Hamburg lernt nicht aus

Auch ohne Ronald Schill wird alles schlechter. In Hamburg trat das umstrittene Arbeitszeitmodell für Lehrer in Kraft. Schill ahoi V: die Bildungspolitik. von guido sprügel

Keine Klassenreisen mehr, keine Projekttage, Schulfeste und Konzerte finden nicht mehr oder nur noch eingeschränkt statt. Alles, was in der Schule Spaß macht, fällt mit Beginn dieses Schuljahres in Hamburg ins Wasser.

Schuld ist das neue Arbeitszeitmodell (AZM) für die Hamburger Lehrer, das der rechtspopulistische Hamburger Senat bereits vor Monaten, damals noch mit Ronald Schill als Innensenator, beschloss und das zum 1. August in Form einer Rechtsverordnung in Kraft trat.

Das Modell soll zunächst zwei Jahre erprobt werden. Es handelt sich dabei um den Versuch, die Lehrerarbeitszeit zu rationalisieren. So unterrichten Lehrer fortan nicht mehr ein bestimmtes Stundenkontingent, das für alle Kollegen gleich ist, sondern die einzelnen Unterrichtsfächer werden mit einem Faktor belegt, der die Vor – und Nachbereitungszeit für das Fach festlegen soll. Das Fach Mathematik erhält beispielsweise den Faktor 1,6, das Fach Sport jedoch nur den Faktor 1,2; Grundschullehrer erhalten für jedes Fach generell nur den Faktor 1,3. Zusätzliche Aufwendungen für Klassenfahrten oder Schulfeste werden überhaupt nicht berücksichtigt.

Um die vom AZM vorgesehene Arbeitszeit abzudecken, muss ein Sportlehrer nun deutlich mehr arbeiten als ein Mathematik- oder Physiklehrer. Der Vorwurf der Kritiker lautet, das Modell führe zu Spaltungen in den Kollegien, da die Arbeit des Lehrers zukünftig sehr unterschiedlich bewertet werde. Bei dem Modell handle es sich um ein reines Kürzungsvorhaben, weil rund 1 000 Lehrerstellen nicht eingerichtet würden und die vorhandenen Lehrer die Lücke durch mehr Arbeit abdecken müssten.

Und in der Tat geht die Einführung des AZM mit einer generellen Senkung der Stundenzahl einher. Hatte eine Schule bislang Anrecht auf eine hundertprozentige Versorgung mit Lehrerstunden, so sinkt diese Zahl mit dem neuen Schuljahr auf 96,5 Prozent. »Das ist eine deutliche Verschlechterung«, sagt Rainer Hencke, der Schulleiter des Gymnasiums Grootmoor in Bramfeld. Die Absenkung des Bedarfs wird durch die zusätzliche Arbeit, die nach Aussagen der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) von jedem zweiten Lehrer in Hamburg gefordert werde, abgefedert.

Im Schnitt arbeitet nach Aussagen der Personalräte jeder Lehrer in Hamburg mit Beginn des neuen Schuljahres ein bis zwei Stunden mehr pro Woche – bei gleichzeitiger Erhöhung der Klassenstärken. Es handelt sich um eine verdeckte Erhöhung der Arbeitszeit. Und gegen dieses Modell regt sich seit Monaten Kritik in Hamburgs Schulen und Elternhäusern.

»Deutschland erzielte in der Pisa-Studie nur Platz 22 im internationalen Vergleich. Alle Welt fordert mehr Geld für Bildung, und der Hamburger Senat streicht gerade in diesem Bereich«, macht die Vorsitzende des Elternvereins Hamburg e.V., Karen Medrow-Struß, ihrem Unmut Luft. Sie organisiert zusammen mit anderen Eltern und Schülern Protestaktionen gegen die Pläne des Senats. Denn nicht nur die Lehrerverbände und die Gewerkschaften befürchten eine Verschlechterung der Bildungsmöglichkeiten, sondern auch immer mehr Eltern und Schüler.

