Die Patriotenfalle

»Krieg ums Erdgas« in Bolivien von simón ramírez voltaire

Bolivien ist Weltmeister der Beinahe-Revolution. Mit den Straßensperren im Hochland, einem Generalstreik und den Blockaden der Städte La Paz und El Alto haben die Massenproteste einen neuen Höhepunkt erreicht. Bei bewaffneten Zusammenstößen wurden sieben Menschen getötet und über 20 verletzt. Brutal befreite das Militär rund 800 Touristen, die durch die Straßenblockaden im Norden des Landes eingeschlossen waren.

Diesmal stehen die Aymara-Indígenas rund um den Titicacasee im Zentrum der Aktionen, während sich die Kokabauern im Tiefland eine Pause gönnen und erst diese Woche entscheiden wollen, ob sie sich an den Protesten beteiligen. Auch thematisch haben sich die Proteste verlagert: Jetzt geht es gegen die Pläne der Regierung, in Kooperation mit Chile Erdgas aus den zweitgrößten Vorkommen der Region über einen chilenischen Hafen in die USA und nach Mexiko zu exportieren. Die Lizenz dafür soll an transnationale Unternehmen gehen, zu ungünstigen Bedingungen. Nur etwa 18 Prozent des Reingewinns sollen in Bolivien verbleiben. Die für den Transport nötige Verflüssigungstechnologie soll von Chile gestellt werden und entgeht Bolivien als nicht zu unterschätzender Wirtschafts- und Entwicklungsfaktor.

Dass den Kapitalinteressen auch Grenzen gesetzt werden können, demonstrierten die Bolivianer bereits, als sie im »Krieg ums Wasser« im April 2000 die Privatisierung der Wasserversorgung der Stadt Cochabamba verhinderten. Der Aufstand war damals lokal begrenzt.

Der gegenwärtige »Krieg ums Gas« könnte sich als noch gefährlicher für die Regierung erweisen: Es sind landesweite Interessen berührt, vor allem aber sind alte Feindschaften mit Chile aufgerufen. Die Minderwertigkeitsgefühle der bolivianischen Nationalisten stammen aus der Niederlage im Pazifikkrieg (1879 bis 1880). Damals verlor Bolivien nicht nur den einzigen Zugang zum Meer, sondern auch die Kontrolle über große Salpetervorkommen an Chile. Für viele stellen die reichen Gasvorkommen eine letzte Chance für Bolivien dar, endlich einmal selbst von natürlichen Ressourcen zu profitieren.

Diese explosive Mischung aus verständlichen Argumenten und irrationalem Ehrgefühl machen die Stärke der Bewegung aus. Gleichwohl braut sich ein höchst suspektes nationalistisches Gemisch zusammen. Mit ihrem fragwürdigen Linksnationalismus liegen die sozialen Bewegungen im lateinamerikanischen Trend; in Bolivien nimmt er im Fall der Aymara-Hochlandbauern bisweilen aggressive, gegen Fremde gerichtete Züge an. Das von ausländischen Touristen gern besuchte Hotel Copacabana am Titicacasee wurde geplündert und angezündet, ebenso das von einem Deutschen geführte Gasthaus in Sorata. Zeitungen meldeten bereits die massenhafte Ausreise von Chilenen.

Für die Regierung ist die Lage brenzlig. Das Thema Erdgas ruft nicht nur Marginalisierte auf den Plan, Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada hat nun auch jeden, der sich Patriot nennt, gegen sich. Damit bröckelt eine bislang verlässliche Stütze der Macht: das Militär. In seinen Reihen wird die 120 Jahre alte »Schmach« besonders tief empfunden, Militärs aus hohen und mittleren Rängen kündigten bereits erbitterten Widerstand gegen den Deal mit Chile an.

Das Erstarken der militärisch-nationalistischen Fraktion kann sich aber niemand wünschen, der auf Emanzipation setzt. Da ist man froh, dass in der Opposition ansonsten die Kokabauern und die Bewegung zum Sozialismus (MAS) den Ton angeben, bei denen an erster Stelle Sozialismus und nicht Nationalismus steht. Auch wenn es bislang nur beinahe für eine Revolution gereicht hat.