Das »Morgen«

Krise in Deutschland von jörg sundermeier

Deutschland ist in Not. Doch werden keine Care-Pakete erbettelt, nein, »Notprogramme« müssen verabschiedet sein. Das Wort von der Not wird in allen Blättern und Sendern in einer Weise benutzt, die keinen Zweifel zulässt. Es herrscht Krieg oder so was.

Die Regierung macht Tempo. Dem SPD-Hausblatt Vorwärts sagte Gerhard Schröder: »Das Tempo können wir uns nicht aussuchen. (…) 16 Jahre lang ist in Deutschland doch alles, was hätte verändert werden müssen, auf die lange Bank geschoben worden. Unter Kohl wurde ausgesessen, kein Problem gelöst.« Obschon fünf Jahre Zeit waren, den ausgesessenen 16 Jahren entgegenzuwirken, müssten die armen Sozialdemokraten nun alles in aller Eile tun, um die »Grundwerte von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit auf die jeweils aktuellen Bedingungen anzuwenden«, sagt der Kanzler. Denn: »Ich möchte, dass die Sozialdemokratie sich wieder darauf besinnt, was ihre wahre Anziehungskraft ist: Das ›Morgen‹, die bessere Zukunft zu denken und dafür zu arbeiten.«

Arbeit ist das Leben, sagt der, der Nachfolger Bebels ist: »Für Sozialdemokraten ist Arbeit immer das Herzstück einer menschenwürdigen Existenz.« Für den Kanzler heißt das allerdings, dass man das Rentenalter heraufsetzen muss. »Ich will auch nicht haben, dass ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufs Altenteil geschoben werden, während sie gern noch sinnvoll arbeiten würden.« Ohne Arbeit macht das Leben keinen Sinn, ist es wertlos, und was wertlos ist, muss man nicht bezahlen. Daher kann man die Rente kürzen. Zumal das wiederum Freiheit bringt: »Wir wollen, dass die Menschen, und zwar alle, so leben können, wie sie leben wollen.«

Wenn ein Sozialdemokrat so redet, bleibt Konservativen nicht viel übrig, als den Mund offen stehen zu lassen. Manchmal kommt aus diesem Mund noch etwas heraus: Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik seien die Senioren so stark belastet worden, sagte Andreas Storm (CDU) in der vergangenen Woche. Er hätte nicht einmal gelogen, forderte seine Partei nicht das gleiche wie die Regierung.

Das ist Propaganda und kann als solche nicht erschüttern. Eine Nachricht allerdings, die erschreckt, ist die, dass jüngere Bundestagsmitglieder nun auch Notopfer von den Parlamentariern fordern und ihre Pensionsansprüche beschränken wollen. »Ich hoffe, dass ich selbst niemals in den Genuss dieser Pensionen komme«, sagte die grüne Abgeordnete Anna Lührmann zu Bild am Sonntag, und auch ihre 20jährigkeit und eine jugendliche Sehnsucht nach Popularität entschuldigen solche Dummheit nicht. Wenn bereits die, die in diesem System als Verwalter auftreten, nicht mehr die Vorteile genießen wollen, die eine solche Aufgabe mit sich bringt, sondern sich zwschen denen einreihen, die unter »objektiven Problemen« (Schröder) leiden, die allein das System, das sie leidenschaftlich verteidigen, hervorbringt, dann steht es schlecht um das Land. Wenn sich sogar diese Leute selbst aufgeben, scheint es für sie einen »höheren Sinn« hinter dem Kapitalismus zu geben. Dann herrscht tatsächlich Not.