Guns statt Roses

Venezuelas Medien bekämpfen Hugo Chávez. von knut henkel

Klaus Meschkat hatte bei seinem jüngsten Besuch in Caracas Mühe, wenigstens eine Tageszeitung zu finden, die sich auch nur annähernd fair mit der Politik der demokratisch legitimierten Regierung beschäftigt. Mit Pressefreiheit hat das wenig zu tun, kritisierte der Hannoveraner Soziologe. »Die ist in Venezuela doch gar nicht gegeben«, erklärte der Lateinamerikaspezialist Meschkat auf einer Tagung Mitte Oktober in Berlin.

Venezuelas Mediensektor bildet eine nahezu geschlossene Front gegen die Regierung von Hugo Chávez, die Presse hat sich somit in die »wichtigste politische Kraft« der Opposition transformiert, urteilt Tedoro Petkoff. Er ist Herausgeber der überaus regierungskritischen Tageszeitung Tal Cual und alles andere als ein Freund der Regierung. Erst vor wenigen Wochen erschien auf der Titelseite der Zeitung ein Foto des Präsidenten mit einer Pistole in der Hand. Eine Montage, denn auf dem Originalbild hielt Hugo Chávez eine Rose hoch. Für Petkoff kein Problem. »Wir haben viele Titelseiten gebracht, die provozieren, das ist nicht ungewöhnlich für den Tal Cual«, entgegnet der für seine Konfliktfreudigkeit bekannte Ex-Minister. »Im Kommentar haben wir die Montage dann erklärt und unsere Leser nicht weiter im Ungewissen gelassen. Aus unserer Sicht ist das eine absurde Fotomontage, genauso wie jene, die wir gemacht haben, in der wir ihm eine Bazooka in den Arm montierten.« Titelseiten wie diese hält Petkoff für vertretbar, weil der Präsident just an diesem Tag die Legitimität der Wahlbehörde in Frage stellte, sie als unmoralisch bezeichnete und Stimmung gegen die Institution machte. »Der Präsident bedient sich einer kriegerischen Sprache, das hat abgefärbt und ist heute Teil der Realität in Venezuela. Der Tal Cual ist ätzend – auch und gerade in Richtung der Regierung«, so Petkoff, der unter der Regierung Caldera das Ministerium für Koordination und Planung leitete.

Nach Ansicht des für seine Polemik bekannten marxistischen Ex-Guerillero hat die Regierung es verpasst, ihre politische Basis zu pflegen, und sich außerstande gezeigt, Allianzen zu bilden. Ein Vorwurf, mit dem die Regierung Chávez immer wieder konfrontiert wird und der nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. Diese Meinung vertritt zumindest Margarita López Maya, Politologin an der Zentraluniversität von Caracas. Sie attestiert der Regierung einen »Realitätsverlust im Umgang mit den Medien, die ihrerseits eine Allianz mit den Unternehmern eingegangen sind.«

Die direkte Verwicklung von Teilen des Mediensektors in den Putschversuch gegen Chávez am 11. April stellt ein in Lateinamerika einzigartiges Ereignis dar. Durch die Medienberichterstattung wurde der Eindruck erweckt, dass Präsident Chávez zwischen Januar und April 2002 seine politische Basis verloren habe. Eine völlig einseitige Darstellung der politischen Auseinandersetzung, die keineswegs der Realität entsprach. Entsprechend sorgte die Rückkehr von Chávez in den Präsidentenpalast für Überraschung.

Zentrales Informationsmedium für das Gros der etwa 26 Millionen Venezuelaner ist das Fernsehen. Radio und Tageszeitungen haben nachrangige Bedeutung. Dem einen staatlichen Kanal, VTV-Channel 8, auf dem Chávez jeden Sonntag in seiner Sendung »Aló Presidente« mehrere Stunden zu sehen und zu hören ist, stehen mehrere private Kanäle gegenüber. Unter ihnen die drittgrößte Fernsehanstalt Lateinamerikas, die Cisneros-Gruppe, die viel zur Popularisierung von Hugo Chávez Anfang der neunziger Jahre beigetragen hat. Sechs Jahre später fällt ihre Berichterstattung zu den Wahlen jedoch alles andere als fair aus. Der Wahlsieg des Präsidenten wurde als »Machtergreifung« bezeichnet und Chávez wurde in den folgenden Monaten auf Venevisión diffamiert. Der Sender ist bis heute eines der wichtigsten Sprachrohre der Opposition, in seinen Räumen fanden Regierungsquellen zufolge die zentralen Treffen der Opposition vor dem Putsch vom April statt.

Bis heute betreibt die Sendeanstalt durch einseitige Berichterstattung die Polarisierung in der Bevölkerung. Doch der Sender befindet sich mit dieser Haltung in guter Gesellschaft. Nahezu das gesamte Medienestablishment, die vier weiteren Privatsender und neun von zehn Tageszeitungen, fahren einen mehr oder minder strikten Anti-Chávez-Kurs. Die einzige Ausnahme bildet die Tageszeitung Últimas Noticias, die ein Gleichgewicht zwischen Regierung und Opposition sucht, so Luis Acuña Cedeño, Abgeordneter im venezuelanischen Parlament und bekennender Chávista. Prompt wird dem Blatt immer wieder Regierungsnähe vorgeworfen, was Acuña jedoch bestreitet. Auch der Vorwurf, dass die Regierung gegenüber den oppositionellen Medien mit ihren Informationen geizen würde, kann der Abgeordnete nicht teilen. »Die wenigen Male, die ich von einflussreichen Medien wie der Tageszeitung El Nacional um ein Statement, ein Interview oder Informationen gebeten wurde, bin ich dem nachgekommen«, so der 57jährige.

Voraussetzung, die politische Krise zu lösen und die Polarisierung zu beenden, ist für den Abgeordneten die Einhaltung der demokratischen Spielregeln. Ein Grund, weshalb sich Acuña für das von der Opposition nun anvisierte Referendum über die Regierung Chávez ausspricht. »Mit dem Beginn der Gewalt hat sich ein Teufelskreis von Aktion und Reaktion aufgebaut. Letztlich haben beide Seiten Schuld an der Eskalation des Konflikts und die Medien haben diesen Prozess vorangetrieben«, urteilt Acuña. Er ist stolz auf seine guten Kontakte zur Opposition. »Damit bin ich schon eine Ausnahme von der Regel, denn die Polarisierung ist wie eine Mauer, die sich in unserem Land gebildet hat.« Eine Mauer, die immer höher wird, denn auch die Appelle des Präsidenten nach dem gescheiterten Putschversuch, den Konflikt beizulegen und sich an einen Tisch zu setzen, haben nichts bewirkt. Dem Herausgeber von El Nacional, Miguel Otero, ging die Gesprächsrunde nicht weit genug. Er wollte über die bolivarianischen Zirkel genauso wie über die wirtschaftliche Situation des Landes sprechen und warf dem Präsidenten in einem Interview im Mai letzten Jahres vor, »die Konfrontation permanent herbeizuführen«.

Otero meint, Chávez sei Teil des Problems, und auf dieser Basis ist es nicht nur schwer, miteinander zu verhandeln, es ist auch schwer zu vermitteln, wie die Bemühungen der Organisation amerikanischer Staaten oder des Carter Center zeigten. Aus Sicht Acuñas waren sie trotzdem sinnvoll, denn sie haben die Opposition daran erinnert, dass die »Spielregeln in der Verfassung fixiert sind«. An der Stimmung in Caracas hat sich trotzdem nichts Wesentliches geändert. Misstrauen und Intoleranz prägen den Alltag.

Auch Tal-Cual-Herausgeber Teodoro Petkoff gibt unumwunden zu, dass die Medien dafür in erster Linie verantwortlich sind. Dass die Regierung aber versuche, die Medien mundtot zu machen, wie teilweise in der internationalen Presse dargestellt wurde, streitet er energisch ab. »Es gibt in Venezuela keine Pressezensur, und auch die politischen Menschenrechte wurden von der Regierung Chávez nicht verletzt.« Derartige Anschuldigungen entbehrten jeder Grundlage, das seien Erfindungen des Fernsehjournalismus. Das Fernsehen in Venezuela hat allem Anschein nach den Bezug zur Realität verloren. »Im Fernsehen wird eine virtuelle Realität gezeigt, in der die Bevölkerungsmehrheit kaum eine Rolle spielt«, analysiert Margarita López Maya. Für sie ist das Fernsehen weitgehend zu einem Spiegelbild der Opposition geworden, die nicht davor zurückschreckt, Rassismuselemente in ihrem Diskurs zu verwenden. So wurde beispielsweise der Bildungsminister als »mono«, Affe, bezeichnet.

In Venezuela scheine derzeit alles erlaubt, um den politischen Gegner zu verunglimpfen, sagt die Wissenschaftlerin. Sie ist sich sicher, dass die Opposition weder ein politisches Projekt noch eine relevante politische Figur vorzuweisen hat. »Das Einzige, was sie eint, ist der Wille, Chávez aus dem Amt zu jagen.« Und die wichtigste Waffe dabei sind die Medien. Die sollen nun für die 2,4 Millionen Unterschriften sorgen, die nötig sind, um ein Referendum durchzusetzen. Für die Abwahl von Chávez sind allerdings, so kalkulieren die Experten, mindestens 3,7 Millionen Stimmen nötig.