»Mein Job muss überflüssig werden«

Paddy Ashdown

In Sarajevo vermutet manch einer bereits eine großdeutsche Verschwörung. Im Juli veröffentlichte der Berliner Balkan-Think Tank European Stability Initiative (ESI) einen Bericht mit dem Titel »Lehren aus Bosnien-Herzegowina«. Seither vergeht kaum eine Woche, in der dem Leiter der internationalen Protektoratsbehörde des Hohen Repräsentanten (OHR) in Bosnien-Herzegowina nicht Machtmissbrauch und Amtsführung ganz im Stile britischer Kolonialherren vorgeworfen werden. Wie im Irak bestimmt die Frage die Debatte, wann und wie die politische Verantwortung an lokale Akteure übertragen werden soll. Der frühere Vorsitzende der britischen Liberaldemokraten, Paddy Ashdown, ist seit Mai 2002 im Amt des Hohen Repräsentanten. Mit ihm sprach Markus Bickel.

Die Forderung an die internationale Gemeinschaft, fast acht Jahre nach Kriegsende den bosnischen Institutionen mehr Kompetenzen zu überlassen, ertönt von allen Seiten. Wann kann Ihre Behörde endlich schließen?

Das hängt davon ab, wie schnell die bosnischen Autoritäten sich bewegen. Inzwischen ist ein nachhaltiger Reformprozess in Gang gekommen. Die Einrichtung zahlreicher von Bosniern geleiteter Kommissionen, etwa zur Zusammenlegung der nach wie vor getrennt operierenden Entitätsarmeen, bedeutet einen entscheidenden Schritt nach vorn. Die internationale Gemeinschaft muss heute immer weniger selbst die Initiative ergreifen und kann stattdessen den Demokratisierungsprozess durch Monitoring begleiten.

Über den Irak haben Sie gesagt, es werde ein Jahrzehnt dauern, den Frieden aufzubauen. Überträgt man das auf Bosnien, müsste 2005 eigentlich Schluss sein mit der internationalen Verwaltung.

Ich habe von Jahrzehnten gesprochen, nicht von zehn Jahren. Der entscheidende Punkt aber ist, dass man Peacebuilding nicht in Wochen, Monaten oder Jahren messen kann, sondern dass die internationale Gemeinschaft bereit sein muss, sich für einen sehr langen Zeitraum zu engagieren. Deshalb war auch die Vorstellung mancher Diplomaten beim Dayton-Friedensschluss von 1995 lächerlich, man könne nach Ablauf eines Jahres wieder abziehen. Die Frage lautet doch: Was ist das Ziel? Ziel ist es, Bosnien unwiderruflich zu einem funktionierenden Staatswesen zu machen und es auf den Weg nach Europa zu bringen. Diesem Ziel sind wir näher gekommen, erreicht ist es noch nicht.

Zu Beginn Ihrer Amtszeit erklärten Sie, der letzte Hohe Repräsentant sein zu wollen. Sind sie immer noch so optimistisch?

Ich habe immer gesagt, dass mein Job darin besteht, dieses Amt überflüssig zu machen. Sollte während meiner Amtszeit nicht erkennbar werden, wann dieses Ziel erreicht werden kann, würde ich meine Aufgabe als gescheitert betrachten. Ein Erfolg wäre es, wenn vor dem Ende meines Mandats klar wäre, wie sich diese Behörde in etwas Neues wandelt.

Das ist mit Ihrem Amtsantritt im Mai vergangenen Jahres bereits geschehen. Seitdem müssen Sie nicht nur dem Uno-Generalsekretär Bericht erstatten, sondern auch dem Hohen Repräsentanten der EU für Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana.

Allein dadurch verändert sich die Rolle meiner Behörde gewaltig. Die Europäische Kommission wird immer wichtiger, der Hohe Repräsentant rückt immer mehr in den Hintergrund. Das sage ich auch den bosnischen Politikern: Ihr könnt so viele Gesetze verabschieden, wie ihr wollt, solange sie mit europäischen Standards vereinbar sind.

Dennoch sind es weiterhin Sie, der die meisten legislativen Entscheidungen trifft. Allein seit Ihrem Amtsantritt vor knapp anderthalb Jahren haben Sie mehr als 170 Gesetze per Dekret erlassen.

Das slowenische Parlament hat im vergangenen Jahr 1200 Gesetze verabschiedet, um die EU-Aufnahmekriterien zu erfüllen, im bosnischen Gesamtparlament waren es nur zwölf. Wenn Sie diese Zahlen kennen, wissen Sie, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben, ehe hier ein Staat entstehen kann, der sich unumkehrbar auf dem Weg nach Europa befindet.

Mit Ihnen oder einem Ihrer Nachfolger an der Spitze des Landes wird Bosnien doch nie in die EU aufgenommen werden können.

Deshalb liegt es ja auch an den bosnischen Institutionen selbst, endlich die Standards zu erfüllen, die für den Abschluss eines Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens mit der EU notwendig sind – der Vorstufe für die spätere Aufnahme in die Union. Was ich mache, hat ja nichts mit der Suche nach neuen Aufgaben für mein Amt zu tun, sondern mit der Zukunftsplanung für Bosnien-Herzegowina.

Aus Sicht der EU muss Bosnien als Test für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik herhalten und gilt nicht als ein ernsthafter Beitrittskandiat. So drängen vor allem Frankreich und Deutschland darauf, dass die Führung der Bosnien-Schutztruppe Sfor von den USA an die EU übergeht.

Zwei Dinge sind für mich völlig klar: Zum einen will ich, dass Europa auf diesem Gebiet größere Aufgaben übernimmt. Sollte Europa sich allerdings ohne das Engagement der Vereinigten Staaten in Bosnien betätigen, würde das in einem Desaster enden.

Könnten Sie sich vorstellen, dass Ihr Nachfolger oder der Nachfolger Ihres Nachfolgers ein Bosnier sein wird?

Ich will nichts ausschließen. Aber sollte es nach dem nächsten einen weiteren Hohen Repräsentanten geben müssen, würde das ein Scheitern der internationalen Gemeinschaft bedeuten. Schließlich ist die Politik der Bosnisierung, die ich vor einem Jahr begonnen habe, bereits weit vorangeschritten. Höchste Stellen in dieser Behörde sind inzwischen von lokalen Kräften besetzt.

Müsste Ihre Behörde, um demokratischen Kriterien zu genügen, nicht dennoch sehr viel stärker bosnischen Institutionen gegenüber rechenschaftspflichtig sein?

Aber das ist sie doch. Ich erstatte den bosnischen Parlamenten regelmäßig Bericht. Keiner meiner Amtsvorgänger hat das getan. Ich besuche die demokratischen Organisationen dieses Landes und diskutiere mit ihnen über die Maßnahmen, die ich treffen werde. Mehr können Sie nicht tun, ohne die Natur dieses Amtes zu ändern.

Dass Sie den Parlamenten Bericht erstatten, ist weder in der Verfassung verankert, noch gibt es dafür ein Gesetz. Der Entschluss dazu entspringt also allein Ihrer eigenen Entscheidung.

Natürlich.

Würden Sie dies als Anzeichen für eine Demokratisierung Ihrer Institution betrachten?

Nein. Ich denke einfach, dass jeder Hohe Repräsentant anders an das Amt herangeht. Ich bin Liberaler, und Liberale glauben eben an Prinzipien wie Verantwortung und Dialog.

Eine Gruppe von Intellektuellen, darunter der Leiter der bosnischen Versöhnungskommission und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Jacob Finci, fordert die Verabschiedung einer neuen bosnischen Verfassung.

Je mehr Diskussion über die Zukunft dieses Landes stattfindet, desto besser. Was ich jedoch für höchst gefährlich halte, sind rein theoretische Debatten, wenn etwa eine Neuauflage von Dayton gefordert wird, aber die schmerzlichen Kompromisse, die die alltägliche Arbeit in den Parlamenten verlangt, vernachlässigt werden.

Aber ist es nicht demokratisch, wenn einheimische Politiker über die im Dayton-Friedensvertrag von 1995 beschlossenen Bestimmungen hinausgehen wollen?

Das geschieht doch längst, zum Beispiel in der Kommission zur Zusammenlegung der beiden Armeen – der Voraussetzung für die Aufnahme ins Nato-Programm Partnership for Peace. Zum ersten Mal brechen bosnische Politiker hier aus dem Dayton-Gefängnis aus und übertragen Kompetenzen der Entitäten an den Gesamtstaat.