Alla riscossa?

Die parlamentarische Opposition der italienischen Linksparteien erwacht aus langer Lethargie. Die sozialen Bewegungen haben ausgedient und werden an den Rand geschoben. Die Saison von Genua ist vorbei. von marco bascetta, rom

Als erstes ist Berlusconi zu stürzen, dann wird man weitersehen.« Diese recht einfache und beliebte Losung demonstriert scheinbar Radikalität. Denn ist nicht die entscheidende Voraussetzung für jede mögliche Veränderung, dass zuerst der Gegner von der Kommandobrücke gestürzt werden muss? In den Reihen der italienischen Linken wird die Versuchung jeden Tag größer, alle Streitigkeiten und Differenzen beiseite zu schieben und zum entscheidenden Angriff auf die Regierung überzugehen. Schließlich fehlt es nicht an Argumenten. Der italienische Ministerpräsident und seine Koalition scheinen tatsächlich in der Lage, substanzielle Veränderung an der italienischen Verfassung vorzunehmen und das Verhältnis zwischen den verschiedenen Kräften in der italienischen Gesellschaft langfristig umzugestalten. Berlusconi hat bereits Anfang der neunziger Jahre bewiesen, wie sich die Formen der Politik und die Mechanismen der Konsensbildung mit Hilfe seines neu erfundenen Partei-Unternehmens und einem in die Politik importierten Franchising neu bestimmen lassen. Zwei weitere Jahre unter seiner Regierung könnten zweifellos zu irreparablen Schäden führen.

Die allgemeine Stimmung scheint günstig für einen Regierungswechsel. Die wirtschaftliche Krise, der drastische Rückgang der Einkommen und der realen Kaufkraft der Mittelschichten und der Arbeiter nähren ein Klima der sozialen Unzufriedenheit. Der politische Stil Berlusconis wird offenbar immer weniger geduldet. Und der Kreis derjenigen, die von seiner Vermischung von Politik und Geschäften profitieren, erweist sich als sehr eingeschränkt.

Und dennoch steht hinter der oben genannten Losung eben nur eine scheinbare Radikalität. Der Wechsel in die Regierung bedeutet immer eine gemäßigte Politik, die versucht, mit bürgerlichen Parteien auf deren Gebieten zu konkurrieren: sei es Innere Sicherheit, Privatisierung, Rationalisierung des öffentlichen Dienstes, Neuordnung des Sozialsystems, Flexibilisierung der Arbeit oder die Unterordnung unter US-amerikanische Außenpolitik. In der größten Partei der Linken, den Linksdemokraten (DS), gibt es genügend Anzeichen, etwa die vorsichtige Öffnung hin zu einer langsamen Reform der Renten, oder die weitaus weniger vorsichtige Öffnung zu einer italienischen Truppenentsendung in den Irak nach der UN-Resolution. Eine Zustimmung der DS zu einem Militäreinsatz würde den direkten Kollisionskurs mit den sozialen Bewegungen und den radikaleren Flügeln der parlamentarischen Opposition bedeuten.

So konzentriert sich die Linke auf ein Thema, bei dem Einigkeit herrscht. Es sind die privaten Interessen des Regierungschefs und die sich daraus ergebenen Konsequenzen für die demokratischen Institutionen.

Doch die linken Parteien gehen mittlerweile auf Distanz zu den sozialen Bewegungen. Um diese kam die parlamentarische Opposition so lange nicht herum, wie sie scheinbar unfähig der stabilen Mitte-Rechts-Regierung gegenüber stand. Nun, da diese Phase überwunden zu sein scheint, wollen die Parteien wieder alles in die Hand nehmen und die Saison von Genua, in der die sozialen Bewegungen die einzige Opposition im Land darstellten, beenden.

Diese »Bewegung der Bewegungen« war in Opposition zu einer neoliberalen Politik gewachsen, die sowohl Mitte-Rechts als auch Mitte-Links verfolgt. Gegen diese politischen Vorstellungen haben sich die Analysen, die Losungen und die Protestformen der sozialen Bewegungen entwickelt und dabei weite Teile der öffentlichen Meinung und wichtige Segmente der politischen und gewerkschaftlichen Kräfte für sich gewinnen können. Die Mobilisierung gegen den Irakkrieg am 15. Februar stellte schließlich den Höhepunkt dieser Ausweitung dar.

Über einen längeren Zeitraum gelang es den sozialen Bewegungen, mehr zu sein als nur ein sozialer Druck, den die linken Parteien in Gesetzen und institutionellen Formen mehr oder weniger nutzen mussten. Die sozialen Bewegungen traten als eine unabhängige politische Kraft auf, die eine eigene permanente politische Vertretung forderte und an den Entscheidungsprozessen beteiligt sein wollte. Es begann die kurze, aber intensive Saison der Sozialforen, die in jedem Winkel des Landes aus dem Boden schossen.

Dennoch ist es dieser breiten Protestbewegung mit ihren vor allem moralischen Charakter und den größtenteils symbolischen Protestformen nicht gelungen, ihre Forderungen in konkrete Auseinandersetzungen einzubringen, die das alltägliche Leben betreffen, wie es beispielsweise in gewissen Zeitabständen in Frankreich geschieht. Einerseits auf die großen Themen wie Krieg und Frieden, Justiz und Umwelt gerichtet, andererseits beschränkt auf die Aktion regionaler Bürgerinitiativen in den warmen Nischen der vorbildlichen sozialen Solidarität, hat der moralische Antrieb der Bewegungen nur einen begrenzten Bereich der politischen Auseinandersetzung berührt. Auf die allgemeinen Lebensbedingungen, die neuen Arbeitsformen, die zunehmende Reglementierung des sozialen Lebens und den Verfall der repräsentativen Demokratie konnten sie keinen entscheidenden Einfluss nehmen.

Der Aufschwung der sozialen Bewegungen fiel zeitlich zusammen mit einem nie da gewesenen Angriff auf die reale Kaufkraft. Doch überraschenderweise wurde dieses Thema nicht aufgenommen. Der allgemeine Reallohnverlust, der nach der Währungsumstellung auf den Euro in Italien sehr viel schärfer ausgefallen ist als im übrigen Europa, hätte in den siebziger Jahren noch zu so etwas wie einem Aufstand geführt. Heute scheinen sich lediglich die Verbraucherschutzgruppen dafür zu interessieren. Erst langsam wird das auch für die Gewerkschaften ein Thema.

Nun nehmen wieder die Parteien die Initiative in die Hand. Die marginale Rolle, die die Bewegungen in den sozialen Auseinandersetzungen spielen, zwingt sie in die Defensive. Ihnen bleiben die Wiederholung der politischen Praktiken, die alte Rhetorik des »eine andere Welt ist möglich«, die Grabenkämpfe und die gegenseitigen Anschuldigungen. Auf der anderen Seite haben die repressiven Kräfte ihre Lektion von Genua gelernt. Statt Muskeln zu zeigen und mit voller Härte gegen die Proteste auf der Straße vorzugehen, verfolgen sie nun eine Strategie der juristischen Verfolgung, die den Einzelnen mit heftigen Strafen trifft.

Dennoch, die sozialen Auseinandersetzungen drehen sich zunehmend um die konservative Verwaltung der Krise der neoliberalen Politik, wie sie von Mitte-Links und Mitte-Rechts und mittlerweile auch von den gemäßigten Teilen der Gewerkschaften geteilt wird. Die Ideologie vom Arbeiter, der »sein eigener Unternehmer« ist, und von der »Gesellschaft als Firma« beginnt die Attraktivität zu verlieren, die sie bisher ausgeübt hat und der das Vokabular der traditionellen Politik scheinbar wenig entgegenzusetzen hatte.

Daher gibt es durchaus einen Bereich, den nur die sozialen Bewegungen besetzen können, weil sie einen politischen, aber nicht staatlichen Charakter tragen, weil sie zugleich öffentliche Meinung und politisches Subjekt sind, und schließlich weil sie untereinander vernetzt sind. Noch ist nicht sicher, dass sie es schaffen werden, diesen Bereich zu besetzen. Doch aus diesem Blickwinkel gesehen, erscheint die Losung »Sturz der Regierung Berlusconi!« zu weit und zugleich zu kurz gegriffen.

Aus dem Italienischen von Wibke Bergemann.