Die Elternvertreter der Grundschulen in Altona etwa organisierten kurz vor den Sommerferien einen Schulstreik. Frühmorgens schlossen sie die Schulen ab, sodass kein Unterricht stattfinden konnte. Der Elternrat einer Gesamtschule begab sich nackt in das Wasser der Außenalster, unter dem Motto: »Die Bildung geht baden.« Ein Gymnasium in Altona wurde gar für mehrere Tage von den Schülern besetzt.

Die Sozietät Mathematik, in der alle an der Ausbildung der Mathematiklehrer beteiligten Institutionen zusammengeschlossen sind, protestiert ebenfalls. Den Mathematiklehrern werden im Modell zehn Minuten für die Korrekturzeit pro Arbeit zugestanden. »Unmöglich«, kritisiert die Sozietät in einer Erklärung.

Kritik an dem Modell kommt auch von Seiten der Opposition. Die SPD-Bildungspolitikerin Britta Ernst kritisiert den Hamburger Bildungssenator Rudolf Lange (FDP): »Durch die Stellenstreichungen und die überhastetete Einführung des AZM trägt Lange die Verantwortung für die miserable Stimmung an Hamburgs Schulen!« Für sie ist das AZM schlichtweg ein »reines Sparmodell«.

Tatsächlich hatte die Kommission, die das AZM ausarbeitete, die Vorgabe des Senats erhalten, die Jesteburger Beschlüsse der Regierungskoalition zum Schuldenabbau und zu Einsparungen in die Pläne einzubeziehen. Das Modell sollte der Zielvorgabe der »Auskömmlichkeit« folgen, d.h. ohne neue Stellen zu schaffen, den Bedarf an Unterricht abdecken.

Viele Hamburger Schulen wollen die Einführung des AZM nicht widerstandslos hinnehmen. Knapp zwei Drittel aller Hamburger Schulkollegien verfasste Protesterklärungen und drohte an, Klassenfahrten, Ausflüge und Sportturniere zu streichen. Auch viele Schulleitungen zeigten sich solidarisch und sprachen sich gegen das Modell aus.

Doch die Proteste konnten die Pläne des Senats nicht aufhalten. Seit dem 1. August ist das Modell eingeführt, sind die Grundschulklassen größer, arbeitet über die Hälfte der Lehrer mehr. »Der Kampf gegen das inakzeptable Modell wird im kommenden Schuljahr weitergehen und sich ausweiten«, verspricht die Vorsitzende der Hamburger GEW, Stephanie Odenwald. Anfang September demonstrierten knapp 3 000 Beamte und Angestellte gegen die Sparmaßnahmen des Senats.

Seit dem Amtsantritt der Koalition aus der CDU, der FDP und der Schill-Partei wurde im Bereich der Bildung gekürzt. Traf es im vergangenen Schuljahr zunächst die Gesamtschulen, die durch Etat- und Stellenstreichungen große Teile ihres Differenzierungsangebotes einstellen mussten, sind jetzt alle Hamburger Schulen betroffen. Und die nächste Idee ist auch schon ausgeheckt. Bildungssenator Lange möchte die Berufsschulen privatisieren, d.h. der Wirtschaft überantworten. Zwar wird beschönigend davon gesprochen, dass eine neu zu gründende Stiftung die beruflichen Schulen übernehmen werde, doch dass in dieser die Vertreter der Wirtschaft die Stimmenmehrheit und das Vetorecht haben sollen, steht nur im internen Behördenpapier.

Das Hamburger Arbeitszeitmodell für Lehrer ist bundesweit einmalig. Zwar sparen auch andere Bundesländer, etwa Nordrhein-Westfalen, wo jedem Lehrer eine Arbeitsstunde mehr aufgebrummt wurde, und andere Länder streichen das Weihnachts- und Urlaubsgeld. Aber eine derart umfassende Reform gibt es bislang nur in Hamburg. Sollte sich das AZM nach einer zweijährigen Probezeit durchsetzen, hat Schleswig-Holstein schon Interesse bekundet.