhaushalte der Fall ist. Zum anderen können auch noch andere Einkommensquellen hinzukommen. Im Jahr 2001 bezogen knapp 20 Prozent der Rentner ein weiteres Einkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, davon waren über 90 Prozent Frauen, die neben ihrer eigenen niedrigen Rente noch eine Witwenrente bezogen.

Fast die Hälfte der Männer, aber nur 13 Prozent der Frauen beziehen neben der gesetzlichen Rente noch eine Betriebsrente. Weitere Einkommensquellen sind vor allem private Renten, Nebenerwerbseinkommen sowie Einkommen aus Vermögen, Vermietung und Verpachtung.

Unzureichende Altersrenten bekommen vor allem Arbeiter, die in Niedriglohnsektoren beschäftigt waren, etwa im Einzelhandel oder in der Textilindustrie, Frauen aus den alten Bundesländern mit kurzen Erwerbsbiografien und niedrigen Löhnen, Selbstständige mit geringer privater Vorsorge, Bezieher von Renten wegen Erwerbsminderung mit einer geringen Zahl versicherungspflichtiger Erwerbsjahre und ausländische Arbeiter, vor allem aus der ersten Generation der so genannten Gastarbeiter.

Diese Gruppen würden bei der Verwirklichung der gegenwärtigen Pläne noch weiter in die Altersarmut abrutschen. In den vergangenen Jahren verringerte sich zwar der Anteil der Bezieher von Sozialhilfe, die über 65 Jahre alt sind, auf etwa sieben Prozent; in den sechziger Jahren machte er noch ein Viertel aus. Doch die absolute Zahl ist nahezu gleich geblieben. Im Jahr 2001 bezogen in Westdeutschland rund 200 000 Personen über 65 Jahre Hilfe zum Lebensunterhalt.

Seit Anfang des Jahres gibt es nun eine bedarfsorientierte Grundsicherung für bedürftige Renter und Schwerstbehinderte, die etwas über dem Sozialhilfesatz liegt. Das Verfahren ist vereinfacht worden und von dem Rückgriff auf die Eltern und Kinder der Antragstellenden wird weitgehend abgesehen, aber den Kleinstrentnern wird der Gang zum Sozialamt und das jährliche Offenlegen ihrer Einkommens- und Vermögenssituation nicht erspart.

Die Diskussion um die demografische Entwicklung geht in die falsche Richtung. Zwar nimmt die Zahl der Beitragszahler im Verhältnis zu den Rentnern tatsächlich ab, aber dies ist nicht allein der niedrigen Geburtenrate geschuldet, sondern vor allem ein Problem fehlender sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Die Zunahme von (Schein-)Selbstständigen und die Einführung der Mini-Jobs durch die rot-grüne Bundesregierung, durch die der Kreis der prekär Abgesicherten erweitert wurde, bedeuten geringere Beitragseinnahmen.

Anstatt über die Heraufsetzung der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre zu diskutieren, sollte politisch darüber gestritten werden, wie ein Rentenkonzept aussehen könnte, das die gesamte Erwerbsbiografie einbezieht, unterschiedliche, z.T. lebensphasenspezifische Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten und der Arbeitslosen berücksichtigt sowie verschiedene Varianten eines sinnvollen, gleitenden Übergangs in den Ruhestand ermöglicht